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„Journalismus pur“: Wie man Journalist beim KURIER wird

Über das Verhältnis von Politik und Medien wird in Österreich selten laut gesprochen.
Bestenfalls hinter vorgehaltener Hand. Das ist nun anders.
12 ½ Zeilen im KURIER ändern alles.

Dass Politiker Jobs vergeben können, ist bekannt.
Dass Journalisten sie dabei kontrollieren, ebenso.
Dass Politiker Journalisten-Jobs vergeben, ist neu.
Zumindest, dass es öffentlich ausgesprochen wird.
Vor allem aber, dass das betreffende Medium diesen Eindruck selbst vermittelt und es als Leistung des Politikers darstellt.

.
KURIER, 19. Dezember, Niederösterreich-Ausgabe:

„Rasche Hilfe für die KURIER-Leser
Telefonsprechstunde: Der traditionelle Termin des Landeshauptmanns in der KURIER-Redaktion brachte erneut viele Lösungen“

Ein emotionaler Anruf kam von einer verzweifelten Mutter aus Breitenfurt:
„Mein Sohn hat Publizistik studiert, zusätzliche Ausbildungen gemacht und findet keinen Job“,
weint die Frau.
Erwin Pröll überlegt keine Sekunde:
„Gnädige Frau, wäre der KURIER vielleicht
etwas für ihren Sohn?“
Mit der Telefonnummer von KURIER-Chronik-Chef Michael Jäger in der Tasche beendet die Frau das Gespräch hörbar erleichert.“

Das lässt drei Schlüsse zu:

a) Landeshauptmann Erwin Pröll kann jemanden zum Journalist machen. Beim KURIER.
Das hieße, ein Politiker kann jene, die ihn kontrollieren sollen, selbst bestimmen.
Tragisch für die Demokratie. Tragisch für den KURIER.
Aber für den Politiker wäre solchjemand dort wohl gut brauchbar.
b) Landeshauptmann Erwin Pröll hat den Jemand nur empfohlen.
Das hieße, er hätte ihn für Fähigkeiten gelobt, die er nicht überprüft haben konnte.
c) Landeshauptmann Erwin Pröll hat nur einen Kontakt hergestellt.
Das hieße, der Jungpublizist hätte es bislang nicht geschafft, die Nummer des KURIER-Chronik-Chefs zu recherchieren. Und sei’s nur für ein Volontariat.
Tragisch für einen angehenden Journalisten.

Bewundernswert ist die Selbstverständlichkeit mit der der KURIER die Passage publiziert.
Bleibt sie unwidersprochen, zeichnen die 12 ½ Zeilen – ganz abgesehen von Titel und Tonalität – ein erschreckendes Bild vom Selbstverständnis des KURIER.

Und sie konterkarierten damit die Inszenierung des KURIER an sich respektive Aussagen seines Chefredakteurs.

Den KURIER betreffend ließe das wieder drei Schlüsse zu:

a) Beim KURIER ist es üblich oder möglich – oder für seine Redakteure zumindest denkmöglich! –, dass Politiker die faktische Macht haben KURIER-Jobs auf diese Art und Weise zu besetzen.
Das wäre bei allen wirtschaftlichen Gegebenheiten wohl eine Täuschung des Lesers, dem man als politisch „Unabhängige Tageszeitung für Österreich“ (Subtitel) seit kurzem auch „Journalismus pur“ verspricht (Slogan).

b) Der KURIER sucht dringend Journalisten und ist dankbar für jeden der ihm vermittelt wird.
Das widerspräche den Aussagen von KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter. Demnach werde es sogar Kürzungen im Personalbereich geben. Vielleicht weist aber auch keiner der vorhandenen Mitarbeiter die schon zitierten (Recherche-)Qualitäten des Jungpublizisten aus Breitenfurt auf.
c) Der KURIER-Redakteur hat mit dem Telefonat lediglich das Geschehen wiedergegeben. Unreflektiert eben. Und weder der KURIER-Redakteur, noch der KURIER-Chef vom Dienst oder KURIER-Chronik-Chef oder KURIER-Chefredakteur, befanden es für nötig der falschen Vorstellung des Politikers über die Jobvergabe beim KURIER zu widersprechen, und im Sinne unabhängigen Journalismus’ auch gegenüber dem Leser unmissverständlich klar zu stellen, dass ein derartiger Vorgang beim KURIER gänzlich ausgeschlossen ist.
Eine derartig unreflektierte Berichterstattung widerspräche einem wesentlichen Kriterium einer Qualitätszeitung. Und eben das nimmt Chefredakteur Helmut Brandstätter für den KURIER in Anspruch: „Der Kurier ist eine Qualitätszeitung“.

