Heute-Chefredakteur Christian Nusser sieht seine Zeitung zu unrecht an den Pranger gestellt. Auch andere Medien haben in den vergangenen Jahren ungewöhnlich viel Inseraten-Geld vom Finanzministerium bekommen. Hat er damit Recht? Die Kurzfassung: Er hat jedenfalls nicht völlig unrecht.
Inserate aus der öffentlichen Hand sind in Österreich so eine Sache. Die Regierung kann über die Ministerien praktisch unbegrenzt viel Steuergeld an Medien überweisen. Es gibt keine Gesetze, die etwa den Rahmen, den Zweck, oder eine verpflichtende Evaluierung über die Wirksamkeit solcher Werbeausgaben festlegen. Und sagen wir mal so: Nicht nur wir bei Kobuk hatten in den letzten Jahren immer wieder die Vermutung, dass mit diesen Geldern wohlwollende Berichterstattung gekauft wird; oder umgekehrt: Dass PolitikerInnen niedergeschrieben werden, wenn sie zu wenig bezahlen.
Seit vergangener Woche steht die Zeitung „Heute“ und ihre Herausgeberin Eva Dichand im Fokus dieses Verdachts. Der Falter hat die Causa hier und hier sehr lesenswert zusammen gefasst. Wir erinnern uns: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Thomas Schmid und Wolfgang Fellners OE24, weil dort über das „Beinschab-Tool“ mutmaßlich gefälschte Umfragen publiziert wurden. Als „Belohnung“, so der Verdacht, öffnete das Finanzministerium den Geldhahn und ließ Inseratengelder in die Kassen der Fellners fließen. Soweit, so bekannt.
Der Falter schreibt nun über den neuen Vorwurf der Staatsanwälte: „Damit der Deal, den die Türkisen mit Fellners Österreich-Gruppe mutmaßlich geschlossen haben, um Kurz mit frisierten Umfragen zu pushen, nicht auffliegt, wurden auch die Blätter der Dichands fett bedient.“
Diese Grafik aus dem Standard illustriert den Vorwurf sehr gut:
Von 2015 bis 2021 steigen die Inseratenausgaben aus dem Finanzministerium extrem an. Als im Oktober 2021 eine Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt zum Rücktritt von Sebastian Kurz führt, ist die Party schlagartig vorbei.
Nun rückt Heute-Chefredakteur Nusser zum publizistischen Gegenschlag aus. Nicht nur die Boulevard-Medien hätten viel Geld bekommen, sondern alle Medien, so Nusser sinngemäß. Er wirft seinen Kritikern vor, zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Inseratengeld zu unterscheiden. Gut sei es immer dann, wenn man es selbst bekommt. Schlecht, wenn es die Boulevardmedien bekommen. Im gleichen Zeitraum, in dem Heute, Krone und Österreich mit Geld quasi überschwemmt worden sind, hätten auch Profil, Kleine Zeitung und andere erheblich mehr Inserate aus dem Finanzministerium erhalten. Nusser schreibt:
Das alles passierte still und leise. Es war gutes Geld.
Hat er also Recht? Sind alle Medien gleich?
Ich habe mir das genauer angesehen. Vorweg: Das ist gar nicht so einfach, denn die Inseratengelder werden zwar in einer Medientransparenzdatenbank quartalsweise veröffentlicht. Allerdings werden die Daten nach rund zwei Jahren wieder gelöscht. Aktuell sieht man die Daten nur ab 2021, was schon ein dezenter Hinweis darauf ist, wie ernst es die Politik mit Medientransparenz nimmt. Oder eben nicht.
Aber zurück zum Thema. Die FH Johanneum in Graz hat dankenswerter weise ein Portal eingerichtet, auf der alle diese Daten abrufbar sind. Schauen wir uns zum Beispiel den Kurier an:
Der Verlauf ist den Boulevardzeitungen recht ähnlich: 2015 gab es noch 0 Euro aus dem Finanzministerium, 2018 dann knapp 280.000 Euro, und nochmal 2 Jahre später, 2020, waren es dann rund 444.000Euro, ehe die Ausgaben 2022 wieder auf etwa 113.000 Euro sanken.
Nicht unähnlich die Styria Gruppe, zu der unter anderem Presse und Kleine Zeitung zählen:
Von läppischen 8150 Euro 2015 auf über 1,2 Millionen Euro im Jahr 2020, und zurück auf 280.000 Euro 2022.
Ein bisschen anders sieht das beim Standard aus:
Anders als bei den anderen Medien, gab es 2022 keinen ganz so starken Rückgang. Die 117.000 Euro für Inserate aus dem Jahr 2022 sind nicht viel weniger, als die 129.000 Euro aus dem Jahr davor.
Bei den Wochenmagazinen sieht es ähnlich aus. Hier die Zahlen für die Verlagsgruppe News:
Also hat Nusser Recht? Haben alle Medien gewaltige Summen aus dem Finanzministerium kassiert, und sind jetzt auf einem Auge blind? Nein, nicht alle:
Der Falter hat gerade mal in zwei Jahren Geld aus dem Finanzministerium erhalten: Einmal knapp 6.000 Euro, einmal 5.200 Euro. Das sind Peanuts im Vergleich zu den Summen, um die es bei den anderen geht.
Jetzt könnte man vielleicht glauben: Das liegt daran, dass der Falter eine Wiener Wochenzeitung ist, und das Finanzministerium mit den Einschaltungen ganz Österreich erreichen wollte. Es gab irgendwas besonders Wichtiges zu kommunizieren, daher hat man sich nur an die ganz großen, österreichweit relevanten Medien gewandt.
Doch Moment: Das größte Medienunternehmen des Landes hatten wir ja noch gar nicht, den ORF (Disclaimer: Ich bin ORF-Journalist)
Was immer in den Jahren 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 so wahnsinnig wichtig zu kommunizieren war, dass Millionen Euro Steuergeld an Inseraten in Zeitungen rechtfertigen soll: Es war jedenfalls nicht wichtig genug, um auch im ORF darüber zu informieren. Weder online, noch im Radio, noch im Fernsehen.
Es stimmt also nicht, dass alle Medien gleich behandelt wurden. Außerdem: Wenn alle Medien gleich korrupt sein sollen, oder falls sich Thomas Schmid lediglich den Kronzeugen-Status erschwindeln will, wie Eva Dichand argumentiert, dann hätte er auch alle anderen Medien ebenso beschuldigen können. Komischerweise sind aber nur von Eva Dichand Chats öffentlich geworden, in denen sie sich über mangelnde Inserate beschwert und mit „wir können auch anders“ droht.
