Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kategorie: ! Starker Kobuk

NEWS.at hat am Montag einen bemerkenswert kritischen Artikel über Raiffeisen veröffentlicht. Wenige Stunden später war dieser aber nicht mehr auffindbar. Der Autor bestätigte uns gegenüber nur, dass der Artikel online war, wollte jedoch keine weitere Stellungnahme abgeben. Laut einem Verlagsinsider, der ungenannt bleiben möchte, wurde der Artikel nach einer Intervention der NEWS-Verlagsleitung bei der Chefredaktion entfernt. Der NEWS-Verlag steht zu 25,3 % im Eigentum von Raiffeisen/Kurier.

Machtfaktor Raiffeisen

Wie konnte aus einer kleinen Selbsthilfegruppe verarmter Landwirte die mächtigste und größte Firmengruppe des Landes werden? Dieser Frage gingen die Autoren Lutz Holzinger und Clemens Staudinger in ihrem „Schwarzbuch Raiffeisen“ nach und trugen dabei akribisch Informationen über den Großkonzern zusammen, die diesen nicht immer im besten Licht darstellen. NEWS.AT sprach mit den Autoren über ihr Buch und Raiffeisen.

In dem Beitrag (hier eine gerettete Textversion) wurden die Machtstrukturen von Raiffeisen beleuchtet. Quasi-Monopole zum Nachteil von Produzenten und Konsumenten, öffentlich kaum beachteter Einfluss auf bekannte Unternehmen, Verflechtungen mit Medien und Politik. Bis hin zu Tricks, die der Bank eine sagenhafte Steuerquote von tlw. nur 1 % bescheren, indem sie die Steuerzahler für Expansionsverluste im Ausland mitzahlen lässt.

Vom neuen Raiffeisen-Chef Erwin Hameseder ist übrigens im Monatsmagazin „Datum“ dieses Zitat überliefert:

Ein Eingreifen direkt bei den Redakteuren gibt es bei mir nicht, das hat auch Christian Konrad nicht gemacht. Ich spreche mit den Führungspersonen, also Herausgebern und Chefredakteuren. Die gehen dann damit um.

 

Update:

Die APA hat sich der Sache angenommen und auch Axel Bogocz, den Geschäftsführer von News-Verlag und News.at, erreicht (hier der Artikel in der „Presse“). Der Artikel sei gelöscht worden, weil er „unseren journalistischen Standards nicht genügt“ habe:

Wenn man den Autoren von ‚Schwarzbuch Raiffeisen‘ so viel Platz für ihre Thesen zum Unternehmen Raiffeisen einräumt, gebietet es die journalistische Fairness, auch einmal die Standpunkte der Raiffeisen dazu zu hören.

Warum man der Raiffeisen nicht in einem zweiten Interview Möglichkeit gegeben hat, ihren Standpunkten Gehör zu verschaffen, anstatt das erste Interview zu löschen, erläuterte Bogocz nicht. Warum sich statt der Chefredaktion die Verlagsleitung um die Einhaltung journalistischer Standards kümmert, ebensowenig. Falter-Chefredakteur Florian Klenk dazu auf Twitter:

 

Scheinbar exklusiv verkündet die Kronen-Zeitung am Titelblatt, was allen anderen entgangen ist: einen „dramatischen Anstieg der Raubüberfälle“ und „alarmierende Zahlen“. Die Wahrheit sieht allerdings anders aus. Und woher die Krone ihre Zahlen hat, weiß nicht einmal die Polizei.

Das Kleinformat bezieht sich im Blattinneren auf den etwas ungewöhnlich Zeitraum zwischen September 2012 und März 2013. Im Artikel räumt man ein, dass österreichweit die Zahl der Raubüberfälle zurückging. „Weniger beruhigend“ sei jedoch der genaue Blick auf die Statistik:

Um auf „700 Prozent Anstieg“ zu kommen, leistet sich die Krone einen besonderen Kunstgriff: Von weit über tausend Raubüberfällen in Österreich wird just eine Auswahl genommen, wo im Vorjahreszeitraum genau ein einziger Überfall verzeichnet wurde, nämlich Trafiken in Niederösterreich. Ausgehend von diesem einen Fall löst jede weitere Anzeige natürlich eine prozentuelle Explosion aus. Der Anstieg auf acht Überfälle gleicht dann den atemberaubenden 700 Prozent. Übrigens: 2009 erwischte es zwölf Trafiken in Niederösterreich (siehe pdf, S. 156).

Dasselbe gilt auch für andere Zahlen der Krone, etwa Raubüberfällen in Wohnungen. Besonders in Wien ein angeblich dramatisches Problem:

Obwohl die Gesamtzahl an Rauben in Wien gesunken ist, schlugen Täter in Wohnungen und Häuser 21-mal öfter zu als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

21-mal öfter? Also ein Plus von 2.100 Prozent? Nein, natürlich nicht. Die Krone meint einen Anstieg von 45 auf 66 Anzeigen, ein Plus von 21. Im Jahr 2011 waren es 92 (pdf, S. 240).

Fraglich ist aber auch, wie sinnvoll es ist, Bundesländer einzeln zu betrachten. Räuber, die in einem Bundesland kein günstiges Ziel finden, gehen womöglich schlicht in ein anderes. Daher lohnt es sich, landesweite Zahlen heranzuziehen. Ein „dramatischer Anstieg“ sieht anders aus.