Warum just die Telefonnummer von KURIER-Chronik-Chef Michael Jäger vermittelt wurde, bis vor Kurzem noch KURIER-Niederösterreich-Chef, tut dabei gar nichts mehr zur Sache.

Das Tragische an all den Varianten, die in der 12 ½ Zeilen-Passage des KURIER stecken:
Sie sind dazu angetan, dem Vertrauen in die gute Arbeit der verdienten Mitarbeiter des KURIER zu schaden – und dem Journalismus im Allgemeinen.

All jene Journalisten, die sich mit Unabhängigikeit, Objektivität und Fairness bei allen Widrigkeiten täglich bemühen ihrer Kontrollfunktion als Vierter Macht im Staat gerecht zu werden, die Politik kritisch hinterfragen und Machtmissbrauch aufdecken, verdienen es nicht unter einem Generalverdacht zu stehen. Auch der bedauernswerte Publizistikabsolvent in seiner schwierigen Situation auf Jobsuche nicht.

Dem Generalverdacht, dass Politiker Journalisten machen können.
Mit den 12 ½ Zeilen im KURIER könnte dieser Eindruck leider entstehen.

Ich ersuche den KURIER daher um Widerspruch.
Im Sinne des Journalismus.
…des puren Journalismus.

Annäherungsversuch, Nötigung: APA lost in translation
Gibt es Peter Gnam wirklich?

15 Kommentar(e)

rip - Am 22. December 2010 um 10:46

Dieser Beitrag ist aber äußerst spekulativ! Was sollte denn derjenige Publizistikstudent mit der Telefonnummer in der Tasche mehr erreichen als jede/r andere, die/die dort anruft – „ich hab die Nummer vom Pröll“? Das würde genausoviel bringen wie eine Blindbewerbung.

André Igler - Am 22. December 2010 um 10:49

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Wahrscheinlich sollte man kotzen, passend zur Glöckchenterrorzeit. Reich‘ doch einmal die Schüssel mit der Weihnachtsbäckerei her …

ahabicher - Am 22. December 2010 um 12:37

Ich finde das nicht so dramatisch. Als „Landesvater“ ist es gut, wenn der Mann verzweifelten Bewohnern und Wählern ein wenig weiterhilft und auch noch eine handfeste Lösung parat hat statt lächerlicher Platitüden und heißer Luft. Die Stimme hat er nächstes Mal wieder.

Die Telefonnummer allein wird dem jungen Mann nichts nützen, dass seine Mutter sie herausbekommen hat, wird negativ zu Buche schlagen, dass sie vom Herrn Pröll kommt, wird helfen, dass man ihm zumindest 30 Sekunden lang zuhört – in Summe neutral.
Wenn in diesen 30 Sekunden etwas Handfestes herauskommt, können alle Beteiligten sich freuen. Wenn nicht, dann nicht.

Und ein Medium, das sich selbst unentwegt groß schreibt, freut sich natürlich über jede Gelegenheit, den eigenen Namen zu verwenden. Das war eine, und sie wurde genutzt. Besser noch: Sie wurde vom Multiplikator Kobuk aufgegriffen.

Bodenseepeter - Am 22. December 2010 um 12:48

Zu „c) Landeshauptmann Erwin Pröll hat nur einen Kontakt hergestellt. Das hieße, der Jungpublizist hätte es bislang nicht geschafft, die Nummer des KURIER-Chronik-Chefs zu recherchieren. Und sei’s nur für ein Volontariat. Tragisch für einen angehenden Journalisten.“

Nein, das hieße es nicht. Es heißt nur, dass die Mutter des Jungpublizisten sich die Nummer geben ließ. Vielleicht hatte ihr Sohn die Nummer längst. Vielleicht hatte sogar seine Mutter die Nummer und hat trotzden nett „Danke“ gesagt.

