Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kategorie: Zweitveröffentl.

Uwe Frers ist Gründer des Hotelbuchungsportals Escapio. Der folgende Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog.

Am Wochenende war ich bei Mama in Bayern. Sie ist 79 und hat von Computern, iPhones oder dem Internet keine Ahnung. Bei frischem Erdbeerkuchen und Filterkaffee mit Sahne wird sie plötzlich ernst und erklärt mir: “Uwe, stell Dir vor, diese Hotelkritiken im Internet sind gefälscht. Kam diese Woche im Fernsehen. Da müsst ihr ganz arg aufpassen.” Ihr Wissen über die offensichtlich kriminellen Methoden der Online-Reiseindustrie hatte meine Mama aus einem Bericht in der Nachrichtensendung “heute” vom ZDF am 4. Juli.

ZDF-hotelbewertungen

Wie kam es zu dem Fernsehbericht? Die Geschichte basiert auf einer Studie von Prof. Dr. Roland Conrady der FH Worms (PDF) vom Februar 2012. Im Rahmen der Studie haben drei Studenten 330 deutsche Hotels über ihre Erfahrungen mit Hotelbewertungen befragt. Eine eigenwillige Interpretation der Ergebnisse wurde 2012 bereits dankbar von überregionalen Medien publiziert, wie zum Beispiel Spiegel Online am 9. März 2012 “Online-Portale: Großer Teil der Hotelbewertungen ist manipuliert” oder die NZZ am 4. Mai 2012: “Hotel-Bewertungen im Internet: Fluch oder Segen?“. Als Akteur in der Branche der Online-Hotelvermittler überraschen mich einige Details sowohl bei der Studie als auch bei der Berichterstattung sehr deutlich.

Wer wurde wie befragt? Ausschließlich Hotels. Zum Beispiel wurde unter der Kategorie “Ihre Erfahrung mit gefälschten Bewertungen” gefagt, ob das Hotel bereits unangemessen bewertet wurde. 55% geben keine negativen Erfahrungen an, 32% der Hotels berichten von “Nicht angemessenen negativen Bewertungen über das eigene Haus”. Aber was versteht ein Hotel konkret unter “Nicht angemessenen Bewertungen”?

Wer oder was sind Hotelbewertungsportale? Die Studie wirft hier diverse höchst unterschiedliche Akteure in einen Topf:

  • Allgemeine Bewertungsportale wie Qype oder Ciao. Hier lassen sich verschiedenste Produkte, Dienstleistungen oder Unternehmen bewerten. Diese Portale sind nicht auf Hotelbewertungen spezialisiert. Sie haben keine eigenen Prüfteams, die sich nur mit Hotelbewertungen befassen. Bewertet werden kann ohne Nachweis einer Hotelbuchung:
  • Hotelbewertungsportale wie Holidaycheck oder Tripadvisor: Diese Portale haben sich auf Hotelbewertungen spezialisiert und besitzen eigene Prüfteams sowie Software Algorithmen für die Qualitätskontrolle der eingehenden Inhalte. Zudem können angemeldete Hotels Hotelbewertungen kommentieren. Bewertet werden kann ohne Nachweis einer Hotelbuchung, durch Partnerschaften mit Hotelbuchungsportalen gibt es aber “trusted reviews”, bei denen der Verfasser der Hotelbewertung auch sicher das Hotel gebucht hat.
  • Hotelbuchunsportale wie Booking.com, HRS oder Hotel.de. Hier können nur Reisende ein Hotel bewerten, die über dieses Portal das entsprechende Hotel gebucht haben. Die Mengen sind beeindruckend, alleine HRS verfügt über mehr als 3 Millionen Hotelbewertungen.

Warum ist diese Unterscheidung so wichtig? Während bei allgemeinen Bewertungsportalen theoretisch systematisch gefälschte Bewertung abgegeben werden kann, wird dies bei Hotelbewertungsportalen sehr schwer, bei Hotelbuchungsportalen fast unmöglich. Auffällig ist auch das Fehlen der Dickschiffe der Online-Pauschalreise-Vermittlung wie Opodo, Weg.de oder Lastminute.de. Diese und weitere 100 Anbieter haben über den Technologie-Dienstleiter Traveltainment zusammen knapp eine Millionen Hotelbewertungen eingesammelt (730.000 bis Februar 2012, ca. 200.000 kommen pro Jahr hinzu), die ebenfalls an eine Buchung gekoppelt und damit systematisch nicht zu fälschen sind. Da sich die Studie nur mit Deutschen Hotels beschäftigt, bleiben die Hotelbewertungen dieser Portale unberücksichtigt, obwohl Sie mehrere Millionen Hotelübernachtungen pro Jahr vermitteln.

Summiert man die im Netz erhältlichen deutschsprachigen Hotelbewertungen zusammen, wurde der größte Teil annähernd fäschungssicher über Hotelbuchungsportale generiert, auf Platz 2 folgen professionell agierende Hotelbewertungsportale und am Ende die allgemeinen Bewertungsportale.