Zwei Dinge kann man hingegen mit Sicherheit sagen: 1. Raubüberfälle wird es weiterhin geben. 2. In Summe wurden sie in den letzten Jahren weniger:



(Achtung: 2012 ist noch ohne Bundesländer. Details siehe Auswahlmenü)

Die hier verglichenen Zahlen hinken allerdings. Die Krone bezieht sich auf Halbjahreswerte (September bis März), ich verwende die öffentlich zugänglichen Ganzjahresdaten aus den Kriminalberichten*. Es gibt in Österreich nur eine Stelle, die aus erster Hand Auskunft über die Zahl der Raubüberfälle geben kann – und zwar die Polizei. Was sagen also die Gesetzeshüter dazu?

„Zu den Zahlen in der Kronenzeitung gibt das Bundeskriminalamt keine Stellungnahme ab- diese sind nicht nachvollziehbar und stammen nicht von offizieller Seite„, so Pressesprecher Mario Hejl auf Nachfrage. Thomas Keiblinger von der Landesdirektion Wien ergänzt: „Aussagen zu Zahlen von 2013 sind nicht seriös. Diese Zahlen liegen noch gar nicht vor.“

* Zusatz

Der Kriminalbericht für 2012 ist zwar schon fertig, aber noch nicht öffentlich. Auf mehrfache Anfrage verweigerte die Polzei ohne Begründung die Einsicht in das Dokument. Lediglich die im Artikel verwendeten Zahlen für 2012 gab man freundlicherweise aus dem Bericht bekannt. Eine Kollegin, die dieses Thema ebenfalls bearbeiten wollte, hatte weniger Glück. Sie bekam gar keine Zahlen. Wem diese Gutsherrenart fragwürdig vorkommt, der möge hier unterschrieben

Ausgerechnet eine Doku über „Lichtnahrung“ markiert einen der dunklen Momente in der jüngeren Geschichte des ORF. Ich will das jetzt aber gar nicht vertiefen. Professor Ulrich Berger hat schon vor Jahren die interessantesten Rezensionen und aufschlussreiche Fakten zusammengetragen. „Der Standard“ hat hier die gestrigen Reaktionen auf Twitter gesammelt, die meisten zwischen Galgenhumor und Fassungslosigkeit.

Für mich stellt sich in diesem Zusammenhang eine andere spannende Frage: Wie sollen Medien korrekt damit umgehen, wenn anerkanntes Wissen von einer überzeugt wirkenden Minderheit lautstark infrage gestellt wird? Wir sehen das ja auch bei den Evolutions-Skeptikern, dem Klimawandel, 9/11 (auch ein sehr dunkler ORF-Moment) und nicht selten in der politischen Debatte.

Statt hier nun für ihre Leser Klarheit und Übersicht zu schaffen, begehen viele Journalisten — sei es aus Bequemlichkeit oder Überforderung — einen für Medienbeobachter eher unerwarteten Fehler. Sie besinnen sich auf ihre Verpflichtung zu Ausgewogenheit und Objektivität. Und das sieht dann so aus: Sie holen zwei Extremstandpunkte ein, stellen sie einander gleichberechtigt gegenüber und lassen das Publikum damit alleine.

Nobelpreisträger Paul Krugman hat diesen klassischen “He Said, She Said”-Stil mal so auf den Punkt gebracht:

Wenn die Liberalen sagen, die Erde sei rund und die Konservativen, sie sei eine Scheibe, steht am nächsten Tag in der Zeitung: „Form der Erde umstritten.“

Einige Medien haben diesen als Objektivität getarnten Nicht-Journalismus mittlerweile als echtes Problem erkannt. Zumindest im englischsprachigen Raum. „False balance“ heißt das dort — falsch verstandene Ausgewogenheit. Die New York Times schreibt dazu:

Falsche Ausgewogenheit ist die journalistische Gepflogenheit, beiden Seiten einer Story gleich viel Gewicht beizumessen, egal ob eine Partei die anerkannte Wahrheit auf ihrer Seite hat. Und viele Leute haben das satt. Sie wollen keine Lügen oder Halbwahrheiten, die der einen Seite geglaubt und gegen die andere verwendet werden. Sie wollen echte Antworten.

Und ich denke, der ORF wäre sogar verpflichtet, diese echten Antworten zu geben. Denn wörtlich heißt es im Gesetz:

„Der Österreichische Rundfunk hat im Dienst von Wissenschaft und Bildung zu stehen.“

Darf er da neutral bleiben und gleichberechtigt zur Wissenschaft Raum für Esoteriker und Obskuranten schaffen, die eine lebensgefährliche Form des Fastens propagieren?

Darf der ORF sich da zurücklehnen und im rhetorischen Zweikampf nach dem Film die Frage nach der Wahrheit ausfechten lassen, als wär’s eine 50:50-Angelegenheit?

Und sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk überhaupt für Gebührengeld eine Doku kaufen und zur besten Sendezeit austrahlen, wenn diese schwerwiegende journalistische Mängel aufweist und die Zuseher durch vielfache Auslassungen  hinter das Licht führt?

Was meint ihr?

 

PS: Haben wir schon mal erwähnt, dass der ORF eine hervorragende Dokumentation über die Kronen Zeitung nie gesendet hat, weil Dichand weil er befand, dass sie „nicht den Qualitätskriterien“ für ORF-Dokus entspräche? (Für ARTE hat’s gelangt.)

Kronen-Zeitung, Vorarlberg-Ausgabe, 23. Dezember 2012:

Kurz vor dem Ziel zückte der Südländer (einer von hunderten kriminellen Ausländern, die unsere Heimat unsicher machen) ein Messer.

Ich bin immer noch sprachlos, aber der Kabarettist Franz Joseph Moped hat auf Twitter Worte gefunden:

(Danke an Philipp Metzler für den Hinweis!)

