Das „profil“ berichtet über die Probleme in der Faymann-SPÖ und weist auf eine allgemeine Krise der sozialdemokratischen Parteien in Europa hin. Um die eigene These der schwächelnden Sozialdemokraten zu stützen, lässt das Magazin aber manche Fakten weg oder recherchiert nur halbherzig.
Bis auf Norwegen und Schweden würden sozialdemokratische Parteien „nirgendwo in Europa“ über dreißig Prozent liegen, behauptet „profil“. Gemeint sind dabei offenbar Parlamentswahlen. Wenn hier „Europa“ die EU-Staaten bedeutet, hat man aber zumindest auf die Slowakei (44%), Kroatien (40%) und Rumänien (37%) vergessen. Außerhalb der EU trifft dies etwa noch auf Albanien zu.
Auch die zugehörige Grafik (siehe rechts) folgt einer eigentümlichen Logik: Es soll sich dabei um die „jüngsten Wahlergebnisse“ in Europa handeln. Markiert sind aber Spanien, wo die letzten Wahlen im November 2011 stattfanden, oder Frankreich, wo im Juni 2012 zuletzt gewählt wurde. Gleichzeitig fehlt Italien, wo eigentlich ein recht frisches Ergebnis aus dem Februar 2013 vorliegt. Erster war dort das Linksbündnis der sozialdemokratischen PD – mit 29 Prozent in der Abgeordnetenkammer (was ihr durch einen wahlrechtlichen „Boost“ die absolute Mehrheit verschafft) und 31 Prozent im Senat. Und während das magere Ergebnis der griechischen PASOK aus dem Juni 2012 angeführt wird, fehlen zB. Daten aus Lettland (Oktober 2014) oder Rumänien (Dezember 2012), wo die Sozialdemokraten bzw. ihre Wahlbündnisse bessere Ergebnisse hatten.
Der Löwenanteil des „profil“-Artikels setzt sich fundiert mit den Schwierigkeiten der heimischen SPÖ auseinander. Aber im Europa-Kontext wollte man offenbar die eigene These nicht zu Tode recherchieren.
In den letzten Tagen haben unter anderem Kurier und profil von einer APA-Umfrage über das Vertrauen in die Landeshauptleute berichtet. In allen Medien war die Darstellung problematisch.
Im Kurier hat das so ausgesehen:
und im profil (nur Print) so:
Ausgangspunkt war eine Online-Umfrage von APA/OGM mit 500 Befragten.
Im OGM-Bericht (pdf) liest man, dass die maximale Schwankungsbreite 4,5% beträgt. Das ist so nicht richtig und gilt nur für einen Teil der Daten.
Denn im Bericht werden unter anderem Vertrauenswerte für die Landeshauptleute im jeweils eigenen Bundesland ausgewiesen. Wenn die Stichprobe „sauber“ ist, dann wurden in Vorarlberg und im Burgenland daher nur etwa 20 Personen befragt. Da kann man zwar noch die Formel für Schwankungsbreiten verwenden – allerdings wäre sie deutlich größer als die 4,5%. Generell sollte man aber Stichprobenergebnisse mit n=20 nicht mehr publizieren. Da noch auf die Gültigkeit der Näherungsformeln für Stichprobenschätzungen zu hoffen, ist ziemlich wagemutig. Genau das machen aber sowohl Kurier als auch profil: Sie publizieren die bundeslandspezifischen Werte. Auch im Bericht der APA finden sich diese Zahlen.
Für den Vertrauensindex (Anteil Vertrauen minus Anteil kein Vertrauen) stimmt die im OGM/APA Dokument angegebene maximale Schwankungsbreite ebenfalls nicht. Bei Differenzen von Anteilen aus derselben Stichprobe muss man andere Formeln verwenden, und die Schwankungsbreite wird dann größer. Genaueres dazu (inklusive eines interaktiven Rechenblattes) kann man in meinem Blog nachlesen. Die Schwankungsbreite beim bundesweiten Vertrauensindex von LH Pröll beträgt beispielsweise 8,0% und nicht maximal 4,5%.
Der Kurier publiziert bei den bundesweiten Ergebnissen lobenswerterer weise nicht nur die Differenz „Vertrauen – kein Vertrauen“, sondern auch „Vertrauen“, „kein Vertrauen“ und „weiß nicht“ getrennt. Allerdings gibt’s da Probleme mit der Darstellung. Man kann diese Daten nur getrennt und daher nicht gleichzeitig in einer Grafik sehen. Dabei wäre es sehr einfach, alle Daten in übersichtlicher und aufschlussreicher Form darzustellen, etwa so:

Daten aus dem Vertrauensindex – Darstellung von Erich Neuwirth
Diese Grafik zeigt auch, warum es statistisch nicht vertretbar ist, nur die Differenzen zwischen Vertrauen und keinem Vertrauen auszuweisen: beim Vergleich der Landeshauptleute weist der Anteil der Unentschiedenen (gelber Balken) die weitaus größten Unterschiede auf. Diese Information in der Grafik einfach auszublenden erweckt ein völlig falsches Bild. Es hat wohl auch wenig Sinn, das Vertrauen in einen LH eines kleinen Bundeslands, der erst kurz im Amt ist, mit einem langdienenden LH eines großen Bundeslandes zu vergleichen.