Nusser hat aber Recht wenn er sagt, dass jedenfalls sehr viele mehr als nur die Boulevardmedien von der rätselhaften Geldschwemme aus dem Finanzministerium profitierten. Ob damit positive Berichterstattung in einem, manchen oder allen Medien gekauft werden sollte, oder ob die Gelder nur dazu dienten die Ausgaben für das Beinschab-Tool in OE24 zu verschleiern, wird die Justiz ermitteln.
Fest steht jedenfalls: Inserate sind ein Spielzeug der Regierung geworden, das völlig außer Kontrolle geraten ist. Und solange es keine klaren Regeln gibt, wann, wo, in welchem Ausmaß und zu welchem Zweck Ministerien Inserate schalten dürfen, ist nicht davon auszugehen, dass sich daran etwas ändert.
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Ergänzung: Die y-Achsen der Grafiken sind nicht einheitlich und können daher auf den ersten Blick täuschen. In absoluten Zahlen gibt es freilich große Unterschiede zwischen den einzelnen Medienhäusern, die teilweise (wohl aber nicht vollständig) mit der Zahl der Leser:innen erklärt werden können. Es ging bei der Analyse auch weniger um absolute Werte, sondern um die Frage, ob die Dynamik eine vergleichbare wie bei den Boulevardblättern ist. Sprich ob nach 2015 die Zahlen aus dem BMF stark gestiegen sind, und 2022 wieder stark gefallen sind.
Kobuk.at hat drei Monate lang alle Meinungselemente der Tageszeitungen „Die Presse“, „Der Standard“, „Kronen Zeitung“ und „Kleine Zeitung“ analysiert. 68 Prozent aller Kommentare, Glossen und Kolumnen wurden dabei von Männern geschrieben; sieht man sich nur die Leitartikel an, ist das Missverhältnis noch deutlicher: Frauen haben weniger als ein Fünftel dieser Texte verfasst.
Kritische Kommentare, satirische Glossen, humorvolle Rezensionen: Persönliche Meinung kommt in österreichischen Tageszeitungen nicht zu kurz. Meinungsartikel beeinflussen, worüber eine Gesellschaft spricht, was überhaupt als Nachricht wahrgenommen wird oder welche Themen auf Twitter besonders polarisieren – und ziemlich oft stammen sie in Österreich von Männern.
Kobuk.at hat zwischen 1. Oktober und 31. Dezember 2022 alle Print-Ausgaben von „Die Presse“, „Der Standard“, „Kronen Zeitung“ und „Kleine Zeitung“ auf diverse Meinungsartikel hin untersucht. Insgesamt wurden in allen vier Tageszeitungen 2.741 Leitartikel, Kommentare, Glossen oder Kolumnen abgedruckt. 1.869 davon waren von Männern – also etwa 2 von 3 Texten, gerade einmal 872 von Frauen. Männer waren damit Verfasser von 68 Prozent aller Meinungselemente.
Einen starken Männer-Überhang gab es dabei nicht nur in den Boulevard- und Mid-Market-Blättern („Kronen Zeitung“ und „Kleine Zeitung“), sondern auch in den Qualitätsmedien „Die Presse“ und „Der Standard“.
So bat die bürgerlich-konservative Tageszeitung „Die Presse“ im dreimonatigen Beobachtungszeitraum Männer 494 Mal (72 Prozent der Meinungsartikel) um ihre Meinung zu aktuellen Themen, Frauen hingegen nur 190 Mal (28 Prozent). „Der Standard“ verfügt zwar seit über 20 Jahren über ein eigenes Ressort für Frauenpolitik mit eigener Website (dieStandard.at), aber auch dort waren 63 Prozent der Meinungsartikeln von Männern – 37 Prozent von Frauen. Das ist zwar besser als in der „Kronen Zeitung“, aber nicht viel besser – hier waren 72 Prozent der Texte von Männer, 28 Prozent von Frauen.
Wo sind die Frauen?
Bemerkenswert ist aber nicht nur, wie selten Frauen Meinungsartikel schreiben, sondern auch worüber. So zeigt die Kobuk-Analyse, dass Frauen überwiegend über sogenannte klassische Frauenthemen schreiben: Familie, Gesundheit, Liebe oder Kunst und Kultur. Insbesondere am Wochenende – und vorwiegend in den Sonntagsausgaben in Form von Glossen, Kolumnen oder Rezensionen.
Selbst wenn Frauen politische Kommentare schreiben, dann waren es häufig Frauenthemen: Proteste im Iran, Gewalt gegen Frauen, oder Gleichberechtigung der Geschlechter, Kinderbetreuung, Gesundheitspolitik oder Equal Pay Day. Die große Mehrheit der Hard-News-Themen wie politische und wirtschaftliche Kommentare war klar männerdominiert, siehe Grafik. Überspitzt gesagt: An vielen Tagen kommentieren in österreichischen Zeitungen Männer auf den vorderen Seiten über die Regierung, Steuerreform und Korruption, und auf den hinteren Seiten Frauen über Beziehungen und wie schwierig es ist einen Kindergarten-Platz zu bekommen.
Leitartikel, das wohl wichtigste Aushängeschild eines Printmediums (gibt es bei den ausgewählten Medien nur in „Die Presse“ und „Kleine Zeitung“, Anm.), wurden Frauen nur in 33 Fällen überlassen. Männer durften sich für den prominenten ‚Platz gegenseitig 137 Mal das Wort reichen (80 Prozent).
Stichwort traditionell männlich/weiblich konnotierte Themen: In den Sportressorts, wo Frauen nach wie vor eine Branchenminderheit darstellen, war das Ungleichgewicht erwartungsgemäß besonders stark ausgeprägt: Weibliche Stimmen zu Sportereignissen gab es in allen Medien nur 15 Mal. Zum Vergleich: Männer schrieben 97 Mal über Wettbewerb, Sport und Spiel.
Woher kommt die Diskrepanz?
In Österreichs Redaktionen arbeiten laut dem Österreichischen Journalismusreport heute etwa gleich viele Frauen wie Männer. In den Führungsetagen sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert: In allen vier Medien sitzen Männer in den Sesseln der Chefredakteure – und Kommentare werden nun mal häufiger von leitenden Redakteur:innen verfasst.