Kriminalität und Asylmissbrauch sind einer wissenschaftlichen Untersuchung zufolge das nahezu ausschließliche Umfeld, in dem die Kronen Zeitung über Asylwerber berichtet. Dazu passt das falsche Mordgeständnis eines Afghanen, das die „Krone“ am 31. Juli aufs Titelblatt setzte, noch bevor es die bereits zweifelnden Behörden überprüft oder auch nur eine offizielle Stellungnahme abgegeben hatten. Und der Österreichische Presserat, der findet nichts dabei.

Rückblende

Es war der am öftesten geteilte Beitrag, den wir dieses Jahr auf Facebook veröffentlicht haben. Die Schlagzeile der Kronen Zeitung und ihre Gegenüberstellung mit der kleinen Randnotiz am Tag danach, wonach alles nur erfunden war:

Fünffach-Mörder als Asylwerber!

Überraschende Wende … Wie „Krone“-Recherchen ergaben, leidet der Afghane unter einer Psychose — er hat die Morde erfunden.

Wie „überraschend“ diese „Wende“ tatsächlich war, darauf deutet die offizielle Stellungnahme der Polizei hin. Diese äußert sich — noch am Tag der Mörderschlagzeile — nämlich weitaus vorsichtiger als die Kronen Zeitung:

Seitens der Polizei konnte man auf APA-Anfrage keine Details bekanntgeben bzw. bestätigen. Nur so viel: „Ja, der Mann wurde aufgegriffen, die Staatsanwaltschaft hat sich bereits eingeschaltet“, so ein Beamter.

Diese Zurückhaltung erklärt die Sicherheitsdirektion einen Tag später gegenüber dem ORF so:

Es könnte sich auch um eine Schutzbehauptung handeln, denn so umgehe der Mann eine Abschiebung, weil ihm in seiner Heimat die Todesstrafe drohe – so die Erklärung. Es sei nicht das erste Mal, dass Asylwerber derartige Behauptungen anstellen.

Und sogar die „Krone“ selbst schrieb ja bereits vor der „überraschenden Wende“:

Die Polizei überprüft nun das Geständnis.

Was die geneigten Leser in diesem Kontext vermutlich aber weniger als Zweifel am Geständnis, denn als reine Formsache auffassten.

Die Polizei überprüft nun das Geständnis.

Alles, was die „Krone“ also hatte, bevor sie den scheinbar mordenden Asylwerber zur Schlagzeile des Tages machte, war ein strategisch nützliches Geständnis, an dem die Polizei daher stark zweifelte. Und für dessen Wahrheitsgehalt es zu keinem Zeitpunkt eine offizielle Bestätigung der Behörden gab.

Dennoch glaubte die Kronen Zeitung, wie es halt so ihre Art ist, vorbehaltlos den Angaben des Asylwerbers und titelte auf Seite 1:

Fünffach-Mörder als Asylwerber!

Ohne auch nur ein rhetorisches Fragezeichen zu bemühen.

Der Österreichische Presserat

Aufgrund einer Leserbeschwerde musste sich auch der österreichische Presserat mit dieser Geschichte befassen. Und diesen Mittwoch, also schlappe vier Monate später, hat er seine zumindest erstaunliche Entscheidung dazu veröffentlicht:

Der Senat vertritt die Ansicht, dass hier kein medienethischer Verstoß vorliegt. Der Mann hatte die Morde von sich aus gestanden, wobei im ersten Artikel auch darauf hingewiesen wurde, dass die Polizei dieses Geständnis noch überprüfe. Vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung als „Fünffach-Mörder“ nicht zu beanstanden, der „Kronen Zeitung“ ist somit aus medienethischer Sicht kein Vorwurf zu machen.

Das ist verwegen: Der Presserat befindet die falsche „Krone“-Schlagzeile u.a. auch deshalb für in Ordnung, weil im Artikel selbst darauf hingewiesen wurde, dass die Polizei das Geständnis ja noch prüfe. Dass die „Krone“ bereits vor Abschluss dieser Prüfung und vor jeder offiziellen Stellungnahme der Behörden für ihre Leser vollendete Tatsachen geschaffen hat, stört den Presserat nicht. Auch den über Jahre gepflegten kampagnenartigen Kontext und damit die möglicherweise stärkere Versuchung, „nützliche“ Geschichten ohne sorgfältige journalistische Prüfung zu lancieren, blendet der Presserat völlig aus.

Stattdessen heißt es weiter:

Darüber hinaus erfolgte am darauffolgenden Tag, nachdem sich die Angelegenheit aufgeklärt hatte, ohnedies eine Klarstellung, die in dieser Form jedenfalls ausreichend war, zumal von vorneherein kein journalistischer Fehler vorgelegen war. Der Journalist durfte nämlich auf die Richtigkeit der Angaben vertrauen, da diese von der Polizei stammten bzw. auf Aussagen des Betroffenen beruhten. Journalisten sind zur Wahrhaftigkeit verpflichtet, nicht aber dazu, die absolute Wahrheit zu erforschen.

Schöner hätte es der „Krone“-Hausjurist in seiner Stellungnahme an den Presserat auch nicht formulieren können.

Um zu verdeutlichen, wie fatal die Sichtweise des Presserats ist, stellen wir uns kurz vor, ein Österreicher wäre gestern zur Polizei gegangen und hätte dort ohne Not gestanden, er habe im Ausland fünf Menschen getötet. Was ihm aber die Ermittler ohne weitere Prüfung nicht so recht glauben wollen.

Was würde darüber heute auf der „Krone“-Titelseite stehen?