Wie werden die Ergebnisse in der Studie interpretiert? Wie vorab schon erwähnt, werden bei “Ihre Erfahrung mit gefälschten Bewertungen” Hotels gefagt, ob das Hotel bereits unangemessen bewertet wurde. 55% geben keine negativen Erfahrungen an, 32% der Hotels berichten unter anderem von “Nicht angemessenen negativen Bewertungen über das eigene Haus”. Daraus wird in der Studie folgendes Resume gezogen: “Fast die Hälfte der Hoteliers: Erfahrungen mit gefälschten Bewertungen” (Chart 28 – pdf). Die Schlussfolgerung von “nicht angemessenen Bewertungen” aus der Sicht eines Hoteliers zur “Fälschung” erschließt sich mir nicht. Die Hotels wurden in der Studie auch gefragt, wer denn wohl die gefälschten Bewertungen geschrieben hätte (Chart 29 – pdf). 27% der Hotels geben an, dass das Wettbewerber waren, 9% sagen, dies käme von dafür beauftragten Agenturen. Moment mal, woher wissen die Hotels das denn?

Wie wird die Studie in den Medien interpretiert? Aus dem Zitat von Prof. Dr. Conrady “Wir haben festgestellt, dass tatsächlich eine Reihe von Fälschungen beobachtet werden können oder sehr sehr einseitige extrem positive oder sehr negative Darstellungen. In der Summe gehen wir davon aus, das ungefähr bei einem Drittel der Beurteilungen Vorsicht angebracht ist, weil es sich entweder um stark irreführende Beurteilungen oder sogar Fälschungen handelt” (im Video ab Sekunde 47) wird online die Überschrift: “Jede dritte Hotelbewertung ist gefälscht”. Es versteht sich zudem von selbst, dass eine Verlinkung auf die online publizierten Studienergebnisse fehlt.

Mein persönliches Fazit: Wie so oft liegt die Tücke im Detail. Insofern würde ich mir von etablierten Medien wie dem ZDF wünschen, das Vertrauen der Verbraucher in das Medium Internet nicht durch eine einseitige und zudem fahrlässig verkürzte Darstellung zu gefährden. Eine ergänzende kritische Analyse der Studienergebnisse durch Branchenkenner hätte eine differenzierte Sicht auf das Thema ergeben. Und das sollte das Ziel einer jeden Medienberichterstattung sein, zumindest beim öffentlich rechtlichen Rundfunk.

Last but not least: Der Erdbeerkuchen meiner Mama war sehr groß, wir waren alleine auf der Terrasse und hatten viel Zeit. Insofern weiß sie jetzt, dass Hotelbewertungen sicher nicht zu einem Drittel gefälscht sind.

Andreas Quatember lehrt Statistik an der JKU Linz. Der folgende Beitrag erschien zuerst auf seiner Instituts-Homepage in der Rubrik “Unsinn in den Medien”.

Jeder dritte Schulwegunfall im Herbst

Jeder dritte Schulwegunfall passiert im Herbst zwischen Oktober und Dezember, warnt der Verkehrsclub Österreich (VCÖ). Vor allem in Oberösterreich passieren die meisten Schulwegunfälle in der dunklen Jahreszeit, so eine Studie.

Heuer passierten in Oberösterreich allein in der ersten Jahreshälfte bereits 32 Schulwegunfälle. Die Statistik zeigt, dass in der Zeit zwischen Oktober und Dezember das Risiko für die Schulkinder noch weiter steigt. Denn von den 64 Unfällen im Vorjahr passierten 20, also etwa ein Drittel in der sogenannten dunklen Jahreszeit. […]

(Quelle: orf.at, gefunden von Christoph Pamminger)

Um auf dem Schulweg überhaupt einen Unfall haben zu können, muss ein(e) Schüler(in) in die Schule gehen. Das tun sie in Österreich von 52 Jahreswochen ca. in

  • 12 Frühlingswochen (13 – 1 Osterferienwoche),
  • 4 Sommerwochen (13 – 9 Sommerferienwochen),
  • 13 Herbstwochen (keine Ferien) und in
  • 10 Winterwochen (13 – 2 Weihnachtsferien- und 1 Semesterferienwoche).

Der Herbst stellt mit 13 von insgesamt 39 also genau ein Drittel aller Schulwochen. Mit 20 von insgesamt 64 Schulwegunfällen passierten in Oberösterreich im Vorjahr allerdings nur 31,2 % aller Unfälle im Herbst. Also – wenn überhaupt – dann sind im Herbst im Vergleich zu den anderen Jahreszeiten sogar verhältnismäßig weniger Unfälle zu verzeichnen. Einfach die vier Jahreszeiten als gleich lang zu betrachten, wenn man Schulwegunfälle untersucht ist natürlich Unsinn. Oder was halten Sie von folgender Schlagzeile?

August sicherster Schulwegmonat
Noch nie sind im August Unfälle am Schulweg passiert!

Trotzdem sollten Eltern natürlich auf reflektierende Kleidung achten und Kinder diese auch anziehen. Aber das ist eine andere Geschichte …

Axel Maireder ist Sozialwissenschafter am Publizistikinstitut der Universität Wien. Der folgende Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog.

