Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kategorie: Tiroler Tageszeitung

Ein schwarz gekleideter Polizist blickt streng in Richtung Hafen, neben ihm tanzen bunte Micky-Maus-Luftballons in der Luft“, berichten die Salzburger Nachrichten im Mai 2016 aus dem Gazastreifen. Die Kronen Zeitung veröffentlicht im Februar 2020 eine „Spurensuche“ nach einem moldawischen Oligarchen: „Durchs Zentrum von Chisinău knattert ein rostiger Traktor. Auf einem Fahrrad kämpft eine Dame mit Kopftuch und Schürze gegen die Kälte.“

Berichterstattung aus der Ferne ist beliebt, bei Journalistinnen und Journalisten ebenso wie bei ihrem Publikum. Doch Auslandsreportagen sind aufwändig und teuer – die Reise, die Unterkunft, die Übersetzung, die Kontakte vor Ort. Wer finanziert das eigentlich? Die  Recherche von Kobuk zeigt: Häufig sind es nicht die Medien selbst.

Der Ötztaler Bergbauer Markus Wilhelm ist der wohl politisch einflussreichste Blogger Österreichs. Armin Wolf schrieb mal über ihn, Wilhelm sei mit seinen außergewöhnlich gut dokumentierten Enthüllungen bei der Tiroler ÖVP gewissermaßen Landesfeind Nummer eins geworden und habe es tatsächlich geschafft, …

[…] eine Art Gegenöffentlichkeit in Tirol herzustellen, mit Geschichten, die auch von den etablierten Landesmedien nicht ignoriert werden können.

Nun, die Geschichten können sie nicht ignorieren, aber wie die größte Tageszeitung Tirols über Markus Wilhelm und sein Blog dietiwag.org nicht berichtet, das ist schon bemerkenswert.

1. Der „Blogger“

Journalisten meiden Wiederholungen, es ist schlechter Stil. Noch mehr meidet die „Tiroler Tageszeitung“ nur den Namen Markus Wilhelm. Ihre Leser kennen den Dissidenten daher nur unter dem Codenamen „Blogger“:

      

Doch die TT kann auch anders. Hier nennt sie den Namen und schreibt sogar anerkennend: „der populärste Blogger des Landes“:

Tja, bloggte Wilhelm in China, hätte er in Tirol einen Namen — das wär doch ein Gewinn für alle Seiten …

2. Die leicht modifizierte APA-Meldung

Eine „Schweinerei erster Ordnung“ will Hans Peter Haselsteiner, gewohnt instinktsicher, in der „Tiroler Tageszeitung“ geortet haben. Er meint natürlich nicht diese kleine Änderung der APA-Meldung, die aus Platzgründen leider unumgänglich war — sonst hätte man das schöne Bild beschneiden müssen:

[Haselsteiner] ortete politische Motive des Tiroler Bloggers Markus Wilhelm, auf dessen Homepage die Vorwürfe veröffentlicht worden waren ortete politische Motive hinter den Vorwürfen, die online veröffentlicht worden waren.

 

Was nicht so alles in diesem Internet kursiert. Auch hier hat die APA leider den falschen Einstieg gewählt, die TT hat’s für ihre Leser korrigiert:

Nach den auf „dietiwag.org“ des Bloggers Markus Wilhelm veröffentlichten Nach den im Internet kursierenden Vorwürfen gegen die Festspiele Erl und deren Künstlerischen Leiter „Maestro“ Gustav Kuhn, will Kulturlandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) nun eine Sitzung des Stiftungsvorstandes einberufen.

 

3. Die TT — Eine Klasse für sich

Allein über Wilhelms Festspiel-Coup haben in den letzten Monaten im deutschsprachigen Raum und in Südtirol diese Medien berichtet:

Der Standard ● Die Presse ● Kleine Zeitung ● Kronen Zeitung ● Kurier ● Neue Vorarlberger Tageszeitung ● OÖN ● ORF ● „Österreich“ ● Profil ● Salzburger Nachrichten ● Tiroler Tageszeitung ● Vorarlberger Nachrichten ● Wiener Zeitung ● Abendzeitung (D) ● Die Welt (D) ● Süddeutsche Zeitung (D) ● Weltwoche (CH) ● Dolomiten (ITA)

 

Das einzige Medium, das dabei kein einziges Mal den Namen des Aufdeckers oder seines Blogs genannt hat, ist die … Trommelwirbel …

Tiroler Tageszeitung

 

 

Bonustrack

Dabei hat das Blatt gar nichts gegen Blogger, im Gegenteil. Hier gibt die TT anhand einer Tiroler Modebloggerin mit Hund sogar richtig gute Tipps, wie man erfolgreich Vollzeitblogger wird:

„Die Themen sollen aktuell sein, einen Nutzwert für die Leserschaft erzeugen und Emotionen hervorrufen“ […] Unter Emotionen können auch gerne provokative und freche Noten einfließen.

