Heute-Chefredakteur Christian Nusser sieht seine Zeitung zu unrecht an den Pranger gestellt. Auch andere Medien haben in den vergangenen Jahren ungewöhnlich viel Inseraten-Geld vom Finanzministerium bekommen. Hat er damit Recht? Die Kurzfassung: Er hat jedenfalls nicht völlig unrecht.
Inserate aus der öffentlichen Hand sind in Österreich so eine Sache. Die Regierung kann über die Ministerien praktisch unbegrenzt viel Steuergeld an Medien überweisen. Es gibt keine Gesetze, die etwa den Rahmen, den Zweck, oder eine verpflichtende Evaluierung über die Wirksamkeit solcher Werbeausgaben festlegen. Und sagen wir mal so: Nicht nur wir bei Kobuk hatten in den letzten Jahren immer wieder die Vermutung, dass mit diesen Geldern wohlwollende Berichterstattung gekauft wird; oder umgekehrt: Dass PolitikerInnen niedergeschrieben werden, wenn sie zu wenig bezahlen.
Seit vergangener Woche steht die Zeitung „Heute“ und ihre Herausgeberin Eva Dichand im Fokus dieses Verdachts. Der Falter hat die Causa hier und hier sehr lesenswert zusammen gefasst. Wir erinnern uns: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Thomas Schmid und Wolfgang Fellners OE24, weil dort über das „Beinschab-Tool“ mutmaßlich gefälschte Umfragen publiziert wurden. Als „Belohnung“, so der Verdacht, öffnete das Finanzministerium den Geldhahn und ließ Inseratengelder in die Kassen der Fellners fließen. Soweit, so bekannt.
Der Falter schreibt nun über den neuen Vorwurf der Staatsanwälte: „Damit der Deal, den die Türkisen mit Fellners Österreich-Gruppe mutmaßlich geschlossen haben, um Kurz mit frisierten Umfragen zu pushen, nicht auffliegt, wurden auch die Blätter der Dichands fett bedient.“
Diese Grafik aus dem Standard illustriert den Vorwurf sehr gut:
Von 2015 bis 2021 steigen die Inseratenausgaben aus dem Finanzministerium extrem an. Als im Oktober 2021 eine Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt zum Rücktritt von Sebastian Kurz führt, ist die Party schlagartig vorbei.
Nun rückt Heute-Chefredakteur Nusser zum publizistischen Gegenschlag aus. Nicht nur die Boulevard-Medien hätten viel Geld bekommen, sondern alle Medien, so Nusser sinngemäß. Er wirft seinen Kritikern vor, zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Inseratengeld zu unterscheiden. Gut sei es immer dann, wenn man es selbst bekommt. Schlecht, wenn es die Boulevardmedien bekommen. Im gleichen Zeitraum, in dem Heute, Krone und Österreich mit Geld quasi überschwemmt worden sind, hätten auch Profil, Kleine Zeitung und andere erheblich mehr Inserate aus dem Finanzministerium erhalten. Nusser schreibt:
Das alles passierte still und leise. Es war gutes Geld.
Hat er also Recht? Sind alle Medien gleich?
Ich habe mir das genauer angesehen. Vorweg: Das ist gar nicht so einfach, denn die Inseratengelder werden zwar in einer Medientransparenzdatenbank quartalsweise veröffentlicht. Allerdings werden die Daten nach rund zwei Jahren wieder gelöscht. Aktuell sieht man die Daten nur ab 2021, was schon ein dezenter Hinweis darauf ist, wie ernst es die Politik mit Medientransparenz nimmt. Oder eben nicht.
Aber zurück zum Thema. Die FH Johanneum in Graz hat dankenswerter weise ein Portal eingerichtet, auf der alle diese Daten abrufbar sind. Schauen wir uns zum Beispiel den Kurier an:
Der Verlauf ist den Boulevardzeitungen recht ähnlich: 2015 gab es noch 0 Euro aus dem Finanzministerium, 2018 dann knapp 280.000 Euro, und nochmal 2 Jahre später, 2020, waren es dann rund 444.000Euro, ehe die Ausgaben 2022 wieder auf etwa 113.000 Euro sanken.
Nicht unähnlich die Styria Gruppe, zu der unter anderem Presse und Kleine Zeitung zählen:
Von läppischen 8150 Euro 2015 auf über 1,2 Millionen Euro im Jahr 2020, und zurück auf 280.000 Euro 2022.
Ein bisschen anders sieht das beim Standard aus:
Anders als bei den anderen Medien, gab es 2022 keinen ganz so starken Rückgang. Die 117.000 Euro für Inserate aus dem Jahr 2022 sind nicht viel weniger, als die 129.000 Euro aus dem Jahr davor.
Bei den Wochenmagazinen sieht es ähnlich aus. Hier die Zahlen für die Verlagsgruppe News:
Also hat Nusser Recht? Haben alle Medien gewaltige Summen aus dem Finanzministerium kassiert, und sind jetzt auf einem Auge blind? Nein, nicht alle:
Der Falter hat gerade mal in zwei Jahren Geld aus dem Finanzministerium erhalten: Einmal knapp 6.000 Euro, einmal 5.200 Euro. Das sind Peanuts im Vergleich zu den Summen, um die es bei den anderen geht.
Jetzt könnte man vielleicht glauben: Das liegt daran, dass der Falter eine Wiener Wochenzeitung ist, und das Finanzministerium mit den Einschaltungen ganz Österreich erreichen wollte. Es gab irgendwas besonders Wichtiges zu kommunizieren, daher hat man sich nur an die ganz großen, österreichweit relevanten Medien gewandt.
Doch Moment: Das größte Medienunternehmen des Landes hatten wir ja noch gar nicht, den ORF (Disclaimer: Ich bin ORF-Journalist)
Was immer in den Jahren 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 so wahnsinnig wichtig zu kommunizieren war, dass Millionen Euro Steuergeld an Inseraten in Zeitungen rechtfertigen soll: Es war jedenfalls nicht wichtig genug, um auch im ORF darüber zu informieren. Weder online, noch im Radio, noch im Fernsehen.
Es stimmt also nicht, dass alle Medien gleich behandelt wurden. Außerdem: Wenn alle Medien gleich korrupt sein sollen, oder falls sich Thomas Schmid lediglich den Kronzeugen-Status erschwindeln will, wie Eva Dichand argumentiert, dann hätte er auch alle anderen Medien ebenso beschuldigen können. Komischerweise sind aber nur von Eva Dichand Chats öffentlich geworden, in denen sie sich über mangelnde Inserate beschwert und mit „wir können auch anders“ droht.
Nusser hat aber Recht wenn er sagt, dass jedenfalls sehr viele mehr als nur die Boulevardmedien von der rätselhaften Geldschwemme aus dem Finanzministerium profitierten. Ob damit positive Berichterstattung in einem, manchen oder allen Medien gekauft werden sollte, oder ob die Gelder nur dazu dienten die Ausgaben für das Beinschab-Tool in OE24 zu verschleiern, wird die Justiz ermitteln.
Fest steht jedenfalls: Inserate sind ein Spielzeug der Regierung geworden, das völlig außer Kontrolle geraten ist. Und solange es keine klaren Regeln gibt, wann, wo, in welchem Ausmaß und zu welchem Zweck Ministerien Inserate schalten dürfen, ist nicht davon auszugehen, dass sich daran etwas ändert.
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Ergänzung: Die y-Achsen der Grafiken sind nicht einheitlich und können daher auf den ersten Blick täuschen. In absoluten Zahlen gibt es freilich große Unterschiede zwischen den einzelnen Medienhäusern, die teilweise (wohl aber nicht vollständig) mit der Zahl der Leser:innen erklärt werden können. Es ging bei der Analyse auch weniger um absolute Werte, sondern um die Frage, ob die Dynamik eine vergleichbare wie bei den Boulevardblättern ist. Sprich ob nach 2015 die Zahlen aus dem BMF stark gestiegen sind, und 2022 wieder stark gefallen sind.
