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ORF & Ägypten: Ohne Gespür, unprofessionell, unanständig

Axel Maireder ist Sozialwissenschafter am Publizistikinstitut der Universität Wien. Der folgende Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog.

Der gestrige Fernsehabend war eine doppelte Enttäuschung. Zum einen erdreistete sich der ägyptische Diktator – das ägyptische Volk ignorierend – seinen schon angekündigten Rücktritt abzusagen (bzw. hinter lächerlichem Geplänkel so zu verstecken, dass er nicht gewertet werden konnte). Zum anderen kam die Berichterstattung des ORF zu den Ereignissen einem journalistischen Fiasko gleich: Nicht nur, dass es dem ORF nicht gelang für die schon seit Stunden angekündigte Rede Mubaraks einen ordentlichen Arabisch-Dolmetscher zu finden, der die ohne Zweifel historische Rede Mubaraks ohne Gestammel würdig zu übersetzen weiß. Nicht nur, dass sich die Moderatorin und ihr Gast bemüßigt fühlten eben diese Rede auch noch ständig zu kommentieren.

Nein, dem ORF gelang es sogar die Ansprache genau in jenem Moment abzubrechen, in dem der Präsident zum Schlußpunkt ansetzte und stattdessen eine Werbepause (!) einzulegen. Während die fehlende Kompetenz des Dolmetschers und die laufende Kommentierung als hochgradig unprofessionell zu bewerten sind, ist letzteres unanständig und insbesondere einem öffentlich-rechtlichem Sender zutiefst unwürdig.

Abgerundet wurde dieses traurige Bild des ORF noch von den KollegInnen bei orf.at, denen schlicht das journalistische Gespür zu fehlen schien, die Lage in Ägypten im Rahmen einer Überschrift korrekt zu bewerten. Während von CNN bis Al Jazeera, von tagesschau.de bis derstandard.at, der Unmut der Demonstranten über den nicht erfolgten formalen Rücktritt des Mubaraks als zentral für die Nachricht erkannt wurde, titelte orf.at schlicht und wenig ergreifend: “Mubarak übergibt Macht an seinen Vize”. Enttäuschend.

UPDATE (12.02, 07:30): Der ORF erklärt in einer Stellungnahme, von der derstandard.at berichtet, der Werbeblock sei notwendig gewesen um das Studio umzubauen (Und das ging nicht während der laufenden Rede von Mubarak?) und der Übersetzer hätte mit der schlechten Tonqualität der Originalaufnahme von Al Jazeera gekämpft (Okay, das erklärt es zumindest).

Screenshots von 10.2, etwa 23 Uhr:

ORF.at:

Tagesschau.de

DerStandard.at:

CNN.com

Das Sat.1-Magazin -- so ein Schrott
Versammelte Mediafails aus der Ägypten-Berichterstattung

12 Kommentar(e)

tyndra - Am 11. February 2011 um 13:13

genau so habe ich mir das gestern auch gedacht. leider brilliert der orf schon seit beginn der geschehnisse mit oberflächlichem desinteresse 🙁

Roland - Am 11. February 2011 um 13:18

Der „Dolmetscher“ war wirklich eine Frechheit. Euronews war eine gute Alternative und hat die Rede auch ohne Werbeunterbrechung gezeigt.
Beim einmaligen Durchschalten habe ich allerdings auch bei keinem anderen deutschsprachigen TV-Sender eine Sonder-/Nachrichten Sendung zur Rede gefunden.

Herr Gscheit - Am 11. February 2011 um 13:27

Eine unemotionale unparteiische orf.at-Schlagzeile ist eine korrekte Titelung für einen öffentlich rechtlichen Rundfunk. Er bezieht, im Gegensatz zur Tagesschau, keine politische Stellung, was von einem öffentlichen Rundfunk zu fordern ist.

Axel Maireder
Axel Maireder (Autor) - Am 11. February 2011 um 13:40

@Herr Gscheit: Es geht nicht darum, Stellung zu beziehen oder nicht, sondern den Gehalt der Nachricht richtig einzuschätzen. Orf.at hat hier den technokratischen und höchst zweifelhaften Vorgang der formalen „Machtübergabe“ als relevanter eingeschätzt als den Umstand, dass dieser von allen Beobachtern eben als höchst zweifelhaft eingeschätzt wird, und eben nicht dem entspricht, weswegen die DemonstrantInnen auf der Strasse sind, die Stimmung im Gegenteil weiter anheizt. Und, apropos Objektivität: „Mubarak enttäuscht das Volk“ (tagesschau) ist (mit Blick auf die Reaktionen am Tahir-Platz) genauso objektiv oder nicht wie der Inhalt der Rede eines Diktators.

jonny walker - Am 11. February 2011 um 16:00

wenn so etwas im außenministerium passiert, ist der entsprechende mitarbeiter (und evtl. sogar sein Chef) den job los

wenn so etwas in der privatwirtschaft passiert, wird jeder verantwortliche manager gefeuert

wenn so etwas beim ORF passiert, passiert gar nix … ich versteh das nicht – warum hat alles im Leben Konsequenzen, nur der ORF widerspricht sämtlichen Newton’schen Gesetzen … das kann so ja immer nur weiter bergab gehn – und keiner tut was – wie kann/soll man seine Frustration gegenüber dem ORF ausdrücken? Beim Empfang anrufen? Eingeschriebener Brief? Vorschläge?