Der Schluss darauf, dass der Jungpublizist die Nummer nicht recherchieren könne, ist jedenfalls nicht korrekt. Wer schon scheinbar logisch argumentiert, sollte auch logische Schlüsse ziehen 😉

Gerald Bäck - Am 22. December 2010 um 13:09

Die 12,5 Zeilen sagen lediglich aus, dass der LH einer Mutter eine Telefonnummer gegeben hat, weder etwas über möglich Interventionen, noch über die manglenden Recherchefähigkeiten des Sohnes und schon gar nicht irgendetwas über den Kurier. Das ganze Blogposting besteht aus Mutmaßungen. Es trifft zwar mit Erwin Pröll wirklich keinen falschen, es sind aber eben nur höchst spekulative Mutmaßungen.

Anja Fischle - Am 22. December 2010 um 13:10

Der Gute hat der armen Frau eine Scheinlösung angeboten, damit er die weinende Mutter vom Hals hatte. Das machen Politiker andauernd.

Und die Zeitung hat aus einer schönen Scheinlösung eine herzerwärmende Erfolgsmeldung gemacht. Das machen Journalisten andauernd.

Und das Blog hat sich drüber aufgeregt. Das machen Blogger andauernd.

Und nun?

Singer - Am 22. December 2010 um 13:55

Böse Zungen könnten da wieder behaupten, dass es kein Wunder ist, dass ein Absolvent der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften arbeitslos ist. Nicht die Mutter eines Sohnes, der Archäologie oder Kunstgeschichte studiert hat, ruft verzweifelt an, nein, es ist die eines Publizisten. Das ist doch schön für einen Leser, wenn dessen Vorurteile durch puren Journalismus bestätigt werden.

dese - Am 22. December 2010 um 14:36

unsinniger beitrag. waere er von der bild geschrieben worden oder von der österreich, (derer beider stil dieser text waere )wuerde sich jeder zu recht über die spekulationen, nicht belegbaren mutmaßungen usw beschweren. aber da dies hier ein blog ist muss man es ja nich so genau mit der sorgfaltspflicht nehmen.

rip - Am 22. December 2010 um 15:06

Na servas. Bissl Kritik auf beiden Seiten kann ja nicht schaden, aber die anonymen Kommentare hier… pffuhh.

rip - Am 22. December 2010 um 15:18

Juhchuh! Mehr davon bitte, super Kabarett

Mia - Am 22. December 2010 um 16:11

Schockierenderweise habe ich in Österreich schon von ärgeren Interventionen gehört.

Helge Fahrnberger - Am 22. December 2010 um 17:19

Ich verstehe den Beitrag so:

Raiffeisen Raiffeisen Raiffeisen Raiffeisen Raiffeisen Raiffeisen Raiffeisen Raiffeisen Raiffeisen. Ohne dabei Raiffeisen zu erwähnen.

oeso - Am 25. December 2010 um 21:49

grundsätzlich das, was man in österreich als „rutschn legen“ bezeichnet. is ja kein geheimnis, dass politiker gute verbindungen in die redaktionen haben. kein untergang des freien journalismus oder so.

Schmadlbauer - Am 30. December 2010 um 08:33

Es ist *ziemlich* naiv, aus den Worten
>„Gnädige Frau, wäre der KURIER vielleicht etwas für ihren Sohn?“
Mit der Telefonnummer von KURIER-Chronik-Chef Michael Jäger in der Tasche beendet die Frau das Gespräch hörbar erleichert.“<
zu schließen, die "Dienstleistung" des Landeshauptmannes hätte sich auf die Telefonnummernweitergabe beschränkt.

Selbst wenn es ins Klartext-Österreichisch übersetzt heißen sollte: "Da rufst den Soundso an und richtest ihm einen schönen Gruß von mir aus, gell?"

Und dann steht die Sache ja auch noch im Kurier abgedruckt.

Ich vergönn dem jungen Mann die Chance. Aber wieso kriegt nur er die? Weil seine Mama beim Landes-[Darth] Vader betteln war? Gilt das Angebot auch für die hunderten anderen Pubilzistik-AbsolventInnen die gerne einen Job in einer Redaktion hätten?

Christoph Weber - Am 02. January 2010 um 13:17

Naja, wer will denn schon Publizisten?