Der Boulevard-Journalist Richard Schmitt hat eine Klage wegen Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung gegen mich angestrengt und rechtskräftig verloren. Konkret ging es um einen Tweet, in dem ich auf einen Kobuk-Artikel über eine Arbeit Schmitts verlinkte – und dazu schrieb:
Wenn Richard Schmitt was schreibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht stimmt, recht hoch. Wenn’s um Verkehr geht, steigt sie gegen 100%.

FALTER 50/19: About Schmitt
Das klagte Schmitt. Und zwang meine Anwältin Maria Windhager und mich somit, vor Gericht den Beweis anzutreten, dass diese Aussage im Kern wahr ist. Was folgte, war ein langes Verfahren vor dem Handelsgericht Wien, mit über vier Stunden Verhandlung sowie über 70 Seiten schriftlicher Auseinandersetzung. (Alle Details zum Urteil am Ende des Artikels.)
Das Spannende daran: Es entstand eine umfangreiche Sammlung der journalistischen Höchstleistungen des Richard Schmitt, quasi ein Best Of. Und da das nicht in Gerichtsdokumenten verschwinden soll, folgt hier die Zusammenfassung.
Exkurs: Wer ist Richard Schmitt?
Im Zuge eines Versuchs, einen Vergleich zu schließen – siehe Berichterstattung, einigten wir uns auf folgende Formulierung eines Tweets, den ich absetzen hätte sollen:
Ich habe den Tweet gelöscht, er war zu hart formuliert. Mir war in dem Tweet wichtig aufzuzeigen, dass Richard Schmitt zu tendenziöser Berichterstattung neigt, besonders b. Thema Verkehr, sowie Fakten manipulativ einsetzt.
Die Formulierung „..Fakten manipulativ einsetzt“ war der Vorschlag der Gegenseite (!), wir hatten „..pflegt einen schlampigen Umgang mit Fakten“ vorgeschlagen.
So viel zu Richard Schmitts Selbstverständnis als Journalist.
Best of Richard Schmitt – 18 Fälle
Dies sind die wichtigsten Fälle, die wir dem Gericht zur Untermauerung der im Tweet getätigten Aussage vorgelegt haben, chronologisch sortiert. Es ist ein bisschen eine willkürliche Auswahl – es hätte noch einige Beispiele dieser Art mehr gegeben – aber sie geben einen guten Einblick in die Denk- und Arbeitswelt des Richard Schmitt. Und: Sorry, das wird lang.
1. „Degradierung“ von Natascha Kampusch zum Objekt, 2007

In seiner Zeit als Chefredakteur der Zeitung „Heute“ wurde diese verurteilt, weil in drei Artikeln der höchstpersönliche Lebensbereich des Entführungsopfers Natascha Kampusch verletzt wurde.
Der OGH spricht in seiner Urteilsbegründung von einer „realitätsverzerrend zum Objekt einer klischeehaften Spekulation über ihre ‚erste Liebe‘ degradierenden medialen Darstellung“. Gegenüber dem „Standard“ rechtfertigte sich Richard Schmitt damals damit, dass die Story „dezent“ gewesen sei. „Noch dazu bei so einer netten Geschichte.“
Nach dem Urteil des OGH wurde die Kampagne gegen Natascha Kampusch aber noch intensiviert, indem aus den vertraulichen Akten zitiert wurde, in denen Inhalte aufgezeichnet waren, die Natascha Kampusch nach ihrer Befreiung einem Arzt und einer Polizistin anvertraut hatte. Ein Staatsanwalt sprach damals von „einer Schweinerei der Sonderklasse“. Frau Kampusch selbst sprach entsetzt über dieses Vorgehen von einem „Tiefpunkt des Journalismus“. (Siehe „Falter“ Nr. 17 / 2008)
2. Negativpreis Rosa Koffer, 2012
Das Frauennetzwerk Medien verlieh Richard Schmitt 2012 den Negativpreis „Rosa Koffer“ – ein Upgrade vom „Rosa Handtaschl“ extra für ihn – wegen einer beispiellos frauenfeindliche Kampagne: Richard Schmitt habe es sich als Redakteur der „Kronen Zeitung“ anscheinend zur persönlichen Aufgabe gemacht hat, die Wiener Vizebürgermeisterin und Finanzstadträtin Renate Brauner „abzuschießen“.
3. Die vermeintlich versickerte Milliarde, 2012
2012 veröffentlichte Richard Schmitt in der „Krone“ einen Artikel mit dem Titel „Eine Milliarde ist versickert“ samt einer Tabelle „Das ABC der teuersten Skandale in Wien“. Doch war diese vermeintliche Milliarde an in der Stadt Wien versickerten Geldern lediglich eine Behauptung der ÖVP Wien, die Schmitt offenbar ungeprüft übernahm. Viele der Zahlen halten einer genauen Betrachtungen nicht stand.
Richard Schmitt rechtfertigt im Zuge des Verfahrens so:
Es wird ausgeführt, dass der Kläger lediglich eine von der ÖVP erstellte Auflistung zitiert hat. Es wird in diesem Artikel unmissverständlich darauf hingewiesen, dass es sich um eine Auflistung der ÖVP handle, sodass schon aufgrund dieses Hinweises keine Täuschung der Leser und somit eine unwahre Berichterstattung vorliegen kann.
Wir haben den Fall damals im Artikel Wiener Skandale – Krone druckt falsche Parteipropaganda einer Überprüfung unterzogen.
4. Das Märchen mit der gekündigten Kindergartenpädagogin, 2015
In einem Artikel vom 22. August 2015 mit dem Titel „Im Kindergarten. Pädagogin erklärt Kindern Weihnachten – gekündigt“ behauptet Schmitt, dass die Angestellte eines Kindergartens der Stadt Wien gekündigt worden wäre, weil sie „über Christus geredet“ oder das „Weihnachtsfest erklärt“ habe. Der Artikel stellt in einer Zwischenüberschrift die Suggestivfrage: „Verbot in Kindergärten, über Christus zu reden?“
Als dieser Vorwurf damals auch von HC Strache im Rahmen der TV-Elefantenrunde zur Wien Wahl 2015 wiederholt wurde, besorgte ich mir die vierseitige Niederschrift der zuständigen Magistratsabteilung und veröffentlichte sie hier auf Kobuk: Das Krone-Weihnachtsmärchen mit der gekündigten Pädagogin.
Das Protokoll zeichnet das Bild einer Kindergartenpädagogin, die Kolleginnen und Kollegen zu religiösen und politischen Themen mit Broschüren der „Kaiser Karl Gebetsliga“ zu missionieren versuchte, das praktizierte Konzept gendersensibler Pädagogik oder auch Aktivitäten wie das „Gespensterfest“ nicht mit ihrer Rolle als Christin vereinbaren konnte und sich allgemein unkooperativ verhielt. Dem Protokoll ist allerdings nicht zu entnehmen, dass die Pädagogin gekündigt worden wäre.
Richard Schmitts Rechtfertigung vor Gericht:
Es wird darauf verwiesen, dass dieser Artikel richtig recherchiert wurde. Dem Kläger wurde der Sachverhalt genau so von der betroffenen gekündigten Lehrerin erzählt.
Dass hier die Unwahrheit verbreitet wird, wurde selbst von der Zeit im Bild 2 festgestellt, die aufgrund der Wiederholung dieser Behauptung durch Heinz-Christian Strache, die Aussage einem Faktencheck unterzog. Unter Berufung auf die von Kobuk.at veröffentlichte Niederschrift und weitere Recherchen kamen auch die Redakteurinnen und Redakteure der Zib2 zum Schluss, dass die Behauptung „nicht richtig“ ist.
5. Schmitts Fahrradpropaganda, 2015
Ein schönes Beispiel für Richard Schmitts „manipulativen Umgang mit Fakten“ (Eigenzuschreibung) lieferte er in seiner Krone-Kolumne „Wiener Melange“ am 30. August 2015. Hier behauptete er, der Radanteil in Wien sei „um bloß 2 % auf 7 % gestiegen, die Zahl der Radunfälle nahm aber im gleichen Zeitraum deutlich zu.“
Lesenswert dazu die Urteilsbegründung des Richters:
„Durch die Beifügung des Wortes ‚bloß‘ zu den nominell kleinen Zahlen von fünf und sieben wird dem durchschnittlichen Leser des Boulevardmediums Kronen Zeitung die tatsächliche Relation verschleiert. Eine Steigerung von 5 auf 7 Prozentpunkte beträgt 40 %, was beim Thema wie der Verkehrsmittelwahl, die sich in der Vergangenheit nicht sprunghaft veränderte, in einem Zeitraum von vier Jahren einen erheblichen Zuwachs bedeutet. Zum Vergleich: Eine 40 %ige Zunahme des Autoverkehrsanteils binnen vier Jahren wäre wohl eine Veränderung, die für Wien kaum verkraftbar wäre.
