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Günther Lassi und die Anatomie einer „Medienkrise“

Roland Düringer protestiert in einem Facebook-Video „aufs Schärfste gegen die empörend falsche Berichterstattung“ über die Nummer 1 auf seiner Liste „Gilt“, Günther Lassi. Rudi Fussi, der die Liste mit seiner PR-Firma berät, schreibt auf Twitter vom „Ausdruck einer massiven Medienkrise in Österreich“. Stimmt das? Eine Spurensuche.

Tatsächlich hat Günther Lassi auf seiner mittlerweile abgedrehten Website (die sich weiterhin im Archiv der Wayback Machine findet) die antisemitische Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ als PDF zum Download angeboten. Und tatsächlich findet sich an anderer Stelle seiner Website auch Wilhelm Reichs Buch „Die Massenpsychologie des Faschismus“. An wiederum anderer Stelle bot Lassi den Text „Esoterische Ufologie und ihre rechtsextreme Schlagseite“ zum Download an, in dem die Protokolle der Weisen von Zion in einem halben Absatz behandelt und als „rassistisch“, „lebensverachtend“ und „unmenschlich“ bezeichnet werden.

Düringer argumentiert daher, Medien hätten zu Unrecht behauptet, Lassi sei Antisemit, und sie würden ihn „vorführen“. Und tatsächlich hat kein Medium in der Berichterstattung erwähnt, dass Lassi neben dem antisemitischen Text auch zwei Texte veröffentlicht hat, die man als antifaschistisch bezeichnen kann. Düringers Frustration über das Licht, in dem Lassi medial erscheint, ist also verständlich.

Eine „empörend falsche Berichterstattung“ kann man den Medien jedoch nicht vorwerfen:

  1. Entgegen Düringers Behauptung, hat, soweit ich sehen kann, kein Medium Lassi als Antisemiten bezeichnet. Die ZIB1 berichtete am Dienstag wahrheitsgemäß, Lassi „sorgt mit antisemitischem Posting für Aufregung“ und „hatte zur antisemitischen Hetzschrift verlinkt“. Die Oberösterreichischen Nachrichten sprachen vom Publizieren eines antisemitischen Pamphlets, der Standard vom Verlinken antisemitischer Inhalte, die APA-Meldung zur Angelegenheit von einem „Link zum antisemitischen Pamphlet“ und Heute, die als erstes über die Sache berichtet hatten, schrieben wahrheitsgemäß „Spitzenkandidat verbreitet Antisemitismus“. Lediglich Puls4 betitelt auf seiner Website den entsprechenden Nachrichtenbeitrag mit „Antisemitischer Spitzenkandidat?“, im Beitrag kam aber auch das nicht vor. Medien haben also faktentreu berichtet. Zumindest wenn man von der kleinen Unkorrektheit absieht, dass die meisten Medien von einer Verlinkung berichteten, das Pamphlet aber in Wirklichkeit als PDF auf der Seite selbst hochgeladen worden war.
  2. Auch der Nachrichtenwert ist gegeben: Wenn die Nummer eins der Bundesliste einer bundesweit zum Nationalrat kandidierenden Liste auf seiner Website einen antisemitischen Text veröffentlicht, ist das wohl berichtenswert.
  3. Entgegen der Darstellung Düringers waren die beiden antifaschistischen Texte nicht im gleichen Kontext veröffentlicht wie der antisemitische, sondern an anderer Stelle der Website. Kein Medium hat also eine Relativierung oder Einordnung des Pamphlets unterschlagen, eine solche gab es nicht.

Für die „massive Medienkrise“ müsste man sich also andere Beispiele suchen.

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5 Kommentar(e)

Martina Mair - Am 02. September 2017 um 12:46

Das ist eine sehr eigenartige Sicht der Sache, da es ja auf den Gesamtzusammenhang an kommt und wie etwas von den Rezipientinnen wahrgenommen wird. Aufgabe von JournalistInnen ist doch die RECHERCHE. Warum gab es früher den Grundsatz „check – recheck – double check“. Natürlich wurde implizit – und vor allem auf facebook sogar massiv EXPLIZIT – dem G!lt-Kandidaten Antisemitismus vorgeworfen! Dass auch kobuk hier sehr manipulativ arbeitet ist bezeichnend für die Allgegenwart des Sumpfes in Österreich!

Die antifaschistischen Schriften sind auf der gleichen Homepage zu finden im gleichen Downloadbereich, also im gleichen Zusammenhang! Das antisemitische Pamphlet – das vor rund 100 Jahren produziert wurde, um genau die esoterisch angehauchte Szene anzusprechen – ist an letzter Stelle in der Rubrik „Orden“ zu finden. Wenn Günter Lassi und Düringer sich rasch von dieser Schrift distanzieren und Unachtsamkeit einräumen, warum sollen wir diesen Menschen nicht glauben? Warum gilt hier das Menschenrecht auf ein FAIRES Verfahren und auf die Unschuldsvermutung nicht?