Vielleicht sollte Markus Wilhelm das einfach mal beherzigen.

Der „Kurier“ illustrierte am 9. April ein großes Sebastian Kurz-Portrait mit einem Bild, das aussieht wie der feuchte Traum eines Partei-Werbefotografen. Junge, sympathische Menschen, die sich um ihren Anführer scharen und mit ihm lachen und klatschen.

Kein Wunder, stammt es auch von der JVP. Ein Einzelfall? Keineswegs.

Denn sowohl Außenminister als auch Kanzler beschäftigen Hausfotografen, deren Fotos immer öfter in der heimischen Presse zu sehen sind. So gut wie jede Tageszeitung verwendet diese von den PR-Teams der Politiker sorgfältig ausgewählten Bilder, die subtile Heldengeschichten transportieren und die für uns Zeitungsleser in der Regel nicht als PR-Bilder erkennbar sind.

Keine Redaktion käme auf die Idee, die PR-Texte von Politikern als Artikel abzudrucken, noch dazu ohne das Publikum über deren Urheberschaft aufzuklären. Kriterien, die bei PR-Bildern nicht zu gelten scheinen. Petra Bernhardt, die an der Uni Wien zu visueller Kommunikation forscht, dazu:

Hausfotografen müssen eine Situation nicht akkurat wiedergeben, sondern können einen Moment herausgreifen, der den Politiker in ein besseres Licht rückt. Das Anliegen von Medien sollte allerdings nicht sein, die imagepolitischen Deutungsangebote eines Politikers fortzuschreiben.

Wir haben die Zeitungsarchive der letzten Monate durchforstet und erschreckend viele Beispiele gefunden, wie österreichische Tageszeitungen die visuellen Heldenerzählungen von Kurz und Kern transportieren. Ein Drama in fünf Akten:

1. Sympathische Helden

 


Wie wertvoll es für Politiker ist, in der Kronen Zeitung mit süßen Tieren abgebildet zu werden, wissen wir nicht erst seit Karl-Heinz Grassers Vorliebe für Hundefotos ebendort. Die „plötzliche“ Begrüßung des süßen Streuners hat nicht etwa ein Fotograf der Krone dokumentiert, es war der Hausfotograf des Außenministers, Dragan Tatic.

Kern besucht einen Kindergarten – zu welchem politischen Zweck, bleibt verborgen. Für den Kanzler ein lohnender Termin: Der Standard macht aus dem Foto eine eigene Geschichte und verbreitet die visuelle Heldenerzählung von Kerns Hausfotograf Andy Wenzel, die Geschichte eines sympathischen und kinderlieben Helden. Als journalistischer Anlass genügt das baldige Weihnachtsfest.

Die Wiener Zeitung illustriert die Leserbriefseite mit einem herzerwärmenden Bild des Außenministers aus der Kamera von dessen Hausfotograf. Die Leserbriefe handeln allerdings weder von Äthiopien noch von österreichischer Entwicklungszusammenarbeit, sondern von der Kurz’schen Flüchtlingspolitik. Das freundliche PR-Bild wiegt hundert kritische Leserbriefe auf.

Die Presse am Sonntag bebildert des Kanzlers 100-Tage-Bilanz mit einem Bild, das ihn im eng-vertrauten Umgang mit Europas mächtigster Politikerin zeigt. Sieht aus wie Fotojournalismus, ist aber das Bild, das Kerns PR-Team zeichnen möchte.

Der Kanzler in „Wir schaffen das“-Pose vor der begeisterten EU-Spitze, klatschend. (Tiroler Tageszeitung)

2. Bilder, die zu Geschichten werden

 


Falls das Presseteam des Kanzlers zu dessen Start das Bild des Spielmachers vermitteln wollte, mit diesem Foto ist das gelungen. Das Bild färbte sogar auf die Wahl der Headline der ersten Zwischenbilanz des Standard ab.

Die Tiroler Tageszeitung gibt quasi schon im Titel zu, dass dieses Bild von Kurz auf „Tuchfühlung“ mit Ban Ki-Moon der Geschichte ihren speziellen Spin gibt. Auch dieses Bild stammt aus der Produktion und nicht zuletzt sorgsamen Vorauswahl von Kurz‘ Presse-Team.

Kurz, der eine EU-weit besonders harte Haltung gegenüber der Türkei einnahm, gefällt sich auch in der Bildauswahl in dieser Rolle: Aug in Aug mit dem Despoten vom Bosporus, augenscheinlich nicht bereit, zurückzuweichen. Die Wiener Zeitung überbringt die Bildbotschaft des Außenministers gerne.

3. Kurz und Kern als Anzugmodels

 


Ein besonders dreistes Genre an PR-Fotos sind jene, die ihre Protagonisten ohne erkennbaren Anlass einfach nur in Pose präsentieren. Petra Bernhardt zu diesem Foto im Kurier:

Das Foto wirkt wie eine flüchtige Aufnahme und suggeriert, dass der Minister auch abseits politischer Meetings ständig im Einsatz ist. Die Untersicht wäre für ein Nachrichtenfoto eigentlich tabu. Es handelt sich um ein Füllbild, das keine inhaltliche Funktion für den Text erfüllt.

 


Ähnlich bei diesem Bild des Kanzlers, in Verwendung der Oberösterreichischen Nachrichten. Dieses Bild wurde gar über die Nachrichtenagentur APA bezogen, die die Gratis-PR-Bilder an alle Medien verteilt, genau wie eigene fotojournalistische Arbeiten.

Der Top-Gun-Außenminister (es fehlt nur die Ray Ban-Brille), wieder in leichter Untersicht und mit Turboprop im Hintergrund. Ein Klischee wie aus einer 90er-Jahre-Werbekampagne, verbreitet von der Presseagentur APA und in journalistischer Verwendung in der Presse.

Die Wiener Zeitung illustriert eine Analyse seitenfüllend mit einem coolen Kurz-Posing vor dem Facebook-Firmenschild. Der vollkommen fehlende Konnex zwischen Sujet und Artikelinhalt wird mit einer Bildunterschrift an den Haaren herbeigezogen.

Ein Kanzler wie ein Wall Street-Manager, stilecht mit Empire State Building im Hintergrund. Das gefällige Bild erschien im Standard.

4. Bilder, die ein Macher-Image transportieren

 


Der Kanzler geht forschen Schrittes voran und hält dabei Augenkontakt mit dem Leser. Die Körperhaltung des ungarischen Regierungschefs, der Kern nachfolgt, ist in dieser Bildauswahl deutlich weniger dynamisch. Die Salzburger Nachrichten wählten das Bild als Aufmacher des Tages.

Der Außenminister besuchte nicht nur Frontsoldaten in der Ost-Ukraine, er wies ihnen dabei noch den Weg. Diese beachtliche Ortskenntnis schaffte es aufs Cover des Standard.

Den Weg zeigt Kurz auch EU-Kommissar Mimica, in der Tiroler Tageszeitung.

Und nicht zuletzt zeigt der Außenminister auch dem Papst, wo’s lang geht. Das sehenswerte Bild verschafft dem „kurzen Treffen“ einen sehr prominenten Artikel im Kurier.

5. Alle Welt lauscht Sebastian Kurz

 


Der iranische Präsident lauscht Sebastian Kurz. (Wiener Zeitung)

Der niederösterreichische Landeshauptmann lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)

Der libyische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)

Vitali Klitschko lauscht Sebastian Kurz. (News.at)

Der russische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse. Auch Der Standard illustrierte den Artikel zu diesem Treffen mit einem weiteren Foto aus der Kurz-PR-Werkstatt: Auch auf diesem lauschte Lawrow Kurz aufmerksam.)

Der chinesische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)

Der amerikanische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse)

Der britische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)

Der UNO-Generalsekretär lauscht Sebastian Kurz. (News.at)

Und auch der Papst lauscht Sebastian Kurz. (Kronen Zeitung)

Epilog

 

Die meisten dieser Bilder sind auf Auslandsreisen entstanden. Die Medienkrise macht es sicher für viele Redaktionen schwieriger, neben Redakteuren auch Fotojournalisten auf diese Reisen zu entsenden.

Das kann jedoch keine Entschuldigung dafür sein, unreflektiert und unkommentiert PR-Material von Politikern zu verbreiten. Zudem fast alle Tageszeitungen Kunden (und Eigentümer) der Austria Presse Agentur sind, über die sie solche Reisen durchaus von einen gemeinsamen Fotojournalisten begleiten lassen könnten.

Update:

In einer früheren Version dieses Artikels stand „Wladimir Klitschko“. Es handelt sich jedoch um Vitali Klitschko.

 

Die Kronen Zeitung hatte am 28. April folgende Schlagzeile am Titelblatt:

Der Begriff „Ostarbeiter“ ist schwer vorbelastet. Die beiden Kobuk-Autoren Yilmaz Gülüm und Hans Kirchmeyr haben sich dazu im Redaktionssystem von Kobuk eine Debatte geliefert, wie die Verwendung des Begriffs durch die „Krone“ zu bewerten sei.

Yilmaz:

„Ostarbeiter“. Arbeiter aus dem Osten eben, oder? Falsch. Denn so wurden während der NS-Zeit Zwangsarbeiter genannt, die aus der Ukraine oder Weißrussland verschleppt worden waren. Entscheidend war dabei die „nichtdeutsche Volkszugehörigkeit“.

1942 gab es einen Erlass, der „Ostarbeitern“ etwa verbot, Geld oder Wertgegenstände zu besitzen oder den Arbeitsplatz zu verlassen. Manche sehen im Begriff „Ostarbeiter“ gar ein Synonym für „Sklavenarbeiter“ oder Zwangsarbeiter

Ob es sich um Unwissen oder Provokation handelt, sei dahin gestellt. Neben der Kronen-Zeitung findet sich der „Ostarbeiter“-Begriff auch auf der Onlineausgabe der „Tiroler Tageszeitung“ sowie im Magazin Unzensuriert, einem rechten Medium rund um den dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf. Die FPÖ und das BZÖ verwenden den Begriff ebenfalls in je einer Presseaussendung. Ansonsten wird der Begriff so gut wie nur im historischen (NS-)Kontext verwendet.

Daraufhin kontert Hans:

Ich finde, wir können es auch übertreiben (und das sag ich mit meinem Stürmer-Strache-Vergleich). Selbst wenn die Verwendung von „Ostarbeiter“ perfide Absicht sein sollte, schadet das Aufdecken hier vermutlich mehr als es nützt. Weil das kaum mehr wer nachvollziehen können wird. Es ist nämlich schon ein Unterschied, ob jemand ohne Not und mit erkennbarem Augenzwinkern auf Nazi-Semantik zurückgreift („Ehre heißt Treue“, etc.) oder ob es sich um einen Begriff handelt, der sich auch „normalen“ Leuten durchaus anbietet und wo die Vorbelastung schon eher in die Rubrik Spezial- bis Geheimwissen fällt. Vielleicht liege ich aber auch völlig falsch, die ersten Suchergebnisse auf Google sprechen ja durchaus ihre eigene Sprache.

Ich halte es jedenfalls für schwierig, hier die Leser mit ins Boot zu holen. Das würde nach einer sehr stringenten Beweisführung verlangen, dass es sich hier eindeutig um einen Nazibegriff handelt, der auch bewusst von der Krone so gesetzt wurde. Das halte ich nicht für machbar.

Eher könnte man noch im Rahmen eines größeren Arguments nebenbei auf diese zufällige (?) Gemeinsamkeit in der Wortwahl hinweisen, so wie Andreas Koller es in den Salzburger Nachrichten gemacht hat.

Und wieder Yilmaz:

Ostarbeiter ist ein Nazibegriff. Wie „schlimm“ das Wort jetzt ist oder nicht ist, beurteile ich ja nicht. Ich finde einfach, gerade Medien sollten sensibler mit solchen Begriffen umgehen. Übrigens ist es doch lustig, dass FPÖ, BZÖ und die „Krone“ (und eine Tiroler Zeitung) den Begriff verwenden und alle andern nicht.

Wie seht ihr das?

(Danke an Corinna Milborn für den Hinweis zu diesem Artikel und das Twitpic.)

Update: Anita Weidhofer hat sich die Kampagne hinter der Schlagzeile angesehen – in diesem Kobuk.

Tiroler Tageszeitung vom 5.9.2010

Über 13 Millionen verkaufte Mercedes in nur einem Monat erscheinen gar viel, selbst für China. 13,4 Verkäufe, wie die Zahl eigentlich zu lesen wäre, dürften wiederum für den armen Käufer von 0,4 Autos wenig zufriedenstellend sein.

Tatsächlich hat Mercedes-Benz weltweit im August 2010 „nur“ 81.000 PKWs an den Kunden gebracht. Davon wurden 13.400 Stück in China (inkl. Hongkong) ausgeliefert.

Ein herzliches Dankeschön für den Tipp geht an H.N.!