Der gestrige Fernsehabend war eine doppelte Enttäuschung. Zum einen erdreistete sich der ägyptische Diktator – das ägyptische Volk ignorierend – seinen schon angekündigten Rücktritt abzusagen (bzw. hinter lächerlichem Geplänkel so zu verstecken, dass er nicht gewertet werden konnte). Zum anderen kam die Berichterstattung des ORF zu den Ereignissen einem journalistischen Fiasko gleich: Nicht nur, dass es dem ORF nicht gelang für die schon seit Stunden angekündigte Rede Mubaraks einen ordentlichen Arabisch-Dolmetscher zu finden, der die ohne Zweifel historische Rede Mubaraks ohne Gestammel würdig zu übersetzen weiß. Nicht nur, dass sich die Moderatorin und ihr Gast bemüßigt fühlten eben diese Rede auch noch ständig zu kommentieren.

Nein, dem ORF gelang es sogar die Ansprache genau in jenem Moment abzubrechen, in dem der Präsident zum Schlußpunkt ansetzte und stattdessen eine Werbepause (!) einzulegen. Während die fehlende Kompetenz des Dolmetschers und die laufende Kommentierung als hochgradig unprofessionell zu bewerten sind, ist letzteres unanständig und insbesondere einem öffentlich-rechtlichem Sender zutiefst unwürdig.

Abgerundet wurde dieses traurige Bild des ORF noch von den KollegInnen bei orf.at, denen schlicht das journalistische Gespür zu fehlen schien, die Lage in Ägypten im Rahmen einer Überschrift korrekt zu bewerten. Während von CNN bis Al Jazeera, von tagesschau.de bis derstandard.at, der Unmut der Demonstranten über den nicht erfolgten formalen Rücktritt des Mubaraks als zentral für die Nachricht erkannt wurde, titelte orf.at schlicht und wenig ergreifend: “Mubarak übergibt Macht an seinen Vize”. Enttäuschend.

UPDATE (12.02, 07:30): Der ORF erklärt in einer Stellungnahme, von der derstandard.at berichtet, der Werbeblock sei notwendig gewesen um das Studio umzubauen (Und das ging nicht während der laufenden Rede von Mubarak?) und der Übersetzer hätte mit der schlechten Tonqualität der Originalaufnahme von Al Jazeera gekämpft (Okay, das erklärt es zumindest).

Screenshots von 10.2, etwa 23 Uhr:

ORF.at:

Tagesschau.de

DerStandard.at:

CNN.com

Stefan Bachleitner ist Politikberater in Wien. Dieser Beitrag erschien zuerst in seinem Blog Politikon.


„Heute in Österreich“ (19.11. 17:05, ORF 2)Der ORF lässt einen dubiosen „Terrorexperten“ auf dem Wiener Christkindlmarkt vor Anschlägen warnen, Muslime werden dabei live unter Generalverdacht gestellt. Ein Musterbeispiel für Angstmache.

In Deutschland herrscht Angst, Terrorwarnungen dominieren die Schlagzeilen. Zwar ist noch unklar, wie konkret die Gefährdungslage tatsächlich ist, doch so wie sich manche Politiker verhalten, funktioniert Terror sogar ganz ohne Terroristen.

In Österreich lieferte nun ausgerechnet der ORF ein Musterbeispiel dafür, wie sich Ängste schüren und instrumentalisieren lassen: Die vorgestrige Ausgabe der Nachrichtensendung „Heute in Österreich“ stellte die Frage „Terrorgefahr in Österreich?“ und gab darauf eine Antwort, die eher in eine „Tatort“-Folge gepasst hätte als in eine Nachrichtensendung.

Obwohl derzeit keine einzige heimische Behörde von einer höheren Gefährdung in Österreich ausgeht, wird der Beitrag mit folgendem Hinweis eröffnet:

„Gleich mehrere Terrorexperten sprechen auch bei uns von einer erhöhten Gefahr von Anschlägen in größeren Städten.“

Diese „Experten“ kommen dann in dem Beitrag auch ausführlich zu Wort. Dabei handelt es sich u. a. um den dubiosen Geschäftsmann Peter Schoor, der in dem Beitrag als „Terrorexperte und Buchautor“ ausgewiesen wird und folgendes sagen darf:

„Den Terroristen heute ist das egal. Es geht heute darum, möglichst viele Menschen zu töten, zu verletzen, eine psychische Wirkung zu erzielen. Und wenn ich diese Wirkung erreiche, indem ich mir einfache Ziele wie zum Beispiel in Österreich aussuche, dann haben die Terroristen ihr Ziel erreicht.“

Schoor, der laut Beschreibung seines Verlags „seit mehr als 30 Jahren im internationalen Umfeld von Polizei, Militär und Politik aktiv“ ist (was immer das heißen mag) und sich beruflich „an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Sicherheit“ bewegt (was immer das heißen mag), hat nur ein einziges echtes Buch auf den Markt gebracht. Es ist heuer erschienen und der Titel „Im Auge des Terrors: Wie viel Islam verträgt Europa?“ deutet an, dass Terrorbekämpfung für ihn auch eine religions- und kulturpolitische Dimension hat.