Johannes Weissmüller - Am 11. February 2011 um 21:58

Hier kritisieren Menschen, die offensichtlich nie Verantwortung über Medienproduktion treffen mussten, wahrscheinlich auch nie Gelegenheit dazu bekommen. Der Herr Medeintheoretiker sitzt vor der TV-Fernbedienung, zappt sich locker durch, schaut ein bisserl im Internet, um dann, bequem am nächsten Tag, Daumen nach oben oder eben unten zu befinden. Ganz locker, ganz ohne Verantwortung und ganz souverän subjektiv. Und weil ORF-bashing ohnehin meist mehrheitsfähig ist hier, auch voll im Zeitgeist. Net bös sein, ich fand es auch nicht gut, wirklich nicht. Aber all jene die zu diesem Ereignis seit Wochen Tag für Tag Medien produzieren müssen, haben nicht immer, nicht über Wochen, das Personal, die Vorbereitung und die Zeit – alles richtig gut zu machen. Vielleicht schauen sie sich mal einen Medien-Produktionsprozess unter solchen Bedingungen auch mal von innen an und nicht nur im Theorie-Lehrbuch.

Axel Maireder
Axel Maireder (Autor) - Am 12. February 2011 um 00:02

Ja, genau. Meine Kritik ist die eines Rezipienten ohne nennenswerte Erfahrung in der Medienproduktion. Nur wo ist das Problem? Darf Kritik an Journalismus jetzt nur mehr von JournalistInnen geäußert werden? Oder darf ich mir als Staatsbürger, Gebührenzahler, Medienkonsument (jedenfalls weniger als Medientheoretiker) doch ev. herausnehmen, eine imho misslungene Berichterstatung „meines“ öffentl.-rechtl. TV Senders in einer historischen Stunde zu bemängeln.

Yilmaz Gülüm - Am 12. February 2011 um 14:50

„Der ORF erklärt in einer Stellungnahme der Übersetzer hätte mit der schlechten Tonqualität der Originalaufnahme von Al Jazeera gekämpft“
Und wieso war dann die Übersetzung auf ARD, NTV, Euronews, CNN usw. durchwegs gut? Glaube nicht, dass die Tonqualität von Al Jazeera beim ORF schlechter war, als bei den andern. Empfangen doch alle die selbe Originalquelle.

Frau Sokol - Am 12. February 2011 um 23:05

ad orf.at: Das sehe ich anders. Die Überschrift „Mubarak übergibt Macht an seinen Vize“ mag langweilig klingen, war aber absolut korrekt und entsprach genau dem damaligen Kenntnisstand.

Überschriften wie „Mubarak enttäuscht das Volk“ sind hingegen mehr als fragwürdig. Wer ist das Volk? Gibt es empirische Belege, dass „es“ enttäuscht ist? Oder war vielleicht nicht doch nur ein verhältnismäßig kleiner Teil – die Demonstranten – wirklich enttäuscht?

Das mag kleinlich klingen. Aber die Geschichte iste gepflastert von Bildern, die von irgendwelchen Journalisten tausende Kilometer entfernt über- unt fehlinterpretiert wurden – weil es narrativ eben gerade so gut passte. Ich erinnere etwa an den Fall der Saddam-Hussein-Statue am Firdos-Platz.

Thomas Zehetbauer - Am 13. February 2011 um 11:40

ich habe die rede selbst auf al jazeera verfolgt und hatte kein problem mit der tonqualität

Helge Fahrnberger - Am 18. February 2011 um 12:00

@Thomas: Vermutlich auf Al Jazeera English. Der ORF bezog den Stream von Al Jazeera auf Arabisch.

VonFernSeher - Am 19. February 2011 um 11:49

Die fehlerhafteste Überschrift unter den Bildschirmfotos liefert doch CNN und nicht das ORF. Mubarak hatte fast alle Befugnisse an den Vize übergeben und den Verfassungsartikel zu den Notstandsgesetzen (der Grund, warum er immer noch da war) für nichtig erklärt.

Im Übrigen gab es bei einigen Sendern Übersetzungsprobleme, was aber wohl nicht an der schlechten Tonqualität von Al Jazeera, sondern an der schlechten Redequalität von Mubarak lag, der viel geschwafelt und nur wenig gesagt hat und dauernd seine Sätze unterbrach, um sie mit neuen Floskeln zu verunstalten. Das macht es für einen Dolmetscher nicht gerade leichter – was natürlich nie und nimmer eine gute Entschuldigung für ORF, ZDF & Co. ist.