Und wäre nicht eine der drängendsten Fragen jedes Journalisten: Warum? — Warum hat der Mann das gestanden? Was war seine Motivation? Käme hier tatsächlich ein Journalist auf die Idee, dieses „Geständnis“ als Tatsache zu drucken? Ohne zu hinterfragen, ohne vorher eine Einschätzung von Kriminalisten oder Psychologen einzuholen? Wäre das dann „kein journalistischer Fehler“? Und wäre das aus medienethischer Sicht ein unbedenkliches Vorgehen?

Laut Österreichischem Presserat offenbar ja.

Am 29.11. ging ein Artikel auf OE24.at online, der live vom Begräbnis des kleinen Berk, dessen Vater ihn Tage zuvor erschossen hatte, berichtete:

12.30 Uhr: In diesen Sekunden ist der Sarg mit dem kleinen Berk eingetroffen.

12.25 Uhr: +++ Vor dem Alevitischen Veranstaltungszentrum bei St. Pölten sind etliche Trauergäste bereits angekommen +++ von Minute zu Minute werden es mehr +++

Auf Medienethik wurde bei „Österreich“ in diesem Fall offenbar wenig Wert gelegt. Warum muss auf diese persönlichkeitsrechtsverletzende und niveaulose Art über ein Kinderbegräbnis berichtet werden? Das fragten sich auch Einige auf Twitter:

Dazu ergiebige Facebook-Diskussionen und Kritik von DerStandard.at, Presse.com, Horizont online, Futurezone und Kurier.at. DerStandard.at integrierte sogar einen umfangreichen „Live-Ticker Shitstorm“ und bat Medienanwältin Maria Windhager um eine rechtliche Stellungnahme:

„Ein Begräbnis ist ein klassischer Fall von Privatsphäre, die in der Öffentlichkeit stattfindet. Es ist ein absolutes Tabu, dort einzudringen, es sei denn, die Medien werden speziell zugelassen. Sich dem über einen Liveticker zu nähern ist genauso unzulässig und verpönt. Aus medienethischer Perspektive ist es selbstverständlich, dass man diesen Bereich achtet.“

Medienanwalt Alfred Noll ergänzt dazu:

„Medienrechtlich ist das – leider – unbedenklich. Derlei wäre aber Anlass für den Gesetzgeber, den Umfang des Persönlichkeitsschutzes zu überdenken.“

Futurezone bat den Presserat-Geschäftsführer Alexander Warzilek um seine Meinung: Dieser erklärte ausdrücklich, dass es bei diesem Fall eindeutig ist, „dass wir es mit einer medienethischen Übergreifung zu tun haben“. Nur mit welchen Sanktionen ist seitens des Senats zu rechnen, wenn „Österreich“ nicht zu den teilnehmenden Medien im Presserat zählt? Warum ist die Einhaltung des Ehrenkodexes der Presse noch immer freiwillig und diese Art der Berichterstattung rechtlich zulässig?

Beste Voraussetzungen für einen Live-Ticker bat außerdem die Tatsache, dass es Medienvertretern verboten war, am Begräbnis teilzunehmen, wie DerStandard.at schreibt:

„Polizisten schützten das Areal, für Medienvertreter war der Zutritt verboten.“

Aufgrund dieser großen Resonanz blieben auch Konsequenzen der Berichterstattung nicht aus. Die Sponsoren „Bet-at-home“ und „Microsoft“ bedauern die Werbeplatzierung und kündigten die weitere Unterstützung:

Darauf reagierte der Herausgeber Wolfgang Fellner mit folgender Stellungnahme auf DerStandard.at:

„Als ich davon erfahren habe, habe ich den Ticker sofort einstellen lassen.“ Der Liveticker selbst habe „sicher nicht in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingegriffen. In dem ganzen Ticker steht wörtlich nichts anderes als auch in den APA-Meldungen oder den Berichten anderer Online-Medien“, so Fellner.

Aus dem Originalartikel wurde die Live-Berichterstattung gelöscht und um eine User-Entschuldigung ergänzt. Zumindest etwas.

Wie „Kronen Zeitung“ und ORF falsche Internetpropaganda verbreiten und auf wen das österreichische Parlament wirklich hört.

Prolog

Straßenhunde sind keine Kuscheltiere, sondern übertragen Krankheiten und sind eine ernste Bedrohung, insbesondere für Kinder. Uns Couch-Tierschützern mag diese Sicht nicht gefallen, aber viele Menschen, die täglich mit Streunern konfrontiert sind, und oft selbst „wie arme Hunde“ leben, empfinden es so.

Und sie sind damit nicht allein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum Beispiel, rügte im Juli Rumänien: Allein im ersten Quartal 2010 seien dort über 2.000 Menschen von wilden Hunden angefallen worden. Anfang 2011 wurde eine alte Frau von einem Rudel zu Tode gebissen. Das Land gehe nicht konsequent genug gegen die Tiere vor. Dies sei ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Schutz des Privatlebens, hieß es in der Rüge.

Das soll nichts entschuldigen, was mit den Tieren passiert. Aber man sollte die Umstände kennen, bevor man über andere Menschen und ganze Länder urteilt.

20. November 2011, „Kronen Zeitung“

(Bild anklicken für Großansicht)

Kiew am frühen Morgen. Ein Auto fährt durch die Straßen und zwei Männer werfen Fleischbrocken aus dem Fenster. Gierig schnappen Streunerhunde nach den vermeintlichen Leckerbissen […]

Der Bericht liest sich, als hätte die „Krone-Tierlady“ ihn persönlich auf Facebook in der Ukraine recherchiert. Eine erschütternde Reportage über das Leid streunender Hunde, welche für eine „saubere“ Fußball-EM 2012 grausam ihr Leben lassen müssen.