Nach Schoor wird ein gewisser Hans-Ulrich Helfer mit der Untertitelung „Journalist, Zürich“ interviewt, der meint:

„Ich glaube, dass wir – Schweiz und Österreich – nicht glauben sollen, dass wir kein Ziel sind. Das heißt, dass wir genau so achtsam sein müssen wie Deutschland oder England oder Belgien oder Spanien. Das ist die gleiche Bedrohungslage.“

Die bescheidene Bezeichnung „Journalist“ wird Helfer eigentlich nicht gerecht. Der ehemalige Staatsschützer der Stadt Zürich betreibt ein Unternehmen zur Beschaffung und Auswertung von Informationen (was immer das heißen mag), macht als Präsident der „Informationsgruppe Pro-Kampfflugzeuge“ Stimmung für die Anschaffung von schwerem Kriegsgerät und ist stolz darauf, bei den Schweizer Big Brother Awards im Jahr 2003 für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden zu sein.

In Kooperation mit dem ORF gelingt es den beiden, entgegen aller behördlichen Erkenntnisse ein Gefühl erhöhter Bedrohung zu vermitteln. Mangels konkreter Fakten wurde das Gefährdungspotenzial in Österreich durch einen spektakulären Test belegt. Mit versteckter Kamera filmte der ORF, was in Wien mit einem unbeaufsichtigten Rucksack – „groß genug für einen Sprengsatz“ – passiert, der vor dem Stephansdom abgestellt oder in der U-Bahn vergessen wird. Vor zwanzig Jahren hätte man mit einem solchen Test noch bewiesen, dass Wien eine der sichersten Großstädte der Welt ist, denn obwohl niemand darauf aufgepasst hat, wurde die Tasche nicht geklaut.

Der absolute Höhepunkt des Beitrags ist dann aber ein dramatischer Live-Einstieg in die „schöne heile Weihnachtswelt am Christkindlmarkt in Wien“, wo Peter Schoor seine antiislamische Weltsicht ausbreiten darf. Der Beginn des Interviews sei nachfolgend komplett wiedergegeben:

Katharina Kramer: „Herr Schoor, die Behörden haben keine Hinweise auf Terroranschläge in Österreich. Warum glauben Sie trotzdem an eine Terrorgefahr?“

Peter Schoor: „Nun, wir haben in Österreich 586.000 Muslime. Davon sind etwa 70.000 bereit, die Einführung einer Scharia nach europäischem (sic!) Vorbild einzuführen. Was mir Sorge macht ist die Dunkelziffer, weil es ist völlig unbekannt, wie viele davon auch wirklich bereit sind, das mit Gewalt umzusetzen.“

Schoor hatte sich wohl schon einen Glühwein genehmigt, sonst wäre ihm der Versprecher mit der Scharia nach „europäischen Vorbild“ wohl nicht passiert. Die Botschaft ist aber auch so angekommen: Weihnachten, Christkindlmarkt und Stephansdom werden von abertausenden Muslimen gefährdet. In meinen Augen ist dieser Beitrag meilenweit von den Programmrichtlinien des ORF entfernt, laut denen sich ORF-Angebote „um Integration, Gleichbereichtigung und Verständigung zu bemühen“ haben.

P. S.: In abgewandelter Form, allerdings ohne Live-Einstieg, wurde dieser Beitrag auch in der ZIB 1 und der ZIB 2 veröffentlicht.

Update 31. März 2011: Vier Monate später hat sich der ORF-Beschwerderat mit dieser Sache auseinandergesetzt – ohne auf alle wesentlichen Punkte einzugehen.

Dieser Beitrag stammt von Markus Wilhelm, der das Watchblog DieTIWAG.org betreibt, in dem er die „Tiroler Wasserkraft“ und die -Politik kritisch beobachtet und wo dieser Artikel zuerst erschien.

Die Tiroler Wasserkraft (TIWAG) setzt enorme Summen an Kundengeldern ein, um die Meinung ihrer Kunden zu manipulieren. Wir nehmen das dieser Tage erfolgte Hinscheiden der „Tiroler Woche“ zum Anlass, das verbriefte Durchgriffsrecht des Anzeigenschalters auf die Redaktionen anhand der TIWAG und anhand dieses Wochenblatts beispielhaft zu dokumentieren. Mitzubedenken dabei ist nämlich, dass es in TIWAG-Land viele Medien und viele Vereinbarungen dieser Art gibt.

Die „Tiroler Woche“ war oder ist ein Wochenblatt, das seit 2007 unter diesem Namen (und davor jahrzehntelang unter verschiedenen Titeln und von wechselnden Eigentümern herausgegeben) unverlangt in fast allen Tiroler Haushalten gelandet ist. Zuletzt erschien es in Kooperation mit der im Oberland marktbeherrschenden „Rundschau“, welche die wichtigsten Projektregionen der TIWAG (Ötztal, Pitztal, Kaunertal, Oberes Gericht, Paznaun, Stanzertal, Sellrain) lückenlos abdeckt.

Die Abmachungen zwischen der TIWAG und der „Tiroler Woche“, angestiefelt von der TIWAG-Agentur Hofherr, aber im Auftrag des Vorstandsvorsitzenden Wallnöfer, schließen damit immer auch die „Rundschau“ (mit ihren Ausgaben Imst, Landeck, Telfs) mit ein. In der Agentursprache nennen sich solche Manipulationsverträge schlicht „Medienkooperation“.

