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Krone und „Österreich“ bringen Spaßvoting als ernste Titelstory

Seriöse, repräsentative Umfragen haben zwei Haken: Sie kosten Geld. Und sie brauchen Zeit. Offenbar zu viel für „Österreich“ und Kronen Zeitung.

Online-Umfragen, wie man sie auf nahezu allen Medienportalen findet, sind reine Unterhaltungselemente ohne höheren Anspruch. Sie ermöglichen auf einfache Weise Interaktivität und können zu einem gewissen Grad ein Stimmungsbild unter den aktuellen Besuchern der eigenen Website zeichnen.

Für mehr langt’s aber nicht. Dafür sind diese Votings meist zu anfällig für Manipulationen und in der schwer verzerrten Stichprobe sind naturgemäß nur Internetbenutzer enthalten, die die Website kennen, sie zufällig (oder aufgrund einer Kampagne) im Votingzeitraum besucht haben und die das Thema dann auch noch interessiert hat.

Ähnlich treffsicher wie Horoskope, sind die Ergebnisse derartiger Umfragen — abgesehen von Zufallstreffern — nie repräsentativ. Meist nicht mal für die Besucher der eigenen Website und schon gar nicht für die gesamte Bevölkerung. Aber wer wäre schon so größenwahnsinnig, das von seiner popeligen Web-Umfrage zu behaupten?

Nun, die laut Eigendefinition größen… äh „größte Tageszeitung der Welt“ zum Beispiel. Die Kronen Zeitung, letzten Samstag. Und das nicht als Praktikantenübung, gut versteckt im Blatt, sondern richtig groß, als Titelstory. Tatsächlich eine „Niederlage für die Bildungspolitik“, aber anders als die Krone meint:

Exklusiv-Umfrage [sic!] — Niederlage für die Bildungspolitik
Sitzenbleiben: 69 % gegen Abschaffung!

Und die laut Eigendefinition „beste Zeitung“, „Österreich“, am selben Tag. Natürlich auch am Cover. Gestern Reisebüro, heute Umfrage-Institut — bei dem berüchtigt flexiblen Selbstverständnis dieser Zeitungssimulation auch schon egal:

ÖSTERREICH-Umfrage zur Schule:
67 % gegen Aufsteigen mit Fünfer

„Österreich“ weist immerhin im Artikel auf die Art der Umfrage hin. Überlässt die Schlussfolgerungen daraus allerdings dem Leser:

Die Mehrheit der Bevölkerung sieht das scheinbar [sic!] anders: In einer Umfrage auf dem ÖSTERREICH-Portal oe24.at sprachen sich gestern 67 Prozent gegen Schmieds Plan aus, nur 33 Prozent wollen das Sitzenbleiben abschaffen.

Wohlweislich verzichtet wird auf die Angabe der vermutlich beeindruckend niedrigen Zahl der abgegebenen Stimmen bei dieser online nicht mehr auffindbaren Umfrage (sofern sie je existiert hat).

Dümmer als „Österreich“ lässt die Kronen Zeitung im Artikel ihre Leser sterben. Dafür gibt sie sich um so selbstbewusster:

Nach dem Debakel mit dem Lehrermangel die nächste Schlappe: […] für die Mehrheit der Österreicher [steht] fest: Die Ehrenrunde soll bleiben! In einer „Krone“-Umfrage sind knapp 70 % für das Wiederholen einer Klasse.

Die meisten Leser werden hier eine repräsentative Umfrage vermuten, die vom Blatt bei einem Institut in Auftrag gegeben wurde. Dafür stand der Ausdruck „Krone-Umfrage“ früher mal. Nur wer wirklich danach sucht, findet — unter der großen Grafik, in der kleinsten Schrift, die es im Layout gibt — ganz kleinlaut den entscheidenden Hinweis, dass die „Exklusiv-Umfrage“ auf dem Samstags-Cover ein Blindgänger eine Blendgranate ist:

Quelle: „krone.at“-Umfrage, 900 abgegebene Stimmen

(„Krone.at-Umfrage“ hat übrigens genauso viele Zeichen wie „Exklusiv-Umfrage“. Am Platz kann’s also nicht gelegen haben, dass man sich auf dem Titelblatt für letzteres entschied.)

In einer repräsentativen Umfrage 2009 für das Magazin „Format“ haben sich übrigens noch 57 % der Österreicher für die Abschaffung des Sitzenbleibens (und stattdessen Nachholen des Lehrstoffs in Extra-Kursen) ausgesprochen. Und weiter hieß es dort:

Mit steigender Bildung spricht sich sogar eine klare Mehrheit für das Abschaffen des Sitzenbleibens aus.

Dass sich auf krone.at und oe24.at hingegen eine klare Mehrheit der Voter dagegen ausgesprochen hat, sollte nicht zu dem Schluss verleiten, dass doch was dran sein könnte, an Online-Votings.

Das Titelseitenreisebüro von "Österreich"
Keine journalistische Heldentat

5 Kommentar(e)

schnee - Am 21. February 2011 um 14:19

Es ist immerhin schön, daß die „Österreich“-RedakteurInnen zumindest unabsichtlich selbstkritisch sind:„Die Mehrheit sieht das scheinbar anders“ bedeutet ja (im Gegensatz zu „Die Mehrheit sieht das anscheinend anders“), daß der Schein trügt…

nömix - Am 21. February 2011 um 15:19

Vielleicht sind das eh immer dieselben “67 Prozent“, die bei jeder Umfrage mitmachen.
(Vielleicht dieselben 67 Prozent, die 7 mal pro Woche Sex haben 😉

Hans Kirchmeyr
Hans Kirch​meyr (Autor) - Am 21. February 2011 um 15:45

Wobei ich den Verdacht habe, dass die „Österreich“-Umfrage möglicherweise nie existiert hat. Auf oe24.at führt der angebliche Umfrage-Link im Artikel nämlich nur zu einer Forendebatte. Ohne Voting. Dieses könnte zwar mittlerweile geschlossen sein, aber es ist unüblich, dass abgeschlossene Votings einfach von einer Seite verschwinden, ohne zumindest das Ergebnis anzuzeigen. Auch ist die Nähe zum Krone-Resultat verdächtig, da derart ähnliche Ergebnisse bei dieser „Umfrage-Methode“ reiner Zufall wären.

Weiß zufällig jemand, wann die Samstags-Krone Redaktionsschluss hat und wann „Österreich“? 😉

suit - Am 24. February 2011 um 13:28

„Mit steigender Bildung spricht sich sogar eine klare Mehrheit für das Abschaffen des Sitzenbleibens aus.

Dass sich auf krone.at und oe24.at hingegen eine klare Mehrheit der Voter dagegen ausgesprochen hat, sollte nicht zu dem Schluss verleiten, dass doch was dran sein könnte, an Online-Votings.“

EPIC 😀

Wolfgang K. - Am 10. March 2011 um 07:29

[off topic]

warum verwendet ihr überall falsche Anführungszeichen (sogar vorne und hinten falsch)?
“Österreich” statt Österreich oder findet ihr die Zeichen nicht auf der Tastatur? 😉

Das ist extrem störend.