250 Euro gibt es laut „Krone“ für zehn tote Hunde. Das wäre in der Ukraine deutlich mehr als ein durchschnittliches Monatsgehalt. Fast unerträglich: das Foto einer erschossenen Welpenmutter. Die „Krone“ dazu:

Ein Bild wie ein Faustschlag ins Gesicht: Diese Hündin wurde abgeknallt. Ihre hilflosen Welpen wollen ihren Hunger stillen und trinken am leblosen Kadaver ihrer Mutter. Dann wurden wahrscheinlich auch sie bei lebendigem Leib verbrannt.

(„Zenica, Juli 2003“)

Ein Bild wie ein Faustschlag, zweifellos. Aber ins Gesicht der Wahrheit. Denn die arme Hundefamilie war nie in der Ukraine und die lebendig brennenden Welpen — welch ein Bild — dürften die Mutter bereits vor über acht Jahren verloren haben. In diesem bosnischen Forum wurde das scheinbar aktuelle Foto aus der Ukraine bereits vor vier Jahren veröffentlicht. Es sei im Juli 2003 entstanden, heißt es dort, und zwar in Zenica. Über 1000 Kilometer — und acht Jahre — vom heutigen Kiew entfernt.


21. November: Bereits am nächsten Tag ist die Geschichte das Hauptthema in den „Krone“-Leserbriefen. Für alle, die die Sonntagsausgabe nicht haben, wird noch einmal das Foto der bosnischen Hündin und ihrer Welpen groß abgedruckt:

Ein schreckliches, aufrüttelndes Bild vom Hundemord in der Ukraine [sic!] – die Hündin wurde abgeknallt, ihre Welpen wollen ihren Hunger stillen und trinken am leblosen mütterlichen Kadaver.

Auszüge aus den Leserbriefen von Montag und den Folgetagen:

„Als ich am Sonntag die ‚Kronen Zeitung‘ aufgeschlagen habe, hat mich fast der Schlag getroffen. UNFASSBAR“ (21. 11.) … „mir schossen sofort die Tränen in die Augen“ (21. 11.) … „jeder, der ein bisschen Herz hat, wird diese grauenvollen Bilder nie mehr vergessen können“ (23. 11.) … „Bilder des Grauens. Erschütternde Bilder, die sich tief in unser Hirn eingebrannt haben. Bilder, die man nie mehr vergisst, herzerschütternde Bilder, die um die Welt gehen.“ (25. 11.)

25. November: Peter Westenthaler (BZÖ) kündigt in einem Leserbrief an die „Kronen Zeitung“ parlamentarische Maßnahmen an.

"Kronen Zeitung", 25. 11. 2011, S. 32Die beeindruckende Reportage der sehr engagierten Frau Entenfellner […] hat mich dazu veranlasst, Ideen zu entwickeln, wie das offizielle Österreich gegen diesen Tier-Massenmord protestieren könnte.

[…] Schließlich werde ich auch bei der nächsten Parlamentssitzung einen entsprechenden Antrag für eine offizielle Protestnote einbringen. Lasst uns alle gemeinsam – Politik und Sport – gegen dieses Tierleid kämpfen!

Vorsitzender des parlament. Sportausschusses
Abg. Peter Westenthaler

27. November: Die „Kronen Zeitung“ startet eine große Hilfsaktion und bittet ihre Leser um Geldspenden. Dabei lässt sie durchblicken, wie hilfreich das trügerische Foto aus dem Internet für die bisherige Kampagne war:

Die furchtbaren Bilder von Welpen, die sich an ihre blutüberströmte, totgeschossene Mutter schmiegen, und von fahrbaren Krematorien haben einen Aufschrei des Entsetzens ausgelöst. […] Bitte spenden Sie! Verein „Freunde der Tierecke“


29. November: Heinz-Christian Strache besucht die „Krone“-Redaktion und spendet namens der FPÖ 15.000 (!) Euro für die Versorgung heimatloser Tiere in der Ukraine. Im Gegenzug gibt es Erinnerungsfotos auf Facebook und in der „Kronen Zeitung“.



30. November: Kurzer Schauplatzwechsel nach Rumänien. Auf der Facebook-Seite der „Krone Tierecke“ schreibt Maggie Entenfellner entsetzt:

Liebe Freunde! Dieses Bild des Jammers habe ich eben erhalten – es kommt aus Rumänien. Es anzusehen tut einfach nur weh – Menschen die einem hilflosen Lebewesen so etwas tun – können kein Herz, keinen Verstand und kein Gefühl haben.

(699 Kommentare)

Machen wir’s kurz: Das Foto stammt nicht aus Rumänien, sondern aus Mexiko. Mit ca. 10.000 Kilometern ein neuer Rekord im Welpenweitwurf. Und dem kleinen Racker geht’s auch schon wieder viel besser.

(Hoffentlich prüft die „Krone“ bei der Spendenvergabe genauer, ob die Geschichten auch stimmen, in die das Geld der Leser fließt. Spendengütesiegel trägt der Verein „Freunde der Tierecke“ jedenfalls keines. Und im Internet sind auch keine Jahres- und Finanzberichte auffindbar, im Gegensatz zu anderen Tierschutzvereinen, die zum Teil vielleicht deutlich weniger Spenden einnehmen.)