In unserem Beispiel schlägt die TIWAG-Agentur Hofherr Communikation ihrem Auftraggeber im September 2008 so einen Vertrag vor:

Schon kurze Zeit später kann Hofherr das Konzept für den Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung mit dem „Partnermedium“ dem TIWAG-Vorstand vorlegen:

„Klar ist, dass die Gegner nicht zu Wort kommen“

Der Kooperationsplan als PDF.

Seit Jahren werden nebst Tiroler Tageszeitung und ORF auch die Regionalmedien mit TIWAG-Inseraten regelrecht geflutet. Ohne Ende. Das sieht im Falle der „Tiroler Woche“ so …

… und im Falle „Rundschau“ so aus:

Das Prinzip ist einfach und funktioniert ganz offensichtlich: Über geschaltete Anzeigenseiten werden positive Berichte mitgekauft, denn „diese redaktionell gestalteten Beiträge eines anerkannten Mediums haben eine hohe Glaubwürdigkeit“, wie es oben im Konzept der TIWAG-Agentur heißt.

Das Angebot der „Tiroler Woche“ (auch für die „Rundschau“) schließt dementsprechend und vielleicht erstmals in dieser Deutlichkeit „Redaktionelle Berichterstattung wie vereinbart!“ ein:

Die Vorgangsweise selbst ist auch von der Politik erprobt. Welchen anderen Sinn sollten viele nichtssagende Werbeeinschaltungen der Landespolitik denn haben, als damit wohlwollende Berichterstattung zu erkaufen? Nicht von ungefähr fällt dem ÖVP-Landtagsabgeordneten und stellvertretenden ÖVP-Klubomann und TIWAG-Lakaien Jakob Wolf zum Thema TIWAG-Projekt Ötztal-Kaunertal als erstes ein, der Rundschau – offenbar gewohnheitsmäßig – Geld für „redaktionelle Beiträge“ anzubieten:

„Kooperationsplan“

So schaut das dann im Normalfall aus: Überteuertes Ganzseiteninserat einerseits und damit querfinanzierter „glaubwürdiger“ redaktioneller Artikel andererseits – oft in ein und der selben Ausgabe, versehentlich mitunter sogar nebeneinander oder aus Scham durch einige Seiten getrennt:

„Tiroler Woche“

„Rundschau“

Wobei davon auszugehen ist, dass Interviews mit dem TIWAG-Chef Wallnöfer (siehe oben) oder den Projektleitern Eibl, Pließnig, Stroppa nicht nur bei der Rundschau angeleiert, sondern von Hofherr selbst erfunden und von der TIWAG endredigiert werden:

Korrigiertes Interview-Manuskript, Agentur Hofherr, Oktober 2008

Entsprechend sieht der von der TIWAG-Agentur Hofherr ausgearbeitete Plan für die „Medienkooperation Oberländer Rundschau / Tiroler Woche auch zum „Auftakt“ solch ein Interview mit DW (Direktor Wallnöfer) vor:

(Medienkooperationsplan groß anzeigen)

Medium heißt Mittel. Die Medien sind das Mittel, ein Ziel zu erreichen. Im Falle der TIWAG: ihre Projekte zu realisieren. Geld, im Falle der TIWAG: Kundengeld, spielt keine Rolle. Allein für „Tiroler Woche“ und „Rundschau“ für lediglich zwölf durchgeschaltete Seiten 145.000 Euro (netto) sind kein Dreck.

Wie gesagt, die genannten Blätter sind kein Einzelfall in TIWAG-Land. Für 2005 ist ebenso schön eine „Kooperation“ mit den Bezirksblättern dokumentiert. Auch dabei geht es um bezahlte „redaktionelle Berichterstattung bezüglich neuer Kraftwerke“, die über horrende Anzeigentarife abgerechnet wird:

Tirol ist ein in Korruption versinkendes Land

Auf diesem festen finanziellen Fundament („Kooperation“) aufbauend konnten bei den Gemeinderatswahlen 2010 die „Tiroler Woche“ im Fall Neustift und die „Rundschau“ im Fall Kaunertal perfekt für den Wahlkampf der beiden TIWAG-freundlichen Bürgermeister eingesetzt werden.

Wenn man diesen fast totalen Durchgriff der TIWAG auf die Berichterstattung im Lande sieht, muss man sich noch viel mehr wundern, dass sie mit ihren Projekten nicht von der Stelle kommt.

Es ist Korruption. Keine Frage. Und sie kennen keinen Genierer mehr. Die TIWAG nicht und die Medien nicht. Wie selbstverständlich rennen auch die Chefredakteure der größten Tiroler Medien zum Angefüttertwerden durch den TIWAG-Chef ins reservierte Altstadtstüberl.

Andreas Quatember lehrt Statistik an der JKU Linz. Der folgende Beitrag erschien zuerst auf seiner Instituts-Homepage in der Rubrik Unsinn in den Medien.