Wurde das antisemitische Pamphlet vor rund 100 Jahren nicht gerade deshalb erstellt, um die Esoszene zu ködern? Wie viele Menschen wissen überhaupt etwas über die Schrift? Wer kennt diese selbst und kann beurteilen ob einem Esojünger auf den ersten Blick auffällt, dass das antisemitischer Schund ist?

Ist diese zwanghafte Sucht andere Menschen zu denunzieren um selbst sich auf die Schulter zu klopfen nicht so etwas wie „Faschismus andersrum“? Wo bleibt das Abwägen zwischen Pro und Contra? Wo bleibt die kritische Selbstreflexion, DER Grundsatz der Aufklärung?

In Graz ist man gerade dabei, im wahrsten Sinne des Wortes über ein NS-Lager drüberzubetonieren, das auch Zwischenstation am Todesmarsch 1000er ungarischer Juden war und wo möglicherweise noch Opfer in Bombentrichtern verscharrt sind, der Pressesprecher des ÖVP Bürgermeister Siegfried Nagl gegen Pause zur Aufarbeitung ist, weil das ja bloß ein Arbeitslager wie andere auch gewesen sei. Wo bleibt da die große Aufregung auf Fakebook? Mehr als zu Berichten in der Lokalspalte reicht es da seltsamerweise nicht … https://derstandard.at/2000062848879/Schrebergaerten-auf-ehemaligem-NS-Zwangsarbeitslager-in-Graz

Massive Medienkrise ist übertrieben, derartige Oberflächlichkeit und Verlogenheit ist ja leider der „Normalzustand“

Kleine Frage zwischendurch: Wer berichtet schon darüber, dass die AMS-Berichterstattung meistens extrem einseitige Hofberichterstattung ist und laut AMS-Statistik in 2/3 der Bundesländer mitunter im Quartal kein einziger kritischer Bericht erscheint.

Martina Mair - Am 02. September 2017 um 12:49

Nachtrag: Auch kobuk scheint, wenn es in den eigenen ideologischen Kram passt nach dem alten Prinzip „auf alle Fälle Recht behalten“ zu agieren statt eine Sache von MEHREREN Seiten zu betrachten! 🙁

Die Meute der eigenen Blase hat eben immer Recht …

Helge Fahrnberger
Helge Fahrnberger (Autor) - Am 05. September 2017 um 11:53

Liebe Frau Mair, Sie haben das Recht auf Ihre eigene Meinung aber nicht auf Ihre eigenen Fakten. Die antifaschistischen Texte waren nicht im gleichen Zusammenhang publiziert wie das Pamphlet. Sie waren nicht einmal auf der selben Seite verlinkt, sondern auf einer anderen Seite dieser ziemlich umfangreichen Rubrik „Bibliothek“.

Verena Kövari - Am 06. September 2017 um 10:25

Sehr geehrter Herr Fahrnberger!

Die tendeziöse Berichterstattung von Heute war das Grundübel. Das Wort „verbreiten“ ist das Problem, da es sehr irreführend ist. Beim Wort „verbreiten“ klingt nämlich eine aktive Handlung mit, es wird assoziiert mit vervielfältigen, bewerben oder auch verteilen.
Und ja, es enttäuscht mich sehr, dass Sie den Medien nicht vorwerfen, dass niemand es der Mühe wert fand, beim DÖW anzurufen. Wie kann man jemanden 2015 derart anprangern und diese Meldung NICHT aktualisieren. Es wäre die Aufgabe des DÖW gewesen herauszufinden, ob bei den Untersuchungen etwas herauskam und das Ergebnis dann ebenfalls zu posten.

Wo wir beim den anderen problematischen Wörtern sind: bei „posten“ schwingt die Aktualität mit, als hätte er es vor kurzem getan, außerdem ist ein Posting eine Einzelmeldung und wird üblicherweise nicht für gesammelte Werke verwendet.
Und das Wort „publizieren“ klingt ebenfalls so, als hätte er den Inhalt direkt auf die Webseite kopiert.

Daher ja, es ist eindeutig tendenziöse Berichterstattung gewesen! Auch wenn man das mit mangelnder Bildung oder mangelnder Sensibilität der Journalisten entschuldigen würde, es wirft trotzdem ein bedenkliches Bild auf unsere Medienlandschaft.

Helge Fahrnberger
Helge Fahrnberger (Autor) - Am 06. September 2017 um 11:40

Und das Wort „publizieren“ klingt ebenfalls so, als hätte er den Inhalt direkt auf die Webseite kopiert.

Das hat er. Er hat das antisemitische Pamphlet nicht nur verlinkt sondern auf seine Website geladen. Was den Rest betrifft: Ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass man den Medien hier keine groben Fehler vorwerfen kann. (Besser geht’s natürlich immer.)