3. Dezember: Peter Westenthaler fordert nun auch in einer OTS-Aussendung Maßnahmen der österreichischen Regierung und der EU gegen „das bestialische Hundemorden in der Ukraine“. Er lässt wenig Zweifel, was ihn mit am stärksten dazu bewogen hat:

[…] Das blanke Entsetzen lösten und lösen in diesem Zusammenhang veröffentliche Bilder aus, auf denen Welpen zu sehen sind, die sich an ihre blutüberströmte Mutter schmiegen“, so Westenthaler […]

9. Dezember: Das Parlament reagiert einstimmig mit einem Entschließungsantrag auf den Bericht der „Kronen Zeitung“. Die freut sich über die politischen Prioritäten im Land:

Alle Parteien gegen Mord an Hunden in der Ukraine!

Wenn schon nicht bei der Schuldenbremse, so sind sich Österreichs Politiker wenigstens im Kampf gegen Tierleid einig […] Wie berichtet, hatte „Krone“-Tiereckenchefin Maggie Entenfellner den unfassbaren Skandal der grausamen Säuberungsmaßnahmen aufgedeckt.

Wirklich lauter falsche Hunde in der „Krone“, der in diesem Bericht stammt in Wahrheit aus Rumänien.

9. Dezember: Das ORF Servicemagazin „Konkret“ berichtet über die Hilfsaktion der „Krone-Tierlady“ und ORF-Moderatorin. Um das Tierleid in der Ukraine zu illustrieren zeigt „Konkret“ ein Video („Quelle: Internet“), in dem ein Hund lebendig in eine Müllpresse geworfen und darin scheinbar zerquetscht wird.

Dazu der Sprecher:

[…] Weil für Plätze in Tierheimen aber kein Geld da ist, werden viele Hunde von Müllwagen einfach entsorgt. […]

(Bild anklicken für Animation, 2 MB)

Das angeblich ukrainische Video des ORF war schon 2005 in der Dokumentation „Earthlings“ zu sehen. Die gezeigte Szene dürfte in der Türkei laut einer Kobuk-Leserin in Indien aufgenommen worden sein und ist vermutlich gestellt: Zum einen stoppt die Presse in ungefährlicher Position, sobald der Hund nicht mehr sichtbar ist. Zum anderen ist kurz zuvor für einen Sekundenbruchteil eine zweite, professionelle Kamera am linken Bildrand sichtbar.



Wag the Dog 2.0

Ich fürchte, wie es tatsächlich um die Hunde in der Ukraine steht, kann derzeit niemand von uns beurteilen. Weil Journalisten ihren Job nicht mehr machen und nur Schockpropaganda aus dem Internet durchschleusen, die eine politische und teilweise auch wirtschaftliche Agenda verfolgt.

Das alles ist schon erschreckend nah an der Filmsatire “Wag the Dog”. Um das US-Volk mit einem gefakten Video auf die schreckliche Lage in Albanien einzustimmen, soll im Filmstudio eine junge Frau vor scheinbaren Unruhen fliehen — mit einem Kätzchen einer Tüte Tortilla-Chips im Arm:

Regisseur: Halt die Tüte gut fest, wir brauchen die für die Armhaltung. Im Bild ist sie dann ein Kätzchen.
Darstellerin: Könnt‘ ich ein Kätzchen halten?
Regisseur: Nein, das kopieren wir nachher rein — genau da.
Darstellerin: Sie kopieren das Kätzchen nachher rein, warum?
Regisseur: Um mehr Möglichkeiten zu haben.
Darstellerin: Was für Möglichkeiten denn?
Regisseur: An Kätzchen!

Jede Ähnlichkeit mit realen Ereignissen und lebenden Personen ist rein zufällig.

 

Stellungnahmen

(Eingeholt von Helge Fahrnberger)

Ich habe Frau Entenfellner von der „Krone“-Tierecke und die Redaktion von „Konkret“ um Stellungnahmen zu den Hinweisen ersucht, dass die verwendeten Aufnahmen nicht aus der Ukraine stammen und nicht aktuell seien. Frau Entenfellner antwortete mir mit dem Satz:

Wir haben die Bilder von Tierschützern aus der Ukraine erhalten.

Auf meine Nachfrage, ob die Authenzität der Aufnahmen in irgendeiner Weise überprüft wurde, sagte mir Frau Entenfellner telefonisch, dass sie keine Möglichkeit habe, die Echtheit solcher Fotos zu überprüfen, da sie bisher nicht in der Ukraine gewesen sei (Kobuk übrigens auch nicht) und sich erst morgen auf den Weg mache. Die Information über das auf Facebook gespostete Welpenfoto habe sie aber bereits richtig gestellt. (Wer findet die Richtigstellung auf Facebook zuerst?)

Eine falsche Herkunft aller anderen verwendeten Fotos würde sie stark verwundern, da sie wegen der anlaufenden LKW-Hilfslieferungen ständig mit den ukrainischen Behörden in Kontakt stehe und diese sie wohl darauf hingewiesen hätten. Wir sollten aber nicht nur die „Krone“, sondern auch andere kritisieren, die diese Bilder verwenden, wie bespielsweise Tierschützer. Auf meinen Einwand, dass wir diese nicht kritisieren, da Kobuk nur für Medien zuständig ist, fragte Maggie Entenfellner:

Gilt Facebook als Medium?

(Wenn das kein Hinweis auf den „medialen“ Ursprung der „Krone“-Bilder ist.) Inzwischen gibt es auch eine ausführlichere Stellungnahme auf ihrer Facebook-Seite, inklusive einer kurzweiligen Diskussion.