„Ein Viertel der Studenten ist alkoholabhängig“ (APA-Meldung vom 29.9., hier auf Krone Online, gefunden von Daniel Pauger)

Da wird einem ja schon bei der Überschrift schlecht. Wenn man in Studierendenheimen eine Umfrage macht, erhält man sicherlich keine repräsentative Stichprobe aller Studierenden in Hinblick auf das Merkmal Alkoholkonsum. Dann zu behaupten, weil ¼ in der Umfrage als alkoholabhängig eingestuft wird, dass dies der Prozentsatz unter allen Studierenden sein soll, ist … naja, lassen wir das unkommentiert.

Faktum ist jedoch, dass es sich hierbei natürlich in keinerlei Hinsicht um eine Zufallsauswahl aus der Grundgesamtheit aller Studierenden handeln kann. Deshalb ist auch ein Hinweis darauf, dass der Raucherprozentsatz signifikant weniger sei als in einer anderen Studie, reiner Unsinn. Solche Schlüsse lassen sich nur auf Basis von Zufallsauswahlen ziehen. Hatte jede(r) Student(in) eine Chance, in diese Stichprobe zu gelangen? Oder waren es nur die Studierenden, die in Heimen wohnen, wo man am Abend gerne zusammen sitzt, diskutiert und dann und wann auch mal gerne feiert?

Hans Peter Lehofer ist Medien- und Telekomrechtler und ehem. Chef der Medienbehörde KommAustria. Dieser Gastbeitrag erschien zuerst in seinem Blog unter dem Titel „Journalismus vom Hörensagen (oder: muss man das First Amendment kennen, um darüber zu schreiben?)“

„Traurig genug, dass wir darüber reden müssen, was Pressefreiheit ist“, schreibt Helmut Brandstätter in seinem aktuellen Kurier-Leitartikel. Er setzt fort mit dem Lamento, dass wir in Österreich nun „über ein Thema diskutieren, das in den USA seit 219 Jahren geregelt ist: die verfassungsrechtliche Absicherung der Pressefreiheit.“ — und er kommt zu einem interessanten Ergebnis: „wenn das Redaktionsgeheimnis nichts mehr wert ist, brauchen auch wir eine Verfassungsbestimmung.“

Blöd nur, dass das Redaktionsgeheimnis in Österreich verfassungsrechtlich besser abgesichert ist, als es in den USA mit dem von Brandstätter gelobten „First Amendment“ der Fall ist. Denn Art 10 EMRK, in Österreich unmittelbar geltendes Verfassungsrecht, schützt auch journalistische Quellen. In den Worten des EGMR, jüngst im Urteil der Großen Kammer im Fall Sanoma Uitgevers (siehe dazu hier):

„The right of journalists to protect their sources is part of the freedom to ‚receive and impart information and ideas without interference by public authorities‘ protected by Article 10 of the Convention and serves as one of its important safeguards. It is a cornerstone of freedom of the press, without which sources may be deterred from assisting the press in informing the public on matters of public interest.“

Der erste Zusatzartikel zur US-Verfassung („First Amendment“) lautet (auszugsweise):

„Congress shall make no law … abridging the freedom of speech, or of the press“

Nun umfasst das allerdings keineswegs zwingend auch den Schutz des Redaktionsgeheimnisses („reporters‘ privilege“), sodass immer mehr US-Staaten dazu übergegangen sind, eigene „Shield Laws“ zu verabschieden, um das Redaktionsgeheimnis – unterhalb der Verfassungsebene – zu schützen. Der Supreme Court hat bislang nämlich einen allgemeinen Schutz des Redaktionsgeheimnisses abgelehnt (maßgebend mit knapper Mehrheit Branzburg v. Hayes aus dem Jahr 1972), der jüngste spektakuläre Fall in diese Richtung war „In re: Miller“ (siehe dazu hier oder hier), in dem es der Supreme Court abgelehnt hat, den Fall der NYT-Reporterin Judith Miller anzunehmen, die wegen ihrer Weigerung, journalistische Quellen offenzulegen, tatsächlich in Haft musste.

Zusammenfassend: in Österreich haben wir eine Verfassungsbestimmung, die — nach der Rechtsprechung — auch das Redaktionsgeheimnis schützt. In den USA — auf Bundesebene — nicht.

Traurig genug, dass wir darüber reden müssen, was journalistische Sorgfalt ist.

Illustration: Graffito auf der Berliner Mauer, (cc) Jotquadrat

 

Dieser Gastbeitrag von Robert Menasse erschien zuerst auf seiner Facebook-Seite, unter dem Titel „Die herrschende Meinung ist noch dümmer als die Meinung der Herrschenden“.

Gestern, am 12. September 2010 schrieb der KURIER-Kolumnist A. S. auf Seite 1, im sogenannten „Einserkastl“, über das „Thema Integration“ und die „Thesen“ von Thilo Sarrazin:

Wer hat jetzt recht? Sarrazin, der auch überzogen hat? Seine Kritiker, die ihn in vorauseilendem Gehorsam (wem gegenüber eigentlich?) mundtot machen wollen und damit eigentlich die Demokratie abschaffen?