Aber nicht nur. Neben den Meinungsartikeln der Journalist:innen, gibt es in allen vier Zeitungen auch Kolumnen und Kommentare von Gastautor:innen. Wenn eine Zeitung also wirklich möchte, könnte sie das redaktionsinterne Geschlechterungleichgewicht damit aufheben und auf 50 Prozent Frauenquote kommen. Doch auch hier zeigt die Analyse klar: Weitaus mehr hausfremde Experten als Expertinnen bekommen eine mediale Plattform.
Kommentar der anderen (Männer)
In der „Kronen Zeitung“ etwa wurden externe Autoren 91 Mal (63 Prozent) abgedruckt, externe Autorinnen nur zu 54 Anlässen (37 Prozent). In dieser Kategorie ist der linksliberale Standard sogar deutlich schlechter als die Krone: 137 Gastkommentatoren (81 Prozent) standen dort 33 Gastkommentatorinnen (19 Prozent) gegenüber. Wenn also im Standard auf der Meinungsseite „Kommentar der anderen“ Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen über aktuelle Geschehnisse schreiben, waren das somit in aller Regel Männer.
Tage zu finden, in denen Frauen öfter zu Wort kamen als Männer, wurde zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen. In drei Monaten kam das nur in 50 der insgesamt 346 Ausgaben vor. Demgegenüber gab es 38 Ausgaben aller vier Medien, in denen kein einziger Kommentar von einer Frau abgedruckt. Allein 25 Tage davon sind der „Kronen Zeitung“ zuzurechnen, einmal gleich an drei aufeinanderfolgenden Tagen, an denen jeder einzelne Meinungsartikel von Männern verfasst wurde.
Ein verfrühtes Geschenkt bereitete die „Kleine Zeitung“ in der letzten Adventwoche: Zum ersten (und letzten Mal) in drei Monaten kam am 21. Dezember vor, dass in einer Ausgabe kein einziges Mal ein Meinungsartikel von einem Mann veröffentlicht wurde. Alle Kommentare, Glossen und Kolumnen haben Frauen verfasst, auch den Leitartikel (über den Equal Pay Day). Ein Weihnachtswunder – jedenfalls in Österreich.
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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.
Wer sich für das Thema Finanzen interessiert, stolpert im Internet regelmäßig über reißerische Artikel, die großen Reichtum versprechen. Zum Beispiel: “Diese vier Aktien haben die Lizenz zum Gelddrucken”, oder sogar: „Mit russischen Aktien ist noch viel Geld zu holen“: Folgt man den Links, stellt sich in der Regel heraus, dass es sich um einen Schwindel handelt. Im besten Fall sitzt man Clickbait auf – im schlimmsten Fall einer Betrugsmasche.
Doch diese Artikel sind nicht auf einer dubiosen Seite veröffentlicht worden, sondern in der Presse – immerhin eines der österreichischen Qualitätsmedien. Im Wochentakt schlägt dort Redakteur Eduard Steiner den Leser:innen im Format „Let’s make money“ Aktien vor, mit denen sich “jetzt noch Geld verdienen lässt”, wie er vollmundig verspricht. Ein Versprechen, das oft nicht hält.
So ziemlich alles in dieser Rubrik ist daneben. Die angepriesenen Versprechen sind bestenfalls als unseriös zu bezeichnen, der Stil einer Qualitätszeitung unwürdig, und vor allem: Die handverlesenen Aktientipps taugen nichts. Aber der Reihe nach:
Let’s burn money
Wir haben ein fiktives “Presse-Portfolio” aufgebaut und sind Steiners Empfehlungen ein halbes Jahr lang gefolgt. Von Anfang Jänner bis Ende Juni haben wir jede Woche um den selben Betrag jene Aktien “gekauft”, die “Let’s make money” bewirbt. Passend zum Grusel an Halloween wollten wir Ende Oktober wissen, ob wir – Steiner sei Dank – endlich in Frühpension gehen können.
Aber daraus wird nichts: Die Performance des “Presse-Portfolios” war erschreckend. Nur 22 der Presse-Aktien (31%) warfen Gewinn ab, die restlichen 49 (69%) verloren an Wert. Durchschnittlich haben wir mit den 71 Aktien 10,78% unseres Einsatzes versenkt. Wobei wir in unserer Simulation keine Handelsgebühren bezahlt haben – in der Realität wäre das Minus also noch dicker gewesen. Hier eine Liste mit allen Empfehlungen und wie sie sich seither entwickelt haben:
Als besonders tiefer Griff ins Klo erweist sich Gazprom. Steiner legt uns die Aktie des kremlnahen Unternehmens am 9. Jänner nahe. Am 18. titelt er: „Mit russischen Aktien ist noch viel Geld zu holen“. Zu diesem Zeitpunkt kündigt sich der Krieg in der Ukraine bereits an: An der ukrainischen Grenze stehen 100.000 russische Soldaten Gewehr bei Fuß.
Das scheint Steiner aber nicht zu stören. Er erwartet “Traumdividenden” und “im nächsten Jahr möglicherweise 20 Prozent”. Naja: Nach Beginn des Kriegs verliert der in den USA notierte Titel 95% seines Werts. Inzwischen ist die Aktie im Westen nicht mehr handelbar, also ein Totalverlust.
Auch andere von der Presse beworbenen Aktien waren ein Desaster. So schrieb Steiner Ende Februar über Barrick Gold: “Kursgewinne von 50 Prozent sind durchaus möglich”. Zum 31.10. hat das Papier aber ein Drittel seines Werts verloren. „Einige Analysten sehen Verdopplungspotenzial“ meinte Steiner über Thyssen Krupp Mitte Mai. Auch diese Aktie stürzt um knapp 35% ab. Puma und Shop Apotheke haben sich seit der Empfehlung sogar mit minus 50% halbiert. Bei insgesamt 16 der beworbenen Aktien beträgt der Wertverlust zumindest 30 Prozent – das ist mehr als jede fünfte Empfehlung!
Das Orakel von Styria
Natürlich gelingt Steiner auch der ein oder andere Glücksgriff. Wer zum Beispiel dem Tipp gefolgt ist, in Schoeller-Bleckmann zu investieren, hat tatsächlich gutes Geld verdient.
Wenn allerdings mehr als zwei Drittel der Spekulationen in die Hose gehen, bietet „Let’s make money“ keinen echten Mehrwert für Anleger:innen. Sie könnten ihr Geld genauso gut auf Münzwürfe verwetten. Oder im Casino Black Jack spielen: Die durchschnittliche Chance, eine Runde zu gewinnen, liegt hier bei 40%.