Die Zahl der Radunfälle ist in den letzten drei Jahren vor Erscheinen des Artikels vergleichsweise konstant geblieben. Trotz eines zwischenzeitigen Anstieges von 2013 auf 2014 lagen beide Werte unter jenem für 2012.
Der vom Kläger erweckte Eindruck ist daher falsch; der Fahrradverkehr ist in den Jahren vor dem Erscheinen des Artikels nicht gefährlicher, sondern im Gegenteil sicherer geworden.“
6. Das falsche Kindergartenfoto, 2015

Am 15. Oktober 2015 veröffentlichte Schmitt in seiner Kolumne „Wiener Melange“ ein Foto einer „Krone“-Leserin. Das Foto zeigt eine vollverschleierte Frau neben einer Kindergruppe auf dem Wiener Naschmarkt.
Er schreibt dazu, dass es sich bei der vollverschleierten Frau um eine Kindergartenpädagogin aus einem Kindergarten in der Arnethgasse in Wien Ottakring handle, die sich mit einer Gruppe an Kindern aus diesem Kindergarten auf einem Ausflug am Wiener Naschmarkt befinde.
Die Behauptung, die Frau wäre Pädagogin in besagtem Kindergarten, wiederholt er fünf Tage später im Artikel „Islamischer Kindergarten vor Sperre“. Wie jedoch ein Artikel aus der Wochenzeitung „Falter“ vom 21. Oktober zeigt, war die Behauptung falsch:
Es offenbart sich ein (von dem Redakteur mittlerweile eingestandener) Recherchefehler […] Sowohl die MA 11 als auch der Kindergarten widerlegen, dass die Verschleierte in dem von der Krone genannten Kindergarten arbeitet.
Der „Falter“ schildert, dass ein Lokalaugenschein genügt hätte, um auszuschließen, dass es sich bei der abgebildeten Frau um eine Kindergartenpädagogin aus diesem Kindergarten handelt.
7. Die Recherche-Meisterleistung mit der roten Welle, 2016
In einer Kolumne vom 13. Oktober 2016 behauptet Schmitt, die Stadt Wien würde Autofahrer mit bewussten roten Wellen “sekkieren”. Als Beleg führt er einen Leserbrief sowie einen eigenen Test (!) an. Experten kommen nicht zu Wort. Auch eine Stellungnahme der Stadt wurde nicht eingeholt.
8. Die vermeintlichen Blitz-Kurse für Zuwanderer, 2016
Ein weiteres Beispiel für die verzerrte Darstellung von Migrationsthemen liefert Schmitt in seiner Kolumne vom 27. Oktober 2016. Er behauptet, dass „zugewanderte Afghanen, Iraker, Nigerianer etc. (noch dazu ohne Deutschkenntnisse)“ einen „Blitz- Kurs“ besuchen könnten, welcher nur 200 Tage dauere und dieser mit acht Jahren Schulausbildung gleichzusetzen ist.
Dazu schreibt der Richter in der Urteilsbegründung:
„Dem durchschnittlich verständigen Leser der Kronen Zeitung wird durch den oben zitierten Text der Eindruck vermittelt, es gäbe Sonderregelungen, die Migranten einen im Vergleich zu Österreichern erheblich vereinfachten Zugang zum Pflichtschulabschluss ermöglichten, insbesondere, dass ihre Ausbildung 200 Tage statt acht Jahren dauern würde und keine Prüfung erforderlich wäre. (..) Die vom Kläger suggerierte Bevorzugung von Migranten hält einer Überprüfung anhand der gesetzlichen Bestimmungen nicht stand.“
9. Die „wahren“ Kosten der Asylkrise, 2016

Am 28. August 2016 veröffentlichte Schmitt einen doppelseitigen „Im Brennpunkt“- Artikel mit dem Titel „Die wahren Kosten der Asylkrise“ und dem Aufmacher: „So viel kostet die Asylkrise wirklich“.
Zunächst schreibt er, dass aktuell 35.000 Menschen, aufgrund positiver Asylbescheide die bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen würden. Jeder dieser 35.000 Personen würde so sie Mindestsicherung beziehen, also € 837,76 pro Monat erhalten. „Jeder der 35.000 Migranten, die bereits im Mindestsicherungssystem sind, erhält 837,76 € pro Monat.“
Der Richter dazu in seiner Urteilsbegründung:
„Der im Artikel genannte Betrag ist ein Höchstbetrag, der bei weitem nicht für alle Beziehern zur Anwendung kommt und auf den das jeweilige Eigeneinkommen anzurechnen ist. Auch bei Aufwendung minimaler journalistischer Sorgfalt wäre es dem Kläger daher möglich gewesen, zu erheben, dass die von ihm vorgenommene Multiplikation des Höchstbetrages mit der von ihm genannten Zahl der Migranten im Mindestsicherungssystem keine sinnvolle Berechnungsmethode zur Ermittlung der tatsächlichen Ausgaben darstellen kann.“
Schmitt rechtfertigt sich so:
Es wird vorgebracht, dass dem Kläger die Höhe der Mindestsicherung vom zuständigen Magistrat mitgeteilt wurde und er diese einfach nur weitergeleitet hat, sodass hier kein Recherchefehler vorliegt. Sollte dem Kläger von der Magistratsabteilung eine unrichtige Zahlung genannt worden sein, so ist ihm dies nicht vorwerfbar.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich die falschen Behauptungen unter dem Titel „Die wahren Kosten der Asylkrise“ finden.
10. Nur 100 studierende Asylwerber, 2016
In einem Artikel vom 31. März 2016 mit dem Titel „Von 111.026 Flüchtlingen studieren nur 100“ behauptet Schmitt, dass von 111.026 Personen, die seit Sommer 2015 als Asylwerberinnen und Asylwerber nach Österreich kamen, nunmehr lediglich 100 studieren würden.
- Er bezieht sich dabei auf ein Schreiben der Universitätsverwaltung einer nicht näher benannten Wiener Universität. Für die Zahl an Asylwerbenden wird eine bundesweite Zahl herangezogen, für die Zahl der Studierenden lediglich Angaben einer Universität.
- Weiters besteht die herangezogenen Personengruppe zu einem nicht unwesentlichen Teil aus minderjährigen Personen (37 % der Asylwerber von 2015 sind minderjährig), von welchen (noch) kein Studium an einer Universität erwartet werden kann.
- Zu berücksichtigen wären auch jene Personen, die bereits ein Studium abgeschlossen haben oder andere Berufsausbildungen abgeschlossen haben.
- Dazu nimmt eine Nostrifizierung von Zeugnissen etc. durchaus längere Zeit in Anspruch, bevor man zur Inskription berechtigt ist.
Die Replik Richard Schmitts fiel so aus:
Es wird ausgeführt, dass hier der Kläger die journalistische Sorgfalt jedenfalls befolgt hat und ihm nichts vorzuwerfen ist, zumal ihm diese Zahl von der Universität Wien genannt wurde. Der Kläger hat mit der Pressestelle der Universität Wien Kontakt aufgenommen und wurde ihm dabei mitgeteilt, dass nur 100 studieren würden.
Siehe auch den Kobuk-Artikel Zahlenspiel der Krone lässt Flüchtlinge dumm aussehen.
11. Gratisfrühstück für Drogensüchtige, 2016
Sie spritzen kein Opium? Nehmen kein LSD? Dann haben Sie, liebe Leser, leider keinen Anspruch auf ein vom Wiener Steuerzahler finanziertes Gratisfrühstück.