Der Sendungsverantwortliche von Quelle: Fernsehen „Konkret“, Edwin Möser, ließ mir folgenden Text schicken:

Beim gezeigten Material – das auch ausdrücklich mit der Quellenangabe „Internet“ versehen wurde – handelt es sich um ein You-Tube-Video, das offenbar zum Thema „Hundetötung in der Ukraine“ ins Internet gestellt worden war. Die „konkret“-Redaktion hat dieses Material nur als Genre-Bild verwendet, um damit die Erzählungen von Augenzeugen der Tiertötungsmethoden in der Ukraine zu dokumentieren. Sollte es sich tatsächlich um Material handeln, das fälschlich unter diesem Titel ins Internet geraten ist, bedauert die „konkret“-Redaktion diesen Irrtum. Der Sachverhalt wird jedenfalls noch einmal genau geprüft. An der Tatsache, dass in der Ukraine anlässlich der Fußball-EM viele Hunde getötet werden sollten und bislang auch getötet wurden, ändert dies jedoch nichts.


Krone.at und Oe24.at zeigen, wie man im Sinne der Suizidprävention nicht über einen Selbstmord berichtet.

Ludwig Hirsch ist letzte Nacht verstorben. Wien.orf.at berichtet sehr zurückhaltend und nennt auf Wunsch der Familie Hirschs keine Details:

Auch das Wilhelminenspital bestätigte zuletzt, dass Hirsch in der Früh im Haus verstorben war. Genauere Auskünfte könne man auf ausdrücklichen Wunsch der Familie jedoch nicht geben, hieß es seitens des Krankenanstaltenverbunds (KAV).

Über den Wunsch der Familie berichten zwar auch Krone.at und Oe24.at – allerdings erst, nachdem sie den Freitod Hirschs in allen verfügbaren Details ausgeschlachtet haben.

Krone.at erklärt im zum Artikel gehörenden Video sogar ganz stolz, dass „ein Reporter der Krone herausgefunden hat“, in welcher Abteilung sich der Musiker befunden hatte. Beide Medien verpacken schon in Dachzeilen, Überschriften und Einleitungen alle Details über Ort und Methode des Selbstmordes. Dabei sollten JournalistInnen sehr genau wissen, wie man über einen Selbstmord berichtet, um den sogenannten Werther-Effekt zu vermeiden. Zumindest könnten sie im Leitfaden zur Berichterstattung über Suizid des Wiener Kriseninterventionszentrums (PDF, ca. 300KB) nachlesen, dass u.a.

  • erhöhte Aufmerksamkeit der Medien
  • sensationserregende Sprache
  • Details zur Person (Alter, Beruf, Geschlecht, …) und
  • genaue Angaben zum Ort des Selbstmordes

eine Nachahmung wahrscheinlicher machen.

Die Berichterstattung von Krone.at und Oe24.at zielt ohne Rücksicht auf Verluste auf hohe Klickraten und einen „spannenden“ Artikel ab – ohne Rücksicht auf die Vermeidung etwaiger Nachahmungstaten. Das verrät viel über die ethischen Grundsätze dieser Medien.

Vor einem Jahr erschien auf Kobuk ein Artikel über die menschenverachtende und pietätlose Berichterstattung von „Österreich“ über den Mord an Stefanie P. Der Artikel hatte immerhin eine Verurteilung durch den Medienrat zur Folge.

Nun findet der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter statt. Hat „Österreich“ dazugelernt? Nein, im Gegenteil: Auch andere Medien unterlassen den gesetzlich vorgeschriebenen Schutz von Persönlichkeit, Identität und Intimssphäre von Opfer und Tatverdächtigem zugunsten reißerischer Berichterstattung über Sex & Crime.

Das Medienrecht sieht in § 7a den Schutz vor identifizierender Berichterstattung vor, um Opfer und ihre Angehörigen nicht ein zweites, öffentliches Mal zum Opfer werden zu lassen und um zu verhindern, dass Verdächtige oder Verurteilte in Form eines ‘Medienprangers’ anstelle oder neben einer gerichtlichen Bestrafung eine soziale Ersatz- oder Zusatzbestrafung erfahren. (Korn, 2010)

Da die Dokumentation der Verstöße gegen diese Bestimmung diesen Blogeintrag sprengen würde (siehe Collage oben), gibt es hier alle Zeitungsausschnitte zum Mordfall Stefanie P. in einem separaten Album (von uns anonymisiert).

Die auffälligsten Verfehlungen der letzten Tage:

  • Bilder des Angeklagten und des Opfers werden tagelang unverpixelt in Heute, Krone und Österreich abgedruckt. Dasselbe passiert in Onlineartikeln. Bei „Heute“ gibt man unverfroren zu, dass ein Foto des Opfers schlicht von Facebook stammt (siehe Bildcredit!).  Auch der Kurier hält sich bei Philipp K. und Opfer Stefanie P. nicht zurück.
  • Wie in den Zeitungsausschnitten ersichtlich, präsentieren „Österreich“ und die Krone (auf der Titelseite) den vollen Namen des Angeklagten und die Krone sogar den vollen Namen des Opfers und seiner Schwester. Der Beitrag ist zwar schon etwas älter, doch auch die Oberösterreichischen Nachrichten bringen ein unverpixeltes Foto und den vollen Namen des Opfers.  Überraschenderweise reihte sich sogar die „Presse“ in diese Riege ein, wie man im Google-Cache eines Berichts noch sehen kann, hier wurde aber mittlerweile (vergleichsweise vorbildlich) schon korrigert.
  • Allem Anschein nach herrscht in den Redaktionen Verwirrung darüber, wann und wie die Identität der Beteiligten geschützt werden muss. Beispiel Oe24.at: Online wird der Angeklagte verpixelt (das Foto kommt schließlich von der APA), aber trotzdem mit vollem Namen genannt. An anderer Stelle jedoch wieder abgekürzt. Auch die Krone gibt sich ungeschickt: Beim Video-Beitrag zum Prozess ist der Angeklagte zunächst unverpixelt und klar erkennbar, im Video selbst jedoch unkenntlich gemacht.
  • „Österreich“ nimmt in der Ausgabe vom 5. Mai gleich das Urteil vorweg, denn „Lebenslang ist beinahe fix!“ Die in Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgeschriebene Unschuldsvermutung scheint nicht zu gelten.
  • Ebenso unverschont bleibt das Privatleben der Beiden. Die Krone präsentiert, im öffentlichen Interesse natürlich, deren „Liebes-Collage“, das Magazin News zeigt in einer Online-Bilderstrecke Privatfotos und sogar intime Liebesbriefe.

