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Implosion einer Krone-Titelstory

Bösen Gerüchten zufolge hetzt die Krone auch deshalb so gerne gegen die EU, weil sie damit keinem ihrer größten Anzeigenkunden — wie z.B. der heimischen Regierung — auf die Füße tritt. Böse Gerüchte, wie gesagt, aber schwer zu entkräften, wenn wir die Titelstory der letzten Sonntagskrone etwas näher betrachten:

167 Prozent mehr für die eigene Propaganda
Spesen-Explosion im EU-Parlament!

Im Blattinneren, prominent auf Seite 3, heißt es weiter:

Freche Spesen-Explosion ohne Hemmungen im EU-Parlament

Sie predigen uns das Sparen, greifen aber selbst hemmungslos nach dem Geld, das unser Geld ist […] Den Vogel schießt aber der Posten „Förderung für Stiftungen“ der Parteien ab: von 4,3 Mio. [2008] auf 11,4 Millionen [2011]; das sind 167 %!

Ja, das wäre nicht nur in Krisenzeiten ziemlich frech von der EU — wäre es nicht die Krone, die in Wahrheit hier den Vogel abschießt.

Der aufmerksame Leser hat sich vielleicht schon gewundert, warum hier die Zahlen für 2011 mit jenen von 2008 verglichen wurden, und nicht mit jenen von 2010, was ja im wahrsten Sinne naheliegender und bestimmt auch fairer wäre. Aber um Fairness geht’s hier nicht…

Die Zahlen von 2008 sind für die Krone deshalb so verlockend, weil sie aus dem Anfangsjahr der Stiftungsförderung durch das EU-Parlament stammen. Und weil das Parlament damals erst im September die Finanzierung übernahm, decken die ausbezahlten Fördersummen für 2008 auch nur vier Monate ab (alles hier nachzulesen, incl. PDF mit Kostenaufstellung).

Das heißt, die Kronen Zeitung hat nicht nur zwei Jahre übersprungen, was alleine schon unseriös wäre. Sie hat in ihrem blinden Eifer auch noch die Zahlen für zwölf Monate im Jahr 2011 mit jenen für vier Monate im Jahr 2008 verglichen und regt sich nun fürchterlich über eine „Spesen-Explosion für Propaganda“ um ca. das Dreifache auf. Fast wäre es zum Lachen, stünde dieser haarsträubende Unsinn nicht auf der Titelseite der einflussreichsten Zeitung Österreichs.

Update: Die Krone bezieht sich auf die jüngst beschlossenen Zahlen für 2011, nicht wie ursprünglich hier geschrieben 2010 — hat also sogar zwei Jahre übersprungen. (Jahreszahlen wurden oben entsprechend korrigiert.)

Denn sie hat hier tatsächlich das Kunststück zuwege gebracht, faktisch nichts Falsches zu schreiben und dennoch die Leser komplett in die Irre zu führen. Wie nennt man das mit einem Wort? Ach ja.
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10 Kommentar(e)

Andreas - Am 25. May 2010 um 10:02

Nicht nur, dass man mit solchen Aktionen, keinem der eigenen Anzeigekunden in die Quere kommt, bereitet man damit auch hübsch das Bettchen, in dem sich dann Hans Peter Martin zu EU-Wahl-Zeiten genüsslich räkeln kann (wäh, grausliches Bild … geh weg .. ;-))

» So manipuliert die Krone · Helge's Blog - Am 25. May 2010 um 11:42

[…] Hans “Bassena” Kirchmeyr hat heute eine Geschichte gekobukt, die allerdings auch niedrige Boulevardstandards um Längen untertrifft, die Geschichte dieser Krone-Headline: […]

Florian Prischl - Am 25. May 2010 um 12:21

Die Krone hat hier sehr wohl faktisch grob falsches geschrieben!

Wenn wir den Betrag für die 4 Monate in 2008 auf das ganze Jahr hochrechnen, erhalten wir EUR 12,9 Millionen (4,3 * 3). Für 2010 betrug die Förderung EUR 11,4 Millionen.
Das ist ein absoluter Unterschied von EUR -1,5 Millionen oder von relativ -11,63% (auf die zweite Nachkommastelle gerundet) und damit eine wesentliche Senkung der Stiftungsförderung!

Natürlich ist auch diese Rechnung unvollkommen. Wie ihr richtig anmerkt, wären die Zahlen für das ganze Jahr 2009 die einzig wirklich relevanten Vergleichszahlen. Die (relativ) hohen Kosten für die 4 Monate 2008 könnten sich zB durch Anlaufeffekte ergeben.

Hans Kirchmeyr
Hans Kirch​meyr (Autor) - Am 25. May 2010 um 14:54

@Florian
Und es ist sogar noch schlimmer: Die Krone bezieht sich nämlich auf ganz neue Budgetzahlen für 2011, nicht 2010 — hat also sogar zwei Jahre übersprungen. (Habe das im Artikel oben entsprechend korrigiert.)

Brodnigs Blog - Am 05. October 2010 um 19:31

Die Wachhunde der Wachhunde…

Das Blog Kobuk.at ahndet die Verfehlungen der österreichischen Medien. Wie im Web unseriöser Journalismus auffliegt Es war eine ganz normale Titelzeile der Krone. In fetten Lettern stand da: „Spesen-Explosion im EU-Parlament!“ Gleich daneben hieß…

» Wenn sich der Medienrat mal kurz nicht tot stellt · Helge's Blog - Am 12. November 2010 um 03:28

[…] Fälle von Verletzungen von Persönlichkeitsrechten, von fahrlässiger oder auch mutmaßlich mutwilliger Falschinformation blieben auch in der Vergangenheit genauso unbehandelt wie Scheckbuchjournalismus […]

» Medienkontrolle per Social Media, ein Interview · Helge's Blog - Am 16. December 2010 um 22:38

[…] schaffen. Wenn zum Beispiel ein Kobukartikel aufgedeckt hat, dass die Kronen Zeitung ungefähr titelt: „Skandal: EU-Parlament gönnt sich 167% Steigerung der […]

Qualtingers Erbe » Kobuk, Fahrnberger, Minuten, Fehler, Heute, Krone » WIENER - Am 20. February 2011 um 14:56

[…] da in fetten Lettern am Kleinformat. Und weiter: „167 Prozent mehr für die eigene Propaganda“. Die Berechnungsgrundlage lässt sich jedoch leicht nachrecherchieren: Die Krone vergleicht 2008 mit 2011. Allein das dünkt ein wenig willkürlich, aber soll sein. 2008 […]

Phillip - Am 29. January 2012 um 18:02

Der Link unter „Ein alter Trick aus dem Hause Dichand“ funktioniert leider nicht mehr.
Das wäre der korrekte Link: https://kobuk.at/2010/05/implosion-einer-krone-titelstory/

Hans Kirchmeyr
Hans Kirchmeyr (Autor) - Am 29. January 2012 um 19:27

@Phillip: Ups, jetzt hast vermutlich im falschen der beiden Artikel kommentiert 😉 … Hab’s dennoch gefunden und hier korrigiert, Danke!