Das schrieb Schmitt in einem heftigen Kommentar über Betreuungsangebote von Wiener Drogenberatungs- und -behandlungseinrichtungen. Lesenswert dazu der Offene Brief von KlientInnen und MitarbeiterInnen dieser Einrichtungen:
Menschenverachtend. Letztklassig. Widerwärtig. Abstoßend. Richard Schmitt, Kronen Zeitung.
12. Maschinengewehre auf der Donauinsel, 2017
Im Juni 2017 war auf Krone.at, dessen Chefredakteur Richard Schmitt war, zu lesen, die Polizei hätte kurz vor dem Donauinselfest auf der Donauinsel zwei Maschinengewehre und eine Faustfeuerwaffe gefunden. Nichts davon stimmte, wie die Polizei mitteilte:
Berichte über einen angebl. Waffenfund im Vorfeld des #dif17 können wir definitiv nicht bestätigen. Wir hatten keine derartige Amtshandlung.
— POLIZEI WIEN (@LPDWien) June 23, 2017
Schmitt rechtfertigte sich damit, dass er den Artikel nicht verfasst habe, wie er auch bei anderen Gelegenheiten die Annahme von sich wies, er trüge Verantwortung für Artikel, die in Medien erschienen waren, für die er verantwortlich zeichnete.
Der Richter dazu in der Urteilsbegründung:
Die Frage, wie weit die Verantwortung des Klägers für Artikel zu bemessen ist, die nicht von ihm verfasst wurden, jedoch unter seiner Leitung als Chefredakteur publiziert wurden, kann dahingestellt bleiben, weil bereits die von ihm geschriebenen Artikel die Äußerung des Beklagten rechtfertigen.
13. Wieder ein falsches Kindergartenfoto, 2017
Am 25. Juni 2017 veröffentlichte Schmitt unter dem Titel „Kopftuch: Bei Kindern Alltag“ eine weitere Islamkindergarten-Story, wieder mit falschen Fotos. Dies führt in der Folge zu einer Rüge durch den Presserat sowie einer rechtskräftigen Verurteilung durch das Handelsgericht.
14. Die Stadt Wien verschweigt die Mohammeds, 2017
2017 veröffentlichte Schmitt sowohl in der Printausgabe der „Kronenzeitung“ als auch auf „Krone.at“ den Artikel „Mohammad bereits auf Platz fünf der Kindernamen!“, dies würde die Stadt Wien aber verschweigen.
Richter Exner dazu in seiner Urteilsbegründung:
„Der Artikel vermittelt dem durchschnittlich verständigen Leser der Kronen Zeitung den Eindruck, dass die Stadt Wien bewusst verschweigen würde, dass der Vorname Mohammad bereits der fünftbeliebteste für Neugeborene wäre.
(Ausführliche Begründung:)
Warum die Stadt Wien nur eine der beiden Statistiken an die Medien versendet, kann viele Gründe haben. Der Vorwurf der Verschleierungsabsicht erscheint jedoch angesichts der Untauglichkeit des Versuchs der Täuschung redlicher Journalisten unhaltbar, ist doch mit einem Blick auf die nicht zusammengefasste Statistik sofort erkennbar, dass unter den Bubennamen Mohammad in unterschiedlichen Schreibweisen mehrfach in den vorderen Rängen aufscheint. Zudem ist die vermisste Statistik seit Jahren im Internet abrufbar. Ein Verschweigen wäre selbst gegenüber einem Journalisten, der nicht recherchiert, sondern die übermittelte Statistik bloß oberflächlich betrachtet, unmöglich.
Die vom Kläger vermittelte Aufregung über einen aufgedeckten Missstand lässt bei genauerer Betrachtung jedes Substrat vermissen.“
15. „Radler verletzen 74 Fußgeher“, 2018
Der Stein des Anstoßes, der Kobuk-Artikel, der Richard Schmitt so in Rage brachte, dass er den Rechtsweg einschlug.
Wenn der @RichardSchmitt2 was schreibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht stimmt, recht hoch. Wenn's um Verkehr geht, steigt sie gegen 100%. #kobuk https://t.co/LJ1WEdncrF
— Helge Fahrnberger (@Helge) July 9, 2018
Die richterliche Beurteilung liest sich so:
„Der gesamte Artikel handelt von der Gefahr, die von Radfahrern ausgeht. Durch die übergangslose Aneinanderreihung der oben festgestellten Sätze gewinnt der durchschnittlich verständige Leser der Kronen Zeitung den Eindruck, die elf Verkehrstoten seien auf Unfälle von Fußgängern mit Fahrrädern zurückzuführen. Der Satz davor und der Satz danach handeln ausdrücklich von Radfahrern, nur der entscheidende Satz dazwischen nicht. Nur bei besonders sorgfältigem Lesen und Kenntnis der Verkehrstotenstatistik könnte auffallen, dass der mittlere Satz einen Themenbruch darstellt.
Eine derartige Aufmerksamkeit kann dem durchschnittlichen Konsumenten dieses Boulevardmediums nicht unterstellt werden, der von ihm wahrgenommene Inhalt ist falsch.“
16. Die vermeintliche Spur nach Wien, 2018
In einem Artikel vom 29. September 2018 unter dem Titel „Journalistenmord: Spur nach Wien“ wird in der „Kronen Zeitung“ über den Mord an dem slowakischen Journalisten Jan Kuciak berichtet.
Darin heißt es wörtlich: „Slowakische Auftragskiller erhielten spezielles Training mit halbautomatischen Waffen auf einem Schießplatz in Wien- Stammersdorf.“ Tatverdächte aus dem Mordfall Jan Kuciak sollen also in Wien ausgebildet worden sein.
Die „Kronen Zeitung“ selbst sah sich zwei Tage später, am 30.09.2018, gezwungen eine Richtigstellung vorzunehmen: In dem Artikel mit dem Titel „Wir trainieren keine Mörder!“ wird festgestellt, dass Tatverdächte in der Causa Jan Kuciak niemals in Wien an einem Waffentraining teilgenommen haben, sondern vielmehr in Polen. Das tags zuvor verleumdete österreichische Schulungsunternehmen bekam ausführlich Platz zur Selbstdarstellung.
Glaubwürdigen Quellen zufolge stammt die relevante Falschinformation von Richard Schmitt, er wurde intern entsprechend gerügt. Er selbst verantwortet sich so:
Es wird darauf verwiesen, dass der Kläger für diesen Artikel lediglich die Hintergrundinformation über die Ausbildungsstätte von einem Konkurrenzunternehmen in der Slowakei erhalten und diese weitergegeben hat. Verfasst wurde der genannte Artikel von Frau Martina Prewein und Herrn Christoph Budin.
17. Fälschung eines Demo-Fotos, 2018
Der Artikel Schmitts „Grünen-Politiker in Salzburger Gipfel-Randale“ vom 21. September 2018 veranlasste den Österreichischen Presserat zur Rüge aufgrund eines Verstoßes gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse. Hintergrund war ein manipuliertes Lichtbild, das den damaligen MEP Michel Reimon so darstellt, als wäre Reimon Teil einer gewaltbereiten Demonstration.
Unpackbar: die krone photoshopped sich ihr weltbild zurecht.
nicht zum ersten mal.
demonstrationsbilder besonders gern. https://t.co/pnbzmTlfYu pic.twitter.com/nwNEKN7CuW— Matthias Cremer (@MatthiasCremer) September 21, 2018
Der 2. Senat des Presserats merkte dazu an:
Anscheinend wollten die Redakteure den Grünen- Politiker gezielt mit vermummten und gewaltbereiten Demonstranten in Verbindung bringen.
Schmitt selbst bezeichnete die Bildfälschung als „Collage“.
18. Stimmungsmache mit Messer-Migranten, 2018
Am 04.11.2018 behauptete Richard Schmitt im sowohl auf „Krone.at“ als auch im Print verbreiteten Artikel “GRENZSTURM DROHT – Experten zu ‚Krone‘: ‘Jetzt kommen ganz andere‘”, in Bosnien “hoffen mehr als 20.000 Migranten auf die Chance eines Durchbruchs nach Mitteleuropa. Sie sind bewaffnet, fast alle haben ein Messer“.