Und noch ein Problem gibt’s mit der Kuriergrafik. Bei den 3 verschiedenen Diagrammen ändert sich die Reihenfolge der Landeshauptleute weil die immer der Größe der verschiedenen Werte nach angeordnet werden. Das erschwert vergleichendes Lesen ungemein.
Insgesamt illustriert die Kommentierung und die grafische Darstellung recht deutlich, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, bis Stichprobenerhebungen bezüglich ihrer Schwankungsbreiten sorgfältig kommentiert werden und grafische Darstellungen so gewählt werden, dass es dem Konsumenten möglichst leicht gemacht wird, Erkenntnisse aus den Grafiken abzuleiten.
Statistiker geben aber die Hoffnung nie auf, und außerdem war es früher noch wesentlich schlimmer.
* Erich Neuwirth ist außerordentlicher Professor (i.R.) an der Universität Wien und lehrt Informatik, Statistik und Mathematik.
Der Einleitungstext der Coverstory des letzten „Profil“ liest sich sehr ähnlich wie ein Artikel der „Presse“ aus dem Mai:
Wenn die Maturantin Tina M. von der Zukunft träumt, wirkt das, als ob sie einem feministischen Schwarzbuch entsprungen wäre. Vier süße Kinder, abends kommt der Ehemann nach einem erfüllten Arbeitstag nach Hause, es wird frisch Gekochtes gemeinsam gegessen, (…). Doch, doch, sie möchte nach dem Schulabschluss schon studieren, vielleicht sogar (…).
Wenn Tina M., 18 Jahre, von der Zukunft träumt, dann hat sie ein klares Bild vor Augen: Sie möchte einmal Kinder haben, vier hübsche blonde Kinder. Und während ihr Mann (natürlich ist sie verheiratet) in die Arbeit geht und das Geld nach Hause bringt, wird sie sich um den Nachwuchs kümmern: kochen, putzen, (…) bis ihre Sprösslinge aus dem Gröbsten heraus sind.
Immerhin sind Tinas Kinder im „Profil“ süß statt hübsch und hat sich der Satzbau ein wenig verschoben. Und verweisen nicht beide Artikel auf die gleiche Studie? Tina M. wird wohl eine Teilnehmerin aus diesen Fokusgruppen sein, es wird sich wohl um ein Zitat aus der Studie handeln, nicht?
Liest man den Presse-Artikel, könnte man tatsächlich meinen, Tina M. sei Teilnehmerin der Studie. Stehen tut das da allerdings nirgends. Lediglich „Profil“ schreibt:
Tina M. (…) ist eine der 800 Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren, die im Rahmen der vierten Ausgabe des „Jugendmonitors“ (…) kürzlich zu ihrer Einstellung zu den Themen Familie, Kinder und Beruf befragt wurden.
Das ist falsch. Tina M. hat an der Studie nicht teilgenommen, sondern wurde im Mai von der „Presse“ interviewt, wie sie mir auf meine Anfrage bestätigte. „Profil“ dürfte ganz einfach von der „Presse“ abgeschrieben haben, und das auch noch so schlecht, dass man’s merkt.
(Danke für den Hinweis @FlorianGasser!)
PS: Der „Standard“ über die gleiche Sache.
Harte Töne von Herbert Lackner, Chefredakteur bei „profil“. Er bezeichnet Nichtwähler der Bundespräsidentenwahl als: „Ignoranten, von chronischer geistiger Trägheit Befallene bar jeden Gemeinsinns“.
Ich finde: Knapp die Hälfte aller Wahlberechtigten Österreicher/innen als Ignoranten zu bezeichnen ist ein starkes Stück.
Heute morgen um 8:00 Uhr ging folgende OTS-Meldung in den Äther:
Bereits zwei Stunden später eine weitere OTS-Meldung:
„profil“: Heutige „profil“- Aussendung zu Abwehramt ist Zeitungsente
Sehr löblich, dass die Mitarbeiter der Presseabteilung im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport auch am Wochenende ihrer Arbeit nachgehen und das mit einer für Beamten ungewohnten Geschwindigkeit. Nun bleibt abzuwarten, ob der Artikel in der am Montag erscheinenden Profil-Ausgabe (2010/16) auch abgedruckt wird.
Bild: Knipsermann, „Zeitungsente!“ Some rights reserved