Man weiß bei Herrn S. nie, ob er einen schlampigen Gedanken perfid formuliert, oder ob er bloß unfähig ist, einen naturtrüben Gedanken klarer zu formulieren. Versuchen wir einmal, ihn zu verstehen:

Er meint also, dass die Kritiker von Thilo Sarrazin „eigentlich“ die Demokratie abschaffen. Wir ersparen uns jetzt einen Exkurs über den „Jargon der Eigentlichkeit“, über den Adorno ein Buch geschrieben hat, das am Beispiel von (immerhin Heidegger) vorführt, wie Sprache zum Werkzeug der Täuschung wird, die sich gegen Kritik darüber immunisiert, dass sie jederzeit das Gegenteil des Geschriebenen als „eigentlich“ Gemeintes, das Gegenteil des Verstandenen als „eigentlich“ Geschriebenes, das Gegenteil von Sinn als „eigentliche“ Wahrheit behaupten kann. Man darf Herrn S. nicht vorwerfen, dass er auch dieses Buch nicht kennt, aber man muss ihn doch fragen, ob ihm klar ist, was er, um es in seinem Jargon zu sagen, „eigentlich“ geschrieben hat:

Die Kritiker von Thilo Sarrazin schaffen also „eigentlich“ die Demokratie ab. Das ist ein Satz, der ein Faktum behauptet. Nun ist aber, trotz heftiger, massiver, breiter Kritik an Sarrazin nirgendwo im deutschen Sprachraum, in dem „die Thesen“ von Sarrazin diskutiert werden, nachweislich abgeschafft worden, was hier unter Demokratie verstanden wird. Das ist ein Faktum, das völlig widerlegt, was er als Faktum behauptet. Ich habe den Verdacht, dass Herr S. eigentlich etwas anderes „eigentlich“ schreiben wollte, etwas anderes „gemeint“ hat: nämlich, dass das „wollen“ vom ersten Satzteil sich auch auf den zweiten bezieht, er also schreiben wollte: „mundtot machen wollen“ und damit auch die „Demokratie abschaffen wollen“ – allerdings hat er in der fünften Klasse Gymnasium gelernt, „unschöne Wortwiederholungen“ zu vermeiden, also hat er das zweite „wollen“ weggelassen“, statt das erste an das Ende des Satzes zu ziehen.

Aber selbst wenn er es „eigentlich“ so gemeint hatte – es wird dadurch nicht viel besser. Denn selbst für den Satz, dass die Kritiker von Sarrazin die Demokratie abschaffen WOLLEN, gibt es keine einzige faktische Bestätigung. Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass auch nur ein einziger Kritiker Sarrazins irgendwo, ganz entlegen, gesagt oder geschrieben hat: Wir wollen Thilo Sarrazin mundtot machen, weil wir wollen die Demokratie abschaffen.

Warum schreibt der Journalist einer Tageszeitung, die den Fakten verpflichtet sein sollte, also einen solchen Satz? Weil er ihn „eigentlich“ nicht so gemeint hat?

Wenn man länger darüber nachdenkt, kommt man zu dem Gedanken, dass Herr S. vielleicht „eigentlich“ etwas anderes gemeint hat: nämlich nicht „Demokratie“, also Wahlen, die Entsendung von Volksvertretern nach bestimmten, in der Verfassung geregelten Verfahren, die Bildung einer Regierung etc., sondern „Meinungsfreiheit“. Vielleicht hat Herr S. nur dies gemeint: die Gegner von Thilo Sarrazin schaffen die Meinungsfreiheit ab, oder wollen die Meinungsfreiheit abschaffen. Nun haben aber die Gegner von Thilo Sarrazin nachweislich die Meinungsfreiheit nicht abgeschafft – denn sie verbreiten ja sogar seine Meinung, indem sie mit ihm in allen Talkshows auf und ab diskutierten. Und sie WOLLEN auch die Meinungsfreiheit nicht abschaffen, weil es just die Gegner von Thilo Sarrazin sind, die genau wissen, dass im Fall der Abschaffung der Meinungsfreiheit es ihre Meinung ist, die zuallererst abgeschafft wird. Also wieder ein faktischer, und dazu noch ein interpretativer Unsinn von Herrn S.

Lesen wir die Sätze von Herrn A.S. nochmals, um zu begreifen, was er gesagt hat – und wir entdecken eine weitere Technik, bei der „eigentlich“ (im Sinn des „Jargons der Eigentlichkeit“) nicht nachgewiesen werden kann, ob Herr S. sie in bewusster Perfidie oder bloß mit naturtrüben Bewusstsein eingesetzt hat:

Herr Sarazin, schreibt er, „hat überzogen“ – das heißt: ein bissl übertrieben, aber das wird man doch noch dürfen, um etwas zuzuspitzen.

Seine Kritiker aber, schreibt er, wollen ihn Mundtot machen und die Demokratie abschaffen, also ihn zum Schweigen bringen und jede vernünftige Grundlage eines gedeihlichen Zusammenlebens zerstören.

Diese Formulierung drückt klar aus, welcher Seite die Sympathie von Herrn S. gilt. Sie ist allerdings so formuliert, dass Herr S. jederzeit behaupten kann, „eigentlich“ habe er das nicht so gemeint.