Trotz eines Faktenchecks der ARD beim UNHCR, wonach in Bosnien im Jahr 2018 insgesamt 20.000 Migranten registriert wurden, sich aber nie gleichzeitig dort aufhielten, ist der Artikel bis heute unverändert online.
Der Presserat sprach eine Rüge in mehreren Punkten aus.
Das Urteil
Das HG Wien als Erstinstanz hat die Klage Schmitts am 31. August 2020 zur Gänze abgewiesen, das Oberlandesgericht Wien hat dieses Urteil in zweiter Instanz nach einer Berufung Schmitts bestätigt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Der Richter der Erstinstanz, Rat Jürgen Exner, begründete sein Urteil im Wesentlichen damit, dass durchschnittliche Twitter-UserInnen meinen Tweet als Äußerung einer negativen Meinung über Schmitt verstehen.
Zwar sei der Tweet nach seinem Wortlaut grundsätzlich eine Tatsachenbehauptung, allerdings sei für durchschnittliche LeserInnen leicht erkennbar, dass es sich um eine stilistische Übertreibung zwecks persönlicher Kritik an den Publikationen von Richard Schmitt handle; niemand würde ernsthaft davon ausgehen, dass Schmitt zu 100% Falsches publiziere.
In meinem Tweet werde daher ein Werturteil geäußert, für das es eine ausreichende Tatsachengrundlage gebe:
Die festgestellten Unrichtigkeiten mögen nur einen Bruchteil des journalistischen Werkes des Klägers betreffen, reichen jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts aus, um im Zusammenhalt mit der zugestandenen tendenziösen Berichterstattung die vom Beklagten geäußerte Kritik zu rechtfertigen.
Auch für das OLG lag „weder ein Wertungsexzess vor, noch werden die Grenzen zulässiger Kritik überschritten“. Der Kritik liege „ein ausreichendes Tatsachensubstrat zugrunde“.
Die Spende
Als die Klage bekannt wurde und wir einen Rechtshilfetopf einrichteten, kam innerhalb kurzer Zeit die unglaubliche Summe von €13.195 an Spenden zusammen. Eine wunderbare Welle der Solidarität. Herzlichen Dank an alle!
Diese Summe habe ich (abzüglich Nebenkosten), am 2. Juni 2021 als Spende dem Verein Reporter ohne Grenzen Österreich überwiesen.

Helge Fahrnberger, Hans Kirchmeyr (Kobuk.at) und Rubina Möhring (Reporter ohne Grenzen) bei der Spendenübergabe
Ich bin sehr froh, dass ich nicht auf den – inhaltlich bereits ausverhandelten – Vergleich eingegangen bin, denn Schmitt wollte, dass ich die halben Gerichtskosten sowie die Kosten meiner Rechtsvertretung tragen solle. Das war für mich nicht akzeptabel, immerhin habe ich die Spenden nicht erhalten, um schnell den Schwanz einzuziehen, sondern um mich gegen diese Einschüchterungsklage wehren zu können.
Die Spendenempfängerin Reporter ohne Grenzen fand der Richter angesichts Richard Schmitts notorischem Faible für Migrationsthemen übrigens recht lustig.
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Anhang: Die Gerichtsdokumente
Klage Schmitt
Klagsbeantwortung Fahrnberger
Vorbereitender Schriftsatz Schmitt
Vorbereitender Schriftsatz Fahrnberger
Aufgetragener Schriftsatz Fahrnberger
Aufgetragene Replik Schmitt
Urteil des Handelsgerichts Wien
Berufung Schmitt
Berufungsbeantwortung Fahrnberger
Urteil des Oberlandesgerichts Wien (rechtskräftig)
Von über mehr als 100 Sex-Attacken berichteten alleine Österreichs größte Medien im vergangenen Jahr. Dabei ging es um so genannte „Sex-Unholde“, „Sex-Strolche“, „Sex-Richter“, „Sex-Opas“. Aber wer sind diese Leute? Ist ein Sex-Lehrer also einfach ein professioneller Ausbildner? Kostet ein Sex-Opa einfach seinen Lebensabend aus? Und welchen Lausbubenstreich hat sich wohl ein Sex-Strolch schon wieder erlaubt? Tatsache ist, dass all diese Begriffe Vergewaltiger bezeichnen oder Menschen, die im Verdacht stehen, jemanden sexuell belästigt oder missbraucht zu haben – zumindest auf den bunten Seiten des österreichischen Boulevards.
Gang und gäbe ist aber der Begriff „Sex-Attacke“. Das Wort muss als Synonym für so ziemlich alles herhalten, was irgendwie mit sexueller Gewalt zu tun hat. Vor allem in „Österreich“ und der „Kronen Zeitung“ wimmelt es von „Sex-Attacken“. Alleine in der gedruckten Ausgabe von „Österreich“ kam das Wort im Jahr 2018 38-mal vor, in der Print-Krone 29-mal. Die seltsame Wortschöpfung ist aber keine Eigenheit des Boulevards. Auch Regionalmedien, die „Presse“ und sogar etwa APA bedienen sich des bequemen Wortes „Sex-Attacke“.
Fehlende Differenzierung
Bequem deshalb, weil es alles bedeuten kann: von belästigenden Aussagen über Berührungen bis hin zur Vergewaltigung. Hier liegt das erste Problem des Begriffs: Er wirft alle Taten in einen Topf. Denn auch wenn alle Übergriffe – egal ob verbal oder physisch – furchtbar sind, müssen sie unterscheidbar bleiben. Wie wenig das Wort „Sex-Attacke“ aussagt, zeigt eine Auswertung aller Vorkommen des Wortes im Jahr 2018.
Gewalt ist nicht einvernehmlich
Mit dem Begriff verletzen Medien aber nicht nur einen journalistischen Grundsatz – nämlich den der Genauigkeit – sondern verharmlosen auch sexuelle Gewalt. Denn Sprache schafft bis zu einem bestimmten Grad auch Realität. Das Wort „Vergewaltigung“ enthält das Wort „Gewalt“ bereits, „Sex“ suggeriert hingegen Einvernehmlichkeit. Damit wird Gewalt heruntergespielt oder sogar verniedlicht. Dass der Begriff „Sex“ für gewaltsame Handlungen zu neutral ist, stellte auch der Presserat schon einmal fest.
Dazu kommt, dass „Sex-“ als Vorwort auch in anderen, positiven oder zumindest gewaltfreien Zusammenhängen verwendet wird. „Österreich“ schreibt etwa von „Sex-Stars“, „Sex-Ehepaaren“ oder „Sex-Unfällen“. Sogar „Sex-Attacke“ kommt einmal in einem Kontext vor, der nichts mit sexueller Gewalt zu tun hat:
In Clown-Schminke, knappen Röcken und mit viel nackter Haut machten drei sexy Clowns die Wiener City unsicher. Hinter der Sex-Attacke steckt die Stripperin und Agenturchefin Stella von Sydney, die zumindest den Männern die Angst vor Clowns nehmen wollte
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„Solche Bezeichnungen verhöhnen die Betroffenen, den TäterInnen signalisiert man, es sei ‚alles halb so wild.‘ Und wir, als Gesellschaft, bekommen das Gefühl, es sei eh irgendwie nur ein Kavaliersdelikt“, sagt Maria Mayrhofer vom Verein Aufstehn, der Ende 2017 eine Unterschriftenaktion gegen die verharmlosende Sprache gestartet hat. Bis dato haben über 4.200 Menschen die Aktion unterstützt.
„Sex“ beruhe auf Konsens, sagt Mayrhofer, alles andere sei ein Übergriff, eine Belästigung, eine Vergewaltigung oder ein Missbrauch. „Das Strafgesetzbuch kennt in der jeweiligen Situation die richtigen Bezeichnungen.“ Gerade bei Berichten über sexuelle Gewalt würden Medien oft die Unschuld der Betroffenen in Frage stellen, indem sie klischeehafte Ausdrücke verwenden, die auf das Aussehen der Opfer verweisen oder mit Ausreden die Schuld der TäterInnen relativieren. Das nennt man Victim Blaming.