Aus ihrem Interview in „Österreich“ schließen wir, dass die Mutter des Angeklagten ihr Gesicht bewusst in der Öffentlichkeit zeigen will. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass ihr Sohn, der mutmaßliche Täter, diese Ansicht teilt. Dass ein explizites Einverständnis vorliegt, ist zu bezweifeln, schließlich haben andere Medien brav verpixelt.

Wenn Philipp K. anonym bleiben wollte (was der Berichterstattung der APA nach durchaus denkbar ist), stellt sich die Frage, ob es zulässig ist, den Namen eines Verdächtigen abzukürzen, aber dann dennoch jedermann mittels des vollen Namens der Mutter über seine Identität zu informieren. Immerhin, rein rechtlich zählen sowohl Name als auch familiäre Beziehungen zu jenen Identifizierungsmerkmalen, die vom Identitätsschutzparagraphen (§ 7a MedienG) erfasst werden.

Der Ehrenpreis für den sinnfreiesten Versuch, die Persönlichkeitsrechte zu schützen, geht an Oe24.at: Sowohl Angeklagter als auch Opfer werden innerhalb der selben Seite je einmal verpixelt und einmal nicht:

Vielen Dank an Patrick, Alex, Petra, Tanja und Hannes, die alle an diesem Artikel mitgearbeitet haben!

Der nette Herr im Bild rechts ist aus einer Szene aus Kottan ermittelt aus dem Jahr 1977:

Schremser: (Blättert in einer griechischen Zeitung.)
Kottan: Können Sie griechisch?
Schremser: Ka Wort, warum?
Kottan: Nur so.
Schremser: Ah, Sie meinen wegen der Zeitung? A österreichische Zeitung im österreichischen Fernsehen? Schleichwerbung – das geht nicht!

Auf Kobuk startet ab sofort ein Schwerpunkt zum Thema Schleichwerbung (hier die Sammlung aller Artikel dazu), denn: Wer wie die Kobuk-Autoren Medien quasi beruflich kritisch konsumiert, stellt unweigerlich früher oder später fest, wie unfassbar viele Artikel und Beiträge ganz offensichtlich mehr mit Scheckbuchjournalismus oder den Agenden irgendwelcher Interessensgruppen zu tun haben als mit tatsächlich Berichtenswertem.

Nicht immer kann nachgewiesen werden, dass für Berichterstattung tatsächlich Geld floss. Oft ist das kommerzielle Motiv hinter einem Artikel allzu offensichtlich, manchmal sieht Werbung trotz Kennzeichnung redaktionellen Beiträgen einfach nur täuschend ähnlich, bisweilen fragt man sich gar, ob nicht einfach einem befreundeten Unternehmer ein Gefallen getan werden soll, manchmal ist es vielleicht nur pure Faulheit, aber immer, immer ist Schleichwerbung elend!

Sie untergräbt die Glaubwürdigkeit der Medien, sie korrumpiert unsere Gesellschaft, sie täuscht und tarnt und lügt. Und die Politik hat kein Interesse dagegen vorzugehen, ist sie doch längst selbst verstrickt.

Dabei sagt das Medienrecht: Entgeltliche Beiträge sind als solche zu kennzeichnen. Der OGH leitet daraus ein Trennungsgebot zwischen redaktionellen und entgeltlichen Inhalten ab. (Genau besehen sind sogar wörtlich übernommene Presseaussendungen „entgeltlich“, denn die ersparte Arbeit stellt einen geldwerten Vorteil dar. Die Rechtslage dürfte für so eine Auslegung aber zu schwammig sein.) Auch hat der OGH bemängelt, dass es der Gesetzgeber unterlassen hat, „das Deutlichkeitsgebot (der Kennzeichnung) näher zu umschreiben“.

Da Schleichwerbung nur schwer beweisbar ist, müssen Verdachtsfälle öffentlich diskutiert werden. Übrigens gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung: Wir können nicht ausschließen, dass unser Eindruck von Schleichwerbung täuscht. Die abschließende Meinung müssen sich die Leser bilden. Unsere Definition von Schleichwerbung ist deshalb: Uns beschleicht der Verdacht, hier soll für etwas geworben werden.

Wie fix Schleichwerbung im Produktportfolio mancher Medien verankert ist, zeigt ein Experiment der taz: In einer verdeckten Recherche bat ein als Medienberater getarnter Journalist die Anzeigenabteilungen von zehn deutschen Verlagen um ein „geeignetes redaktionelles Umfeld“, das Codewort für Schleichwerbung. Die Verkäufer der Frankfurter Rundschau lieferten gar Artikelentwürfe (siehe Bild), die Steuerhinterziehungsmodelle in Österreich bewerben sollten. Das gesamte Experiment findet sich hier und dieser ARD-Beitrag fasst die Recherche gut zusammen:

Alle Kobuk-Artikel mit Schleichwerbeverdacht finden sich in der Kategorie Schleichwerbung.

PS: Danke an Hans-Peter Lehofer für die Kottan-Idee!