Wenn Herr S. geschrieben hätte: „Der Ku Klux Clan hat übertrieben, als er auf soziale Probleme in den Südstaaten der USA hinwies, aber Martin Luther King wollte diese besorgten Bürger mit ihren schicken Kapuzen mundtot machen“, wäre die S.-Technik heute augenfällig. Er hätte umgekehrt auch schreiben können: „Herr Sarrazin betreibt Volksverhetzung, aber ein erfreulich großer Teil der deutschen Zivilgesellschaft und der deutschen Medien übt daran Kritik“ – dies wäre, auf Grund der FAKTENlage genauso gerechtfertigt gewesen…. und da stellt sich natürlich die Frage, warum Herr S. seine Formulierung so gewählt hatte, wie er es „eigentlich“ tat (wenn wir immer noch voraussetzen, dass Herr S. seine Formulierungen bewusst wählt!)

Aber es wird ja noch abenteuerlich und zugleich auch verräterisch, wenn wir Herrn S. genau lesen: er schrieb ja nicht nur, dass die Kritiker Herrn Sarrazin „mundtot machen wollen“,  sonder auch, dass sie dies „in vorauseilendem Gehorsam (wem gegenüber eigentlich?) tun.“

Ich kann mir gut vorstellen, dass Herr S. beim schnellen Tippen plötzlich die Formulierung „in vorauseilendem Gehorsam“ hinschrieb, das kam plötzlich, ganz schnell, es muss ja schnell gehen, es muss eine Tageszeitung produziert werden. Da schreibt sich schon mal etwas ganz schnell von selbst, Floskeln, Phrasen, das fliegt einem routinierten Lohnschreiber, der ganz schnell für morgen etwas Geharnischtes schreiben soll, flott zu, und ich kann mir vorstellen, wie Herr S. in diesem Moment kurz stutzte und sich fragte: „Wem gegenüber eigentlich?“

Und da kam ihm diese Frage plötzlich sehr originell vor, kritisch, und dabei völlig logisch, da er, als ein Mann, der jede Zeile für Lohn schreibt und dabei weiß, wer die Eigentümer seines Mediums sind, und wem gegenüber er gehorsam zu sein hat, und wie er seinen Nimbus als „unabhängiger Journalist“ aufrecht erhalten kann, wenn er NICHT fragt, was er schreiben soll, sondern schreibt, was er WEISS, dass er schreiben soll, so eilig, so schnell…. für morgen! ….. Ich kann mir vorstellen, wie er, als ihm diese Frage einfiel („vorauseilend gehorsam. Wem gegenüber eigentlich?“),  sie ihm ungemein kritisch und kess vorkam, aber nicht so schmerzhaft, wie es eine selbstkritische Frage (die da so nahe lag) gewesen wäre, dass er gar nicht weiter darüber nachdachte und sie  tatsächlich gleich mit martialischem Gefühl hinschmierte: „Die Kritiker von Thilo Sarrazin wollen in vorauseilendem Gehorsam (!Mann, das ist kritisch!) aber wem gegenüber eigentlich? (Mann, das ist reflektiert!) ihn mundtot machen, Demokratie abschaffen……“

Tatsächlich ist diese Formulierung in diesem Kontext so unsinnig, dass es sogar bei einem Journalisten eine Entlassung rechtfertigen würde: Nicht jede Phrase passt in jeden Kontext. „Vorauseilender Gehorsam“ war noch nie der Grund für Kritik, die von der Zivilgesellschaft geäußert wird.

Wie wäre es zum Beispiel, wenn Herr S. statt „vorauseilendem Gehorsam“ den schönen, alten Begriff „Einsicht“ verwendet hätte, oder „Erinnerung“, „Wissen“, „Verpflichtung: Die Kritiker von Thilo Sarrazin üben Kritik in der Einsicht, wohin Volksverhetzung führt, die Spaltung der Gesellschaft, das Schüren von Hass. Sie haben noch die Erinnerung daran, was just in diesen Landen eine pseudowissenschaftliche Argumentation, die sich auf „Rassen“-Spezifika stützt,  schon einmal bedeutet hat, sie wissen, wohin Eugenik, Rassenlehre, Sterilisationsprogramme, SOZIALE Reinheitsgebote geführt haben, sie haben die Verpflichtung, dagegen aufzustehen und diesen Rückfall in die Barbarei, der mit dem unschuldigen „Ist-ja-wahr“-Gestus daherkommt, zu verhindern!!!! —- Da ist weit und breit kein „Gehorsam“, sondern, im Gegenteil, Widerstand gegen Tendenzen am Werk, die Menschen Grundrechte absprechen wollen – und dies wäre nach Herrn S. vom KURIER die „Abschaffung der Demokratie“?

Warum?

Dummheit?

Es wäre schön, wenn es Dummheit wäre.

Am selben Tag erschien in derselben Zeitung ebenfalls auf Seite Eins: „Die Blauen führen bei den unter Dreißigjährigen!“

Kann es sein, dass Herr S. seinen Unsinn, wie immer er ihn „eigentlich“ gemeint hat, „in vorauseilendem Gehorsam“ an die künftige Mehrheit in diesem Land geschrieben hat? Kann es sein, dass ein Zeilenschreiber-Idiot so luzid ist, dass er daran denkