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Dschihad im Gemeindebau? Die dramatischen Folgen einer „Heute“-Falschmeldung

Einige erinnern sich bestimmt noch an die „Heute“-Story von den vermeintlichen Dschihadisten im Gemeindebau, die wir kürzlich auf Facebook hatten:

HEUTE, 19.2.2015, S1

„Heute“ versucht laut Eigenwerbung zwar, schlechten Journalismus wegzulassen, aber wenn er schon mal da ist? Von loslassen war nicht die Rede. Und so wurde diese Falschmeldung am nächsten Tag nicht nur nicht korrigiert, sondern sogar noch ein Artikel nachgelegt:

HEUTE, 20.2.2015, S8

Das Perfide: Auch die „Heute“-Redaktion wusste zu diesem Zeitpunkt bereits nachweislich, dass für die Polizei praktisch kein Terrorverdacht mehr vorlag. Dennoch behauptete das Gratisblatt wider besseres Wissen weiterhin, es handle sich um eine „Dschihad-Wohnung“ und die Polizei sei darin auf „Terrormaterial“ gestoßen. Dazu noch ein Foto vom „Tatort“-Gemeindebau. Dort gab’s zwar nie eine Tat, dafür aber in „Heute“ die genaue Adresse (inkl. Stockwerk!) der unschuldig Terrorverdächtigten.

Welche dramatischen Folgen diese Art von „Journalismus“ für die drei jungen Männer hatte, hat das ORF ZIB-Magazin gestern in einem bemerkenswerten Beitrag aufgezeigt:

Kurzfassung:
Einer hat den Job verloren. Die Wohnung wurde gekündigt. Der Briefkasten beschmiert. Die unmittelbare Wohnumgebung mit Parteiflugblättern aufgestachelt.

fpoe_gemeindebau_dschihad_flugblatt

Wer nach solchen Erlebnissen noch friedvoll bleibt, der muss schon stark im Glauben sein.

 

PS: Dominik Lagushkin hat in seinem Blog eine äußerst lesenswerte Chronologie der Ereignisse zusammengestellt.

PPS: Kurier und Profil haben die jungen Männer bereits einige Tage vor der ZIB besucht und Artikel mit weiteren interessanten Details veröffentlicht.

PPPS:
Guter Journalismus beginnt damit, dass man schlechten weglässt. ("Heute", Eigenwerbung)

"Heute" und die perfekte Hochzeitswerbung
Vulkanasche auf das Haupt des ORF

6 Kommentar(e)

Federico Harden - Am 10. March 2015 um 08:43

Stell Dir vor, Wien hätte einen Monat keine KRONE-, HEUTE- und ÖSTERREICH-Zeitungen – wohin dann mit dem unnötigen Populismus?
Man könnte glatt anfangen, sachlich zu werden und die MIT-Menschen verstehen.

ieg - Am 10. March 2015 um 09:10

Nun, aufgrund der Tatsache, dass die Berichte alle erstunken und erlogen waren, müsste es doch möglich sein, sowohl gegen die Kündigung des Jobs als auch gegen jene der Wohnung gerichtlich vorzugehen. Und vielleicht könnte im selben Aufwaschen auch die FPÖ dazu gebracht werden, sich für die unnötige Propaganda mittels Flugblättern zu entschuldigen – eventuell mit einem finanziellen Trostpflaster für die beiden Unschuldigen. Ich bin sicher, die FPÖ hat das nötige Kleingeld, da sie sich auch derart unqualifizierte Hetzflyer leisten kann.

Krummsäbelzahn - Am 10. March 2015 um 09:26

Strache geht gegen Beleidigungen gerichtlich vor (Nazar), seine Partei findet aber nicht nur nichts dabei, allgemein Hass gegen Muslime zu schüren, sondern regt an zur Hatz auf eine Hand voll junge Menschen, von denen jeder in der Nachbarschaft wusste, um wen es geht und wo genau deren Wohnung liegt. Dagegen kann, soll, muss man gerichtlich vorgehen und sowohl FPÖ, als auch „Heute“ werden HOFFENTLICH ordentlich zur Kasse gebeten. Für die zweite Falschmeldung fände ich auch eine Haftstrafe gegen die verantwortlichen Journalisten angebracht, wenn sich herausstellen sollte, dass hier tatsächlich vorsätzlich die Unwahrheit verbreitet wurde.

grilly - Am 10. March 2015 um 11:03

bzgl. PPPS, ich les‘ da immer: „Heute bringt’s auf den roten Rhombus.“ — was das wohl bedeuten mag.

zum Thema: so eine Frechheit – die Heute-Redaktion hätte so eine Verhetzung eher verdient!

Danke für’s Klarstellen!

Robert Sagl - Am 11. March 2015 um 14:22

Find ich schade, dass ihr diesen sehr guten Artikel über das Thema einfach ignoriert: https://kurier.at/chronik/wien/wien-fpoe-wirbt-mit-zeitungsente/117.993.197

Hans Kirchmeyr
Hans Kirchmeyr (Autor) - Am 11. March 2015 um 15:47

@Robert Sagl: Keine Absicht, Auslöser für diesen Kobuk war der ORF-Bericht. Leider hat der ORF „vergessen“ auf die Recherchen von Profil oder Kurier rückzuverweisen (wie’s unter Bloggern selbstverständlich wäre) – daher sind mir die schlicht entgangen. Habe jetzt aber zumindest noch das „PPS“ ergänzt 🙂