Vergewaltigung ist kein Sex
Bleibt nur die Frage: Warum machen Medien es trotzdem? Anfragen an „Krone“ und „Österreich“ blieben unbeantwortet. „Wir befinden uns derzeit in einem Prozess der redaktionellen Neuausrichtung“, lässt Heute.at-Chefredakteurin Jacqueline Büchi per E-Mail wissen. Der Ausdruck “Sex-Attacke” werde nicht mehr verwendet, auch „ähnliche Boulevard-Komposita“ werde man auf Heute.at künftig „deutlich seltener“ lesen. Print-Chef Christian Nusser hält den Begriff „Sex-Täter“ für falsch, „Heute“ habe deshalb schon vor „geraumer Zeit“ die Entscheidung getroffen, den Begriff nicht mehr zu verwenden.
Wolfgang Höllrigl, ehemaliger Chefreporter bei „Heute“ und inzwischen in Pension hat hingegen eine andere Meinung zu dem Begriff Er sprach im Jänner bei der „Aufmacher Medienrunde“ offen über die Wortwahl in der Berichterstattung bei Sexualdelikten. Er begründet das häufige Vorkommen von „Sex-Attacke“ mit dem begrenzen Platz im Zeitungslayout. „Wenn du zwei Mal 18 Anschläge hast, ist Sex-Attacke schon ziemlich gut“, antwortete er auf eine Frage aus dem Publikum. Ob er den Begriff als verharmlosend empfindet? „Diese Sensoren habe ich nicht so.“ Dass das Wort verallgemeinernd ist, gab er allerdings selbst zu – das sei für ihn allerdings nichts negatives. „Sex-Attacke ist einfach alles“, sagte Höllrigl.
Dass „Sex-Attacken“-freie Berichterstattung auch auf engstem Raum funktionieren kann, zeigen allerdings etliche Beispiele, auch aus der „Krone“ und „Österreich“. Möglicherweise auch deshalb, weil das Wort „Vergewaltigung“ gar nicht so viel mehr Platz im kostbaren Print-Layout braucht als „Sex-Attacke“, nämlich gerade einmal um drei Zeichen mehr.
Auch der Verein Aufstehn hat 2017 eine E-Mail an alle Chefredakteure von Österreichs Medien gesendet. Manche Zeitungen hätten sich daraufhin in Artikeln kritisch mit dem Thema auseinandergesetzt, andere hätten auch zugesichert, sich mit der Problematik intern auseinanderzusetzen, erzählt Mayrhofer.
Was sie als Alternative zu den „Sex“-Begriffen vorschlägt? „Die Medien müssen die Dinge beim Namen nennen“, sagt Mayrhofer. Auch wenn in der Titelzeile wenig Platz ist.
Der Presserat ist der gerüchteweise zahnlose Kopf der freiwilligen Selbstkontrolle von Printmedien in Österreich. Für diesen Freitag lädt er zu seinem Rückblick auf das Jahr 2018. Grund genug, sich anzusehen, welche unmittelbare Wirkung seine Entscheidungen bei den betroffenen Medien zeigten. (Spoiler: es gibt noch Luft nach oben.)
Nachfolgend alle im letzten Jahr festgestellten Verstöße gegen den journalistischen Ehrenkodex, wo vom Presserat zumindest eine freiwillige Veröffentlichung der Entscheidung im jeweiligen Medium gefordert wurde.
Gelb: es gab zumindest eine wahrnehmbare Reaktion (außer Löschungen, die niemand mehr mitbekommt)
Rot: der Presserat wurde mehr oder weniger ignoriert
(Der erste Link verweist stets auf das PDF des Presserats mit Falldarstellung und Entscheidung)
23.01.2018 – Krone: Vorwürfe gegen das Grazer „Forum Stadtpark“, es gäbe Verbindung zu Vandalismus bei Protesten gegen das Murkraftwerk, ohne den Beschuldigten eine Stellungnahme zu ermöglichen
Reaktion: Keine. Artikel steht unverändert online.
25.01.2018 – Krone: Berichterstattung über Suizid eines kroatischen Generals („Starker Abgang wie einst von Göring“)
Reaktion: Keine
01.02.2018 – News: Überschießende Berichterstattung über Suizid eines 11-jährigen Asylwerbers
Reaktion: Erwähnung der Entscheidung im Editorial. Zudem hob der Senat bereits in seiner Entscheidung positiv hervor, dass in der Folgeausgabe ein Essay zum Thema „sensible Medienberichterstattung über Suizide“ veröffentlicht wurde.
08.03.2018 – Österreich: Bericht über „Hausverbot für Nikolo“ nicht ausreichend recherchiert – erforderliche Stellungnahme erst in Folgeartikel nachgereicht
Reaktion: Keine
08.03.2018 – OÖN: „Marchtrenker feiert Ende seiner Ehe mit Scheidungsparty für 350 Gäste“ — Berichterstattung über (zu) private Details einer Scheidung
Reaktion: Da es sich um ein Schiedsverfahren aufgrund der Beschwerde einer direkt betroffenen Partei handelte, musste in diesem Fall die Entscheidung nach den Vorgaben des Presserats veröffentlicht werden. Zudem wurde der Online-Artikel entfernt.
20.03.2018 – Krone: Falsche Zahlen zu straffälligen Asylwerbenden („45,9% der kriminellen Ausländer sind Asylwerber“)
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel ohne Berichtigung gelöscht.
03.04.2018 – Wochenblick: In einer Artikelserie über Migration in Schweden wurde das Land dargestellt, „als wäre es auf dem Weg in den Untergang“ — die Leser wurden von der Autorin „auf geradezu systematische Art und Weise getäuscht“
Reaktion: Mehrere Bildschirmseiten lange Erwiderungen von Chefredakteur und Autorin (Archivlinks), in denen dem Presserat u.a. unlautere (Konkurrenz-)Motive unterstellt werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den detaillierten Kritikpunkten des Presserats erfolgte nicht, trotz Beteuerung, die Autorin habe in einem Kommentar „ausführlich sämtliche Anschuldigungen widerlegt“.
08.05.2018 – Krone: Veröffentlichung des unverpixelten Bildes eines Mordopfers verstößt gegen Ehrenkodex — Persönlichkeitssphäre ist auch über den Tod hinaus zu wahren
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel gelöscht.
13.06.2018 – Krone: Unverpixeltes Foto von Mordopfer
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Privates Facebook-Foto aus Artikel gelöscht.
26.06.2018 – Österreich /14.09.2018 – Krone, Heute: Detaillierte Berichterstattung über Suizid von DJ Avicii erhöht Gefahr von Nachahmung
Reaktion (alle drei Medien): Keine. Alle Artikel mit den Details des Suizids stehen unverändert online.
Zeit für einen leichteren Zwischengang: Hier die abgewiesene Beschwerde der „Gräfin vom Naschmarkt“, samt Feststellung des Presserats: „Vernichtende Restaurankritik [ist] kein Ethikverstoß“
Reaktion: Severin Corti unter seinem Artikel für den selbstlosen Einsatz danken.
03.07.2018 – OÖN, Trend: Video von Ikea in redaktionellem Online-Artikel nicht ausreichend gekennzeichnet
Reaktion: OÖN veröffentlichen die Entscheidung und räumen ein: „[Das] Video […] hätte mit dem Wort ‚Quelle: Ikea‘ versehen werden müssen. Wir entschuldigen uns dafür.“ Im Originalartikel bleibt es dennoch ungekennzeichnet.
Der Trend löscht das Video aus dem Artikel. Keine Erwähnung der Entscheidung.
09.10.2018 – Wochenblick: SPÖ und ÖGB wird Gewaltbereitschaft unterstellt und zu Unrecht vorgeworfen, strafbare Handlungen bis hin zu Körperverletzungen und Mord gutzuheißen.
Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)
24.10.2018 – Zur Zeit: Diffamierung von Roma und Sinti als „Zigeuner“ und ethnische Zuordnung einer schweren Straftat ohne Beleg
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel steht unverändert online.
24.10.2018 – Österreich: Veröffentlichung zahlreicher Fotos von ermordeten Frauen stellt Persönlichkeitsverletzung dar
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. „Österreich“ verpixelt nun aber meist die Augen minimal, was die Erkennbarkeit der Opfer jedoch nur unwesentlich einschränkt.