In der Finanzwelt firmiert Steiners Strategie übrigens unter den Namen “Stock Picking” und “Market Timing”. Bei diesem Ansatz wählen Anleger:innen einzelne Aktien zum vermeintlich richtigen Zeitpunkt aus und versuchen so eine bessere Rendite einzufahren, als der gesamte Aktienmarkt im Durchschnitt erwirtschaftet. Die große Mehrheit der Privatanleger:innen verliert mit dieser Strategie Geld – das zeigen Studien. Das selbe gilt sogar für professionelle Fondsmanager, wie Business Insider berichtet.
Börsen-Orakel sind also schlichtweg unseriös. Das ist wohl auch der Grund, warum die meisten Qualitätsmedien im In- und Ausland auf Aktientipps verzichten. Es ist recht simpel: Wer als Medium eine Verantwortung dem Publikum gegenüber verspürt, der weiß auch, dass Aktientipps und die Kursziele der Analysten schlicht besseres Casino sind. Und genau dieses Verantwortungsbewusstsein bleibt bei „Let’s make money“ auf der Strecke.
Nur Information und keine Tipps?
Wir haben Eduard Steiner mit den Ergebnissen unseres Experiments konfrontiert und ihn um eine Stellungnahme gebeten. Der Presse-Redakteur verteidigt „Let’s make money“ ausführlich in einer E-Mail:
Bei der Kolumne handle es sich „nicht um Tipps – wie klar angegeben“, sondern „um Informationen für Zeitgenossen, die aufs Geld schauen“. Hauptintention des Formats sei es, die Leser:innen darüber zu informieren, wie Analysten börsenotierte Unternehmen einstufen.
„Stock Picking ist tatsächlich heikel“, meint Steiner weiter. Man würde die Strategie deswegen auch nicht bewerben. Nur ein langfristiger Investitionsansatz sei sinvoll – auch darauf weise man hin. „Einzelne Aktien werden höchsten als Idee für eine dosierte Beimischung zu einem breitgestreuten Portfolio besprochen“, so der Presse-Redakteur. Von diesem „breitgestreuten Portfolio“ und wie dieses aussehen sollte, liest man in seiner Kolumne aber nichts.
Er verteidigt auch die Gazprom-Empfehlung: Die Aktie sei „zu vielen Zeitpunkten ein gutes Investment“ gewesen. Dass sie – und viele andere der vorgeschlagenen Titel – schlecht performt haben, erkläre sich mit einer Force Majeur. Gemeint ist damit der Krieg in der Ukraine, der ja nicht vorhersehbar gewesen sei. Steiner: „Sich für eine Force Majeur zu entschuldigen, käme einer Vermessenheit meinerseits gleich. Bezeichnenderweise hat auch niemand der Leserinnen und Leser mir in dieser Sache geschrieben – geschweige denn eine Entschuldigung erwartet.“
Bären(markt) aufgebunden
In einigen Punkten muss man Steiner fairerweise recht geben: Das Jahr 2022 war für Aktien tatsächlich kein gutes. Inflation, der Krieg in der Ukraine und die Leitzinserhöhung durch die Zentralbanken hat in vielen Ländern die Kurse in den Keller geschickt. Gerade in so einer Situation würde man aber von einer Qualitätszeitung erwarten, dass sie über die Risiken aufklärt und ganz deutlich sagt, dass wer jetzt gerade Aktien kauft, kurzfristig mit einigen Verlusten rechnen muss. Nur lassen sich mit solchen Warnhinweisen keine wöchentliche Kolumnen füllen.
Steiner führt für sich ins Treffen, dass am Ende der Artikel der rechtlich verpflichtende Hinweis erfolgt, dass es sich nicht um Kaufempfehlungen handelt. Das Risiko, dass naive oder unerfahrene Anleger:innen den Tipps folgen und Geld verlieren, bleibt aber. Und ja, aus unserer Sicht handelt es sich um Tipps. Die Leser:innen werden Titel wie „Zwei heiße Spekulationsaktien mit 200 Prozent Gewinnchance“ wohl kaum als Aufforderung verstehen, die Finger von diesen Aktien zu lassen.
Steiner behauptet in seiner Stellungnahme am Schluss noch, er mache keine Versprechen: „Die Titel sind so gut wie immer mit Modalverben („könnten“, „dürften“) gebildet“. Auch dieser Argumentation können wir nicht folgen. Was soll „Mit russischen Aktien ist noch viel Geld zu holen“ sein, wenn kein Versprechen?
Noch dazu eines, das Steiner nicht einhalten konnte. Wie so viele andere: In Wahrheit sind die einzigen, die mit solchen Artikeln Geld verdienen, nämlich die Presse selbst. Über billigen Clickbait Werbeeinahmen zu lukrieren ist im Internet ein weit verbreitetes Unding. Ist das einer Qualitätszeitung würdig? Wohl kaum.
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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.
Von über mehr als 100 Sex-Attacken berichteten alleine Österreichs größte Medien im vergangenen Jahr. Dabei ging es um so genannte „Sex-Unholde“, „Sex-Strolche“, „Sex-Richter“, „Sex-Opas“. Aber wer sind diese Leute? Ist ein Sex-Lehrer also einfach ein professioneller Ausbildner? Kostet ein Sex-Opa einfach seinen Lebensabend aus? Und welchen Lausbubenstreich hat sich wohl ein Sex-Strolch schon wieder erlaubt? Tatsache ist, dass all diese Begriffe Vergewaltiger bezeichnen oder Menschen, die im Verdacht stehen, jemanden sexuell belästigt oder missbraucht zu haben – zumindest auf den bunten Seiten des österreichischen Boulevards.
Gang und gäbe ist aber der Begriff „Sex-Attacke“. Das Wort muss als Synonym für so ziemlich alles herhalten, was irgendwie mit sexueller Gewalt zu tun hat. Vor allem in „Österreich“ und der „Kronen Zeitung“ wimmelt es von „Sex-Attacken“. Alleine in der gedruckten Ausgabe von „Österreich“ kam das Wort im Jahr 2018 38-mal vor, in der Print-Krone 29-mal. Die seltsame Wortschöpfung ist aber keine Eigenheit des Boulevards. Auch Regionalmedien, die „Presse“ und sogar etwa APA bedienen sich des bequemen Wortes „Sex-Attacke“.