11.12.2018 – alles roger: Artikel über „Österreich-Netzwerk“ von George Soros nicht ausreichend recherchiert, persönlichkeitsverletzend und diskriminierend
Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)
Resümee
Dass sich die üblichen Verdächtigen eher wenig um Verurteilungen durch den Presserat kümmern und diese in manchen jeann… journalistischen Parallelwelten sogar als Ritterschlag gehandelt werden, überrascht nicht weiter. Wenn aber sogar grenzwertige Suizidbeschreibungen bei den größten Boulevardmedien des Landes trotz Presseratsurteil unverändert online bleiben, dann wird die Grenze zwischen freiwilliger Selbstkontrolle und -aufgabe fließend.
„Als Einbrecher-Hochburg im deutschsprachigen Raum führt Wien das Ranking einer Städte-Studie an. Jeder achtzigste bewohnte Haushalt in der Bundeshauptstadt wurde bereits einmal von einem Einbrecher geknackt.“
Mit diesen beiden Sätzen beginnt ein Artikel der Gratis-Zeitung „Heute“ vom 21. November 2017 zum Thema „Wo die Kriminellen in Wien zuschlagen“. Begibt man sich nun auf die Suche nach der erwähnten Studie – zu der es keine Quellenangabe im Text gibt – wird man doch relativ schnell stutzig, denn die Studie scheint nicht auffindbar.
Man stößt allerdings auf einen Beitrag des Onlineportals trend.at vom 15.08.2012, in dem es heißt:
„Als Einbrecher-Hochburg im deutschsprachigen Raum führt Wien das Ranking der Städte-Studie an. Jeder achtzigste bewohnte Haushalt in der Bundeshauptstadt wurde bereits einmal von einem Einbrecher geknackt.“
Wort für Wort ident mit dem Artikel aus „Heute“. Der Artikel von trend.at bezieht sich auf eine Studie des Online-Portals geld.de aus dem Jahr 2011, die allerdings inzwischen nicht mehr auffindbar ist. Jedoch erfährt man aus einem Artikel der Presse, dass die Zahlen, die der Studie zu Grunde liegen, aus dem Jahr 2009 stammen.
Heute schreibt also nicht nur von trend.at ab, sondern bezieht sich auch auf acht Jahre alte Zahlen.
Kann man nun aber noch immer behaupten, dass Wien die Einbrecher-Hochburg des deutschsprachigen Raumes wäre? Diese Frage kann ganz klar mit NEIN beantwortet werden. Der Vergleich mit beispielsweise Hannover macht sicher:
Im Jahr 2016 gab es in Wien laut Statistik Austria insgesamt 901.900 Privathaushalte, dem gegenüber stehen 6.173 Einbruchsdiebstähle in Wohnungen und Wohnhäuser. Daraus ergibt sich, dass in Wien 2016 in etwa jeden 146. Haushalt eingebrochen wurde, was einen deutlichen Rückgang gegenüber der Zahlen aus dem Jahr 2009 darstellt. Zum Vergleich: in Hannover wurde im Jahr 2016 etwa in jeden 101. Privathaushalt eingebrochen, was einen deutlich höheren Wert als jenen des selben Jahres in Wien darstellt. Das Beispiel Hannover soll nur beweisen, dass Wien nicht die „Einbrecher-Hochburg im deutschsprachigen Raum“ ist und soll nicht heißen, dass diese nun Hannover wäre.
Über die Gründe wieso hier dermaßen schlampig gearbeitet wurde, kann man nur mutmaßen. Betrachtet man die Seite, auf der der Artikel erschien jedoch als Ganzes, beschleicht einen ein Verdacht. Gleich drei Inserate zum Thema Einbruchsprävention scheinen direkt unter besagtem Artikel auf. Ein Schelm, wer böses denkt.
Da wundert es auch nicht, dass „Heute“ verschweigt, dass die Einbrüche in Wien weniger werden (PDF S. 72).
Heute, Österreich und die Krone berichteten über die gestiegenen Gefahren für AMS-Mitarbeiter, übertreiben dabei maßlos und vergleichen Äpfel mit Birnen. Um 163 Prozent sollen die Angriffe auf AMS Mitarbeiter laut den Boulevardblättern gestiegen sein. 163 Prozent – das klingt nach einem schlimmen Skandal: Nach „Horror-Statistik“ und „Telefon-Terror“.
Tatsächlich sind die Berichte aber kompletter Blödsinn. Das sieht man, wenn man sich die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage ansieht, aus der die Zahlen stammen.
Die Übergriffe werden hier in zwei Kategorien geteilt: Jene an der Telefon-Hotline und jene in den Geschäftstellen.
An der Hotline stiegen die verbalen Übergriffe in Wien tatsächlich von 82 auf 450 an – ein Plus von etwa 450 Prozent. Eine Fußnote an dieser Stelle verrät jedoch, dass Wien im Jahr 2015 die Erfassungsmethodik änderte. Und genau deshalb ist es Unfug die Zahlen miteinander zu vergleichen.
Bis 2014 wurden nur dann Zahlen erhoben wenn ein Mitarbeiter sich bedroht oder persönlich beleidigt fühlte und dies von sich aus meldete. Ab 2015 ordnete das AMS an, über jeden Übergriff Statistik zu führen. Die Mitarbeiter wurden aufgefordert, wirklich jeden Vorfall zu dokumentieren, unabhängig von den persönlichen Empfindungen, wie ein Sprecher des AMS auf Rückfrage erklärt. Dadurch tauchen in der Statistik zwar viel mehr Fälle auf, es lassen sich jedoch keine Rückschlüsse darauf ziehen, wie sich der Alltag für die Mitarbeiter im vergangenen Jahr tatsächlich verändert hat.
In der zweiten Kategorie, den Geschäftstellen, sind die Angriffe in Wien um 40 Prozent gestiegen, auf 260 Fälle. Gemeint ist aber nicht nur körperliche Gewalt, sondern etwa auch mündliche und schriftliche Beschimpfungen. Eine Fußnote verrät auch hier, dass 137 dieser schriftlichen Angriffe nur eine Geschäftsstelle betrafen und „zum überwiegenden Teil einer Person zuzuordnen sind.“ Auch dieser Anstieg ist also kaum aussagekräftig. Die Krone und Heute erwähnen diese Person sogar, allerdings nur im direkten Zusammenhang mit den Angriffen, nicht jedoch bei der Interpretation des behaupteten Gesamtanstiegs.
Generell lassen sich von so kleinen Zahlen kaum handfeste Trends ableiten, wie genau solche Beispiele zeigen. Denn wenn eine einzige Person die Statistik derart verfälschen kann, wo bleibt dann die Relevanz?
Einige erinnern sich bestimmt noch an die „Heute“-Story von den vermeintlichen Dschihadisten im Gemeindebau, die wir kürzlich auf Facebook hatten:
„Heute“ versucht laut Eigenwerbung zwar, schlechten Journalismus wegzulassen, aber wenn er schon mal da ist? Von loslassen war nicht die Rede. Und so wurde diese Falschmeldung am nächsten Tag nicht nur nicht korrigiert, sondern sogar noch ein Artikel nachgelegt:
Das Perfide: Auch die „Heute“-Redaktion wusste zu diesem Zeitpunkt bereits nachweislich, dass für die Polizei praktisch kein Terrorverdacht mehr vorlag. Dennoch behauptete das Gratisblatt wider besseres Wissen weiterhin, es handle sich um eine „Dschihad-Wohnung“ und die Polizei sei darin auf „Terrormaterial“ gestoßen. Dazu noch ein Foto vom „Tatort“-Gemeindebau. Dort gab’s zwar nie eine Tat, dafür aber in „Heute“ die genaue Adresse (inkl. Stockwerk!) der unschuldig Terrorverdächtigten.
Welche dramatischen Folgen diese Art von „Journalismus“ für die drei jungen Männer hatte, hat das ORF ZIB-Magazin gestern in einem bemerkenswerten Beitrag aufgezeigt:
Kurzfassung:
Einer hat den Job verloren. Die Wohnung wurde gekündigt. Der Briefkasten beschmiert. Die unmittelbare Wohnumgebung mit Parteiflugblättern aufgestachelt.
Wer nach solchen Erlebnissen noch friedvoll bleibt, der muss schon stark im Glauben sein.
PS: Dominik Lagushkin hat in seinem Blog eine äußerst lesenswerte Chronologie der Ereignisse zusammengestellt.
PPS: Kurier und Profil haben die jungen Männer bereits einige Tage vor der ZIB besucht und Artikel mit weiteren interessanten Details veröffentlicht.
In der Ausgabe vom 20.01.2015 liefert „Heute“ die wichtigsten Tipps für eine perfekte Hochzeit. Die perfekte Hochzeitswerbung würde es besser treffen, denn für jeden Tipp lässt sich ein passendes Inserat auf der gleichen Seite finden:
Sieht fast so aus, als hätten die Werbekunden den Artikel gleich selbst geschrieben. Ärgerlich nur, dass dieser „Artikel“ nicht als Werbung gekennzeichnet ist. Rechtlich ist das so vorgesehen: Redaktionelle Artikel und Werbung müssen erkennbar zu unterscheiden sein. Sonst fällt das unter Schleichwerbung – aber sollte der „Heute“ Redaktion ohnehin schon hinlänglich bekannt sein.
Am Dienstag berichtete “Heute” in ihrer Titelstory vom tragischen Mord einer gewissen Serena B. (27), die im Urlaub vergewaltigt und erschlagen wurde. Dem Bericht zufolge “reisten Familie und Freunde jetzt nach Wien, um ihre Asche in der Donau zu verstreuen”.
Blöd nur, dass das Ganze vor 32 Jahren passiert ist!
Christopher Booker, der von “Heute” erwähnte Bruder, ist selbst Journalist. Letzte Woche erschien ein Artikel von ihm, in dem er den Vorfall bezüglich seiner Schwester detailliert schildert: Ermordet wurde sie 1982 – ihre Asche wurde ein Jahr später in die Donau verstreut.
Laut “Heute” könnte der mutmaßliche Mörder von Serena auch ein britisches Urlaubspärchen ermordert haben. Gemeint sind offenbar David Miller und Hannah Witheridge, welche im Artikel von Serenas Bruder erwähnt werden. Die beiden Rucksacktouristen sind im September 2014 tot aufgefunden worden – Serenas mutmaßlicher Mörder ist allerdings selbst schon seit über 30 Jahren tot. Wenn er also heuer im September zwei Menschen umgebracht haben soll, dann muss er wohl so etwas wie eine wandelnde Mumie sein. Außerdem hat die Polizei die mutmaßlichen Mörder von Miller und Witheridge bereits geschnappt.
Anscheinend ist “Heute” auf ihr “Versehen” aufmerksam geworden – die Online-Version des Artikels wurde bereits gelöscht. Doch als Titelgeschichte der meistgelesenen Zeitung Wiens dürfte sie dennoch der eine oder andere Leser zu Gesicht bekommen haben.
„Heute“ feiert 10. Geburtstag. Für die Fans gibt es schmerzbefreite Politiker-Selfies auf Twitter, für die anderen “Dossier”. Doch während das Alter von „Heute“ feststeht, ist das Alter seiner Herausgeberin auf Wikipedia erstaunlich umkämpft. Und das führt zu überraschenden Einsichten.
Über dreieinhalb Jahre hat jemand auf Wikipedia immer wieder versucht, das Geburtsjahr Eva Dichands von 1973 auf 1975 zu ändern. Seit Ende 2010 stammten alle diese Fälschungsversuche direkt von einer IP-Adresse des „Heute“-Verlags. Stets wurden diese anonymen Änderungen von anderen Wikipedia-Autoren wegen fehlender Belege abgewehrt.
Im Mai 2012 stellte „Heute“ dann aber selbst einen falschen, verjüngten Lebenslauf von Eva Dichand als PDF auf Heute.at online (). Kurz darauf vermerkte der oder die anonyme Autorin aus dem „Heute“-Verlag diese „offizielle“ Quelle. Und seither steht stand auf Wikipedia bei der „Heute“-Chefin ein falsches Geburtsjahr:
Bevor nun Zweifel aufkommen: Eva Dichand ist tatsächlich 41, und damit zwei Jahre älter als man uns glauben machen will. Das ist notariell im Firmenbuch beglaubigt:
Wir wollen hier aber gar nicht weiter auf dem Alter Eva Dichands herumreiten. Viel spannender ist, was der oder die anonyme Autorin oder die Autoren unter den auf Wikipedia sonst noch so getrieben hat oder haben.
Wikipedia-User, die Eva Dichand verjüngten, editierten demnach auch:
➡ Auflagezahlen, Erfolgsmeldungen und PR-Details der Gratiszeitung „Heute“.
➡ Gesundheitstipps für Trägerinnen von hohen Absätzen.
➡ Sticheleien gegen den Journalistenkollegen Christian Ortner:
„Ortner vertritt in seinen Artikeln, Kommentaren und Kolumnen eine intellektuell eher schlichte Variante des Wirtschaftsliberalismus.“
➡ Sehr viele Sticheleien gegen das Konkurrenzblatt „Österreich“:
„Das Blatt hat noch immer schwere logistische Probleme im Vertrieb.“
„In Wien wurden unzähliche [sic!] Entnahmeboxen – ähnlich denen der Gratiszeitung HEUTE- vor den U-Bahnabgängen im Freien aufgestellt. Bei schlechtem Wetter bleiben diese meist zu [sic!] großteil [sic!] voll.“
„Das Tageszeitungsprojekt wurde allerdings nicht wie erwartet vom Markt angenommen. […] Im Gegensatz zu seinen Magazingründungen bläst Fellner hier eisiger wind [sic!] entgegen. Die kolportierten 60 Mio. Anfangskredit mußten [sic!] bereits verdoppelt werden. ein Großteil der Auflage wird durch Gratisverteilungn [sic!] erzielt.“
➡ Und dann bringt „Heute“ noch das bemerkenswerte Kunststück zuwege, ein Gerücht anonym zu streuen und gleichzeitig „mit Nachdruck“ zu verneinen:
„HEUTE gilt für Brancheninsider als das Abwehrprodukt der Mediaprint gegen die neue Tageszeitung ÖSTERREICH, die zum Großteil ebenfalls gratis verteilt wird. Eine Verbindung zwischen Mediaprint bzw. der Familie Dichand wird von beiden Seiten mit Nachdruck verneint.“
Ein Gerücht, das angesichts der vom Rechercheteam „Dossier“ dokumentierten Fidelis-Connection zwar harmlos scheint, aber das die WAZ als Hälfte-Eigentümerin der „Krone“ brennend interessieren dürfte. Denn ohne die Zustimmung der WAZ war es Hans Dichand versagt, neue Zeitungen zu gründen. Interessant, dass dies vom „Heute“-Verlag offenbar selbst in den Raum gestellt wurde. Wenn auch – vermeintlich – anonym und „mit Nachdruck“ verneinend.
Neugierig geworden auf noch mehr „Heute“-Interna, -Rätsel und -Zusammenhänge? Die Kollegen bei „Dossier“ haben da so einiges zusammengetragen.
Zur Erklärung: Viele Links in diesem Artikel führen zu einer „Änderungsansicht“ auf Wikipedia, die die Unterschiede einer Bearbeitung zur Vorversion eines Artikels darstellen. Einfach linke und rechte Seite vergleichen.
Wir legen Wert auf die Feststellung, dass wir über keine Beweise verfügen, dass all diese Wikipedia-Bearbeitungen tatsächlich von Frau Dichand persönlich oder auf ihre direkte Anweisung hin entstanden wären, oder ob hinter den Änderungen eine Person oder eventuell auch mehrere, sich eine IP-Adresse teilende Personen standen. Jeder möge sich anhand der dokumentierten Fakten selbst eine Meinung bilden.
(Danke an @dossier für den Hinweis in dieser Sache gestern auf Twitter!)
213.235.233.58, 88.117.8.15, 188.22.163.82 und 78.142.182.178 („Heute“-Verlag AHVV).