Fehlende Differenzierung
Bequem deshalb, weil es alles bedeuten kann: von belästigenden Aussagen über Berührungen bis hin zur Vergewaltigung. Hier liegt das erste Problem des Begriffs: Er wirft alle Taten in einen Topf. Denn auch wenn alle Übergriffe – egal ob verbal oder physisch – furchtbar sind, müssen sie unterscheidbar bleiben. Wie wenig das Wort „Sex-Attacke“ aussagt, zeigt eine Auswertung aller Vorkommen des Wortes im Jahr 2018.
Gewalt ist nicht einvernehmlich
Mit dem Begriff verletzen Medien aber nicht nur einen journalistischen Grundsatz – nämlich den der Genauigkeit – sondern verharmlosen auch sexuelle Gewalt. Denn Sprache schafft bis zu einem bestimmten Grad auch Realität. Das Wort „Vergewaltigung“ enthält das Wort „Gewalt“ bereits, „Sex“ suggeriert hingegen Einvernehmlichkeit. Damit wird Gewalt heruntergespielt oder sogar verniedlicht. Dass der Begriff „Sex“ für gewaltsame Handlungen zu neutral ist, stellte auch der Presserat schon einmal fest.
Dazu kommt, dass „Sex-“ als Vorwort auch in anderen, positiven oder zumindest gewaltfreien Zusammenhängen verwendet wird. „Österreich“ schreibt etwa von „Sex-Stars“, „Sex-Ehepaaren“ oder „Sex-Unfällen“. Sogar „Sex-Attacke“ kommt einmal in einem Kontext vor, der nichts mit sexueller Gewalt zu tun hat:
In Clown-Schminke, knappen Röcken und mit viel nackter Haut machten drei sexy Clowns die Wiener City unsicher. Hinter der Sex-Attacke steckt die Stripperin und Agenturchefin Stella von Sydney, die zumindest den Männern die Angst vor Clowns nehmen wollte
.
„Solche Bezeichnungen verhöhnen die Betroffenen, den TäterInnen signalisiert man, es sei ‚alles halb so wild.‘ Und wir, als Gesellschaft, bekommen das Gefühl, es sei eh irgendwie nur ein Kavaliersdelikt“, sagt Maria Mayrhofer vom Verein Aufstehn, der Ende 2017 eine Unterschriftenaktion gegen die verharmlosende Sprache gestartet hat. Bis dato haben über 4.200 Menschen die Aktion unterstützt.
„Sex“ beruhe auf Konsens, sagt Mayrhofer, alles andere sei ein Übergriff, eine Belästigung, eine Vergewaltigung oder ein Missbrauch. „Das Strafgesetzbuch kennt in der jeweiligen Situation die richtigen Bezeichnungen.“ Gerade bei Berichten über sexuelle Gewalt würden Medien oft die Unschuld der Betroffenen in Frage stellen, indem sie klischeehafte Ausdrücke verwenden, die auf das Aussehen der Opfer verweisen oder mit Ausreden die Schuld der TäterInnen relativieren. Das nennt man Victim Blaming.
Vergewaltigung ist kein Sex
Bleibt nur die Frage: Warum machen Medien es trotzdem? Anfragen an „Krone“ und „Österreich“ blieben unbeantwortet. „Wir befinden uns derzeit in einem Prozess der redaktionellen Neuausrichtung“, lässt Heute.at-Chefredakteurin Jacqueline Büchi per E-Mail wissen. Der Ausdruck “Sex-Attacke” werde nicht mehr verwendet, auch „ähnliche Boulevard-Komposita“ werde man auf Heute.at künftig „deutlich seltener“ lesen. Print-Chef Christian Nusser hält den Begriff „Sex-Täter“ für falsch, „Heute“ habe deshalb schon vor „geraumer Zeit“ die Entscheidung getroffen, den Begriff nicht mehr zu verwenden.
Wolfgang Höllrigl, ehemaliger Chefreporter bei „Heute“ und inzwischen in Pension hat hingegen eine andere Meinung zu dem Begriff Er sprach im Jänner bei der „Aufmacher Medienrunde“ offen über die Wortwahl in der Berichterstattung bei Sexualdelikten. Er begründet das häufige Vorkommen von „Sex-Attacke“ mit dem begrenzen Platz im Zeitungslayout. „Wenn du zwei Mal 18 Anschläge hast, ist Sex-Attacke schon ziemlich gut“, antwortete er auf eine Frage aus dem Publikum. Ob er den Begriff als verharmlosend empfindet? „Diese Sensoren habe ich nicht so.“ Dass das Wort verallgemeinernd ist, gab er allerdings selbst zu – das sei für ihn allerdings nichts negatives. „Sex-Attacke ist einfach alles“, sagte Höllrigl.
Dass „Sex-Attacken“-freie Berichterstattung auch auf engstem Raum funktionieren kann, zeigen allerdings etliche Beispiele, auch aus der „Krone“ und „Österreich“. Möglicherweise auch deshalb, weil das Wort „Vergewaltigung“ gar nicht so viel mehr Platz im kostbaren Print-Layout braucht als „Sex-Attacke“, nämlich gerade einmal um drei Zeichen mehr.
Auch der Verein Aufstehn hat 2017 eine E-Mail an alle Chefredakteure von Österreichs Medien gesendet. Manche Zeitungen hätten sich daraufhin in Artikeln kritisch mit dem Thema auseinandergesetzt, andere hätten auch zugesichert, sich mit der Problematik intern auseinanderzusetzen, erzählt Mayrhofer.
Was sie als Alternative zu den „Sex“-Begriffen vorschlägt? „Die Medien müssen die Dinge beim Namen nennen“, sagt Mayrhofer. Auch wenn in der Titelzeile wenig Platz ist.
Der „Kurier“ illustrierte am 9. April ein großes Sebastian Kurz-Portrait mit einem Bild, das aussieht wie der feuchte Traum eines Partei-Werbefotografen. Junge, sympathische Menschen, die sich um ihren Anführer scharen und mit ihm lachen und klatschen.
Kein Wunder, stammt es auch von der JVP. Ein Einzelfall? Keineswegs.
Denn sowohl Außenminister als auch Kanzler beschäftigen Hausfotografen, deren Fotos immer öfter in der heimischen Presse zu sehen sind. So gut wie jede Tageszeitung verwendet diese von den PR-Teams der Politiker sorgfältig ausgewählten Bilder, die subtile Heldengeschichten transportieren und die für uns Zeitungsleser in der Regel nicht als PR-Bilder erkennbar sind.
Keine Redaktion käme auf die Idee, die PR-Texte von Politikern als Artikel abzudrucken, noch dazu ohne das Publikum über deren Urheberschaft aufzuklären. Kriterien, die bei PR-Bildern nicht zu gelten scheinen. Petra Bernhardt, die an der Uni Wien zu visueller Kommunikation forscht, dazu:
Hausfotografen müssen eine Situation nicht akkurat wiedergeben, sondern können einen Moment herausgreifen, der den Politiker in ein besseres Licht rückt. Das Anliegen von Medien sollte allerdings nicht sein, die imagepolitischen Deutungsangebote eines Politikers fortzuschreiben.
Wir haben die Zeitungsarchive der letzten Monate durchforstet und erschreckend viele Beispiele gefunden, wie österreichische Tageszeitungen die visuellen Heldenerzählungen von Kurz und Kern transportieren. Ein Drama in fünf Akten:
1. Sympathische Helden
Wie wertvoll es für Politiker ist, in der Kronen Zeitung mit süßen Tieren abgebildet zu werden, wissen wir nicht erst seit Karl-Heinz Grassers Vorliebe für Hundefotos ebendort. Die „plötzliche“ Begrüßung des süßen Streuners hat nicht etwa ein Fotograf der Krone dokumentiert, es war der Hausfotograf des Außenministers, Dragan Tatic.
Kern besucht einen Kindergarten – zu welchem politischen Zweck, bleibt verborgen. Für den Kanzler ein lohnender Termin: Der Standard macht aus dem Foto eine eigene Geschichte und verbreitet die visuelle Heldenerzählung von Kerns Hausfotograf Andy Wenzel, die Geschichte eines sympathischen und kinderlieben Helden. Als journalistischer Anlass genügt das baldige Weihnachtsfest.
Die Wiener Zeitung illustriert die Leserbriefseite mit einem herzerwärmenden Bild des Außenministers aus der Kamera von dessen Hausfotograf. Die Leserbriefe handeln allerdings weder von Äthiopien noch von österreichischer Entwicklungszusammenarbeit, sondern von der Kurz’schen Flüchtlingspolitik. Das freundliche PR-Bild wiegt hundert kritische Leserbriefe auf.
Die Presse am Sonntag bebildert des Kanzlers 100-Tage-Bilanz mit einem Bild, das ihn im eng-vertrauten Umgang mit Europas mächtigster Politikerin zeigt. Sieht aus wie Fotojournalismus, ist aber das Bild, das Kerns PR-Team zeichnen möchte.
Der Kanzler in „Wir schaffen das“-Pose vor der begeisterten EU-Spitze, klatschend. (Tiroler Tageszeitung)
2. Bilder, die zu Geschichten werden
Falls das Presseteam des Kanzlers zu dessen Start das Bild des Spielmachers vermitteln wollte, mit diesem Foto ist das gelungen. Das Bild färbte sogar auf die Wahl der Headline der ersten Zwischenbilanz des Standard ab.
Die Tiroler Tageszeitung gibt quasi schon im Titel zu, dass dieses Bild von Kurz auf „Tuchfühlung“ mit Ban Ki-Moon der Geschichte ihren speziellen Spin gibt. Auch dieses Bild stammt aus der Produktion und nicht zuletzt sorgsamen Vorauswahl von Kurz‘ Presse-Team.
Kurz, der eine EU-weit besonders harte Haltung gegenüber der Türkei einnahm, gefällt sich auch in der Bildauswahl in dieser Rolle: Aug in Aug mit dem Despoten vom Bosporus, augenscheinlich nicht bereit, zurückzuweichen. Die Wiener Zeitung überbringt die Bildbotschaft des Außenministers gerne.
3. Kurz und Kern als Anzugmodels
Ein besonders dreistes Genre an PR-Fotos sind jene, die ihre Protagonisten ohne erkennbaren Anlass einfach nur in Pose präsentieren. Petra Bernhardt zu diesem Foto im Kurier:
Das Foto wirkt wie eine flüchtige Aufnahme und suggeriert, dass der Minister auch abseits politischer Meetings ständig im Einsatz ist. Die Untersicht wäre für ein Nachrichtenfoto eigentlich tabu. Es handelt sich um ein Füllbild, das keine inhaltliche Funktion für den Text erfüllt.
Ähnlich bei diesem Bild des Kanzlers, in Verwendung der Oberösterreichischen Nachrichten. Dieses Bild wurde gar über die Nachrichtenagentur APA bezogen, die die Gratis-PR-Bilder an alle Medien verteilt, genau wie eigene fotojournalistische Arbeiten.
Der Top-Gun-Außenminister (es fehlt nur die Ray Ban-Brille), wieder in leichter Untersicht und mit Turboprop im Hintergrund. Ein Klischee wie aus einer 90er-Jahre-Werbekampagne, verbreitet von der Presseagentur APA und in journalistischer Verwendung in der Presse.
Die Wiener Zeitung illustriert eine Analyse seitenfüllend mit einem coolen Kurz-Posing vor dem Facebook-Firmenschild. Der vollkommen fehlende Konnex zwischen Sujet und Artikelinhalt wird mit einer Bildunterschrift an den Haaren herbeigezogen.
Ein Kanzler wie ein Wall Street-Manager, stilecht mit Empire State Building im Hintergrund. Das gefällige Bild erschien im Standard.
4. Bilder, die ein Macher-Image transportieren
Der Kanzler geht forschen Schrittes voran und hält dabei Augenkontakt mit dem Leser. Die Körperhaltung des ungarischen Regierungschefs, der Kern nachfolgt, ist in dieser Bildauswahl deutlich weniger dynamisch. Die Salzburger Nachrichten wählten das Bild als Aufmacher des Tages.
Der Außenminister besuchte nicht nur Frontsoldaten in der Ost-Ukraine, er wies ihnen dabei noch den Weg. Diese beachtliche Ortskenntnis schaffte es aufs Cover des Standard.
Den Weg zeigt Kurz auch EU-Kommissar Mimica, in der Tiroler Tageszeitung.
Und nicht zuletzt zeigt der Außenminister auch dem Papst, wo’s lang geht. Das sehenswerte Bild verschafft dem „kurzen Treffen“ einen sehr prominenten Artikel im Kurier.
5. Alle Welt lauscht Sebastian Kurz
Der iranische Präsident lauscht Sebastian Kurz. (Wiener Zeitung)
Der niederösterreichische Landeshauptmann lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)
Der libyische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)
Vitali Klitschko lauscht Sebastian Kurz. (News.at)
Der russische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse. Auch Der Standard illustrierte den Artikel zu diesem Treffen mit einem weiteren Foto aus der Kurz-PR-Werkstatt: Auch auf diesem lauschte Lawrow Kurz aufmerksam.)
Der chinesische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)
Der amerikanische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse)
Der britische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)
Der UNO-Generalsekretär lauscht Sebastian Kurz. (News.at)
Und auch der Papst lauscht Sebastian Kurz. (Kronen Zeitung)
Epilog
Die meisten dieser Bilder sind auf Auslandsreisen entstanden. Die Medienkrise macht es sicher für viele Redaktionen schwieriger, neben Redakteuren auch Fotojournalisten auf diese Reisen zu entsenden.
Das kann jedoch keine Entschuldigung dafür sein, unreflektiert und unkommentiert PR-Material von Politikern zu verbreiten. Zudem fast alle Tageszeitungen Kunden (und Eigentümer) der Austria Presse Agentur sind, über die sie solche Reisen durchaus von einen gemeinsamen Fotojournalisten begleiten lassen könnten.
Update:
In einer früheren Version dieses Artikels stand „Wladimir Klitschko“. Es handelt sich jedoch um Vitali Klitschko.
Der Presse zufolge haben Österreicher kaum noch Durst, denn: „Kaum jemand trinkt noch Leitungswasser (…) Leitungswasser, das in Österreich höchste Qualität hat, hat praktisch ausgedient“. Abgelöst hat es angeblich das Mineralwasser. Diesen Unfug schreibt zumindest das Qualitätsmedium.
Eigentlich geht es in dem Artikel hauptsächlich um das Geschäft von Mineralwasserherstellern, also um ein ziemlich langweiliges Thema. Um zu verhindern, dass die Leser reihenweise einschlafen oder die Zeitung ins Altpapier werfen, hat die Presse also offenbar nach einer steilen These gesucht. Besonders intensiv hat man sich aber keine Gedanken gemacht, denn schon anhand der eigenen Grafik wird klar, was für ein Unsinn diese Behauptung ist:
Zwei Dinge sieht man: Erstens, der durchschnittliche Mineralwasserverbrauch ist in den letzten zehn Jahren fast gleich geblieben. Und zweitens: Wir trinken viel zu wenig Mineralwasser, als dass es jemals das Leitungswasser ersetzen könnte. Gerade einmal 90,6 Liter waren es pro Person im gesamten letzten Jahr. Bei 2,4 Liter Tagesbedarf reicht das Mineralwasser also für 37 Tage. Was trinken wir wohl den Rest des Jahres?
Die Konsumentenerhebung 2009/10 ergab, dass pro Kopf und Tag 0,45 Liter Mineralwasser und Säfte verbraucht werden. Dazu kommen noch Kaffee und Tee (0,44 bzw 0,35 Liter pro Tag), die es allerdings ohne Wasser auch nicht gäbe. Demzufolge ist es Irrsinn zu behaupten, dass das Leitungswasser ausgedient habe. Zur Verdeutlichung eine einfache Rechnung:
Es verbleiben also 1,16 Liter „Durst“ pro Tag und Kopf, den die Österreicher vermutlich großteils mit Leitungswasser löschen.
Wenn überhaupt hat das Leitungswasser bis dato also nur in der Redaktion der Presse ausgedient, und vielleicht noch in den feuchten Träumen der Mineralwasserhersteller. Im restlichen Österreich aber noch lange nicht.
Danke für den Hinweis.
„Österreich“ druckt über eine Woche lang unverpixelte Fotos und den vollen Namen eines in Untersuchungshaft befindlichen Imams. Die Zeitung stellt ihn damit öffentlich an den Pranger und pfeift auf seine Persönlichkeitsrechte: Am Titelblatt bezeichnen sie ihn gar als „Hass-Prediger“ und „Gotteskrieger“. Ein Paradebeispiel für eine Vorverurteilung durch Medien.
Gemeint ist Mirsad O. Der Mann ist „Österreich“ nicht unbekannt. Im April beschuldigten „Österreich“ und „Heute“ Mirsad O., zwei Mädchen radikalisiert zu haben. Der Mann verklagte die Zeitungen wegen dieser Unterstellung und bekam – nicht rechtskräftig – im September recht. In erstaunlicher Offenheit gibt „Österreich“ zu, das Urteil nicht sonderlich ernst zu nehmen. Anders lässt sich diese Kampagne gegen ihn auch kaum erklären.
Seit einer Großrazzia Ende November sitzt Mirsad O. nun in Untersuchungshaft. Was ihm vorgeworfen wird, macht ihn nicht gerade sympathisch: Er soll Terrorkämpfer für den Nahen Osten rekrutiert haben. Bisher gibt es aber weder eine Anklage gegen ihn, geschweige denn ein rechtskräftiges Urteil. Das ist aber eigentlich auch gar nicht so wichtig. Denn auch falls der Mann schuldig ist – auch falls er ein Gotteskrieger und Hass-Prediger ist und rechtskräftig verurteilt wird – dürfen Medien seine Identität nicht preisgeben. So will es das Mediengesetz.
Das hat den Sinn, dass Täter zusätzlich zu einer gerichtlichen Strafe nicht auch noch durch den „Medienpranger“ bestraft werden. Bei manchen Zeitungen scheint dieses Grundprinzip aber nicht angekommen. Außer „Österreich“ nennt auch die „Presse“ (siehe Screenshot rechts) den vollen Namen von Mirsad O., zeigt sein Bild und beschreibt seinen Wohnort. Damit spielen diese Medien nicht nur Richter, auch die Kinder und Verwandten des Verdächtigen können so die Folgen seiner Anklage zu spüren bekommen: Sei es nun durch Mobbing in der Schule, Misstrauen durch Nachbarn oder Angriffe auf der Straße.
Selbst das Gesicht zu verpixeln und den Nachnamen abzukürzen reicht nicht immer: Die meisten Medien bebildern ihre Artikel mit dem erkennbaren Wohnort von Mirsad O. oder nennen seinen Predigernamen. Das ist ebenfalls kein ausreichender Identitätsschutz, denn durch diesen ist Mirsad O. klar identifizierbar. Das ist, als würde man schreiben: „Thomas N., besser bekannt unter seinem Künstlernamen Conchita Wurst“.
Vielleicht muss man an dieser Stelle noch einmal betonen, dass Gesetze für alle gelten und unseren Rechtsstaat ausmachen. Selbst und gerade für jene Menschen, die vielleicht furchtbare Verbrechen begangen haben. Das Gesetz ist auch dafür da, diese Menschen vor einer Zusatzbestrafung durch die Öffentlichkeit zu schützen.
Bestrafung und die Feststellung von Schuld sind Aufgaben der Gerichte und nicht die einer Zeitungsredaktion.
Was für eine Geschichte. Dailycurrant.com berichtet über eine Äußerung Michelle Bachmanns, wonach Falafel aus US-Schulen verbannt werden sollten. „Die Presse“ reagiert prompt und mokiert sich in der Printausgabe vom Montag über die Tea-Party-Politikerin.
Doch wer sich die Mühe macht und weitere Artikel zur Sache sucht, findet keine ernstzunehmenden Nachrichtenseiten, die das Thema aufgreifen. Aus einem sehr einfachen Grund: Die Geschichte ist ein Fake und Dailycurrant eine Satire-Website. Den Fact-Check sparte sich „Die Presse“ offenbar.
Einer der anderen Aufmacher der Seite lautet übrigens „Steve Jobs Almost Done Reinventing Heaven“. Kommt das bei der „Presse“ dann unter „Technik“ oder „Religion“?
Update: Stellungnahme des Autors der Kolumne, Wolfgang Greber:
Sehr geehrter Herr Fellner,
in flagranti erwischt, in der Tat. Ist mir auch noch nie passiert und durchaus Scheiss-peinlich.
Sie müssen allerdings wissen, dass für eine ironische Kolumne nicht ganz derselbe strenge Check-Recheck-Maßstab gilt wie für einen ernsten Kommentar oder sonst eine Story, was aber auch nur irgendwie eine Ausflucht meinerseits ist, ja. Die andere Ausflucht ist, dass solche Scherzkolumnen in der Regel zwischen drei bis fünf anderen Tagesverpflichtungen entstehen und man gar nicht die Zeit für eine lege-artis-Recherche hat – zumal mich in diesem Fall ein Kollege auf die Geschichte aufmerksam gemacht hat, der sie ebenfalls für bare Münze nahm.
Also Asche auf mein Haupt. Aber wer noch nie in den Gatsch getreten ist, der werfe den ersten Schlammbatzen. Und ich tät mich freuen, wenn Sie mal über die 300 oder so anderen Pizzicatos von uns bloggten, die sonst übers Jahr fehlerlos (hoffentlich!) erscheinen 😉
Beste Grüße,
Wolfgang Greber
Wenn der Nordwesten im Osten liegt, dann liegt Bratislava folgerichtig in der Ostslowakei.
Danke an Marco Schreuder für den Hinweis!
Edit: Weil es dazu in der Facebook-Diskussion Missverständnisse gab: Ich halte den Titel für den Ausdruck der vor dem Mauerfall stattgefundenen Sozialisation einer „Westler“-Generation, die sich oft auch in einer gewissen Haltung gegenüber dem vermeintlich rückständigen „Ostblock“ niederschlägt. Darum geht’s, nicht um Kritik der Geographiekenntnisse. Tschechien und die Slowakei, wo dieses Modell angeblich produziert wird, liegen in Mitteleuropa, nicht „im Osten“.
Die Print-Ausgabe der „Presse“ vom Montag enthält eine ganze Seite „Baupanorama“ – mitfinanziert von der Landesinnung Bau Wien, die Interessenvertretung aller in einer Branche tätigen Unternehmen und Selbstständigen. Die Innung hat, stolz auf die Kooperation, die Seite freundlicherweise als PDF online gestellt. Dort ist auch der Hinweis auf die Kofinanzierung der Seite zu lesen:
Seite mit finanzieller Unterstützung der Landesinnung Bau Wien.
Solche mitfinanzierten Extra-Teile sind üblich – die redaktionelle Verantwortung dieser Inhalte in redaktioneller Aufmachung hat aber, trotz „finanzieller Unterstützung“, bei der Redaktion zu liegen.
Bei der „Presse“ sieht man das offenbar anders: Ein Fünftel der gesponserten Seite macht die Kommentarspalte aus. Die gehört ganz allein Gastkommentator Josef Witke. Er ist „Landesinnungsmeister für Elektro-und Alarmanlagentechnik und Kommunikationselektronikhersteller“, wie unter seinem Kommentar zu lesen ist – also ein führendes Mitglied der Innung, die die Seite sponsert. Witke schreibt über Energiesparlampen, Importverbote für Geräte, die viel Strom verbrauchen und von seiner Zukunftsvision der von Stromfirmen ferngesteurten Elektroheizungen:
(…) Strom ist – in Verbindung mit erneuerbarer Energie – nun einmal am effizientesten steuerbar, das heißt, Elektroheizungen können aus der Ferne bei Spitzenlast zu- und bei Überschuss abgeschaltet werden.
Das lässt viele wohl nicht nur dafür danken, dass einem der Stromanbieter bis jetzt noch nicht die Heizung abdrehen kann, wenn’s gerade zu wenig Strom gibt. Man darf sich auch über den Deal wundern, den die Presse offenbar mit der Wirtschaftskammer eingegangen ist: „Ihr finanziert uns eine Seite Zeitung, dafür geben wir euch Platz für einen Kommentar von einem eurer Leute – außerdem ein passendes redaktionelles Umfeld.“ Das passiert seit Jänner diesen Jahres – jeden Montag gibt’s das „Baupanorama“, fast jeden Montag schreibt jemand von der Bauinnung einen Kommentar (hier nachzulesen).
Aktuell wird heftig darüber diskutiert, dass sich Firmen und politische Parteien wohlwollende Berichterstattung mit Inseraten kaufen. Gleichzeitig verkauft „Die Presse“ jede Woche einen scheinbar redaktionellen Kommentar an die Wirtschaftskammer. Darüber sollten wir zumindest nachdenken.
Nachtrag 11.10.: Ich habe die Chefredaktion der „Presse“ um eine Stellungnahme gebeten. Sobald diese einlangt, wird sie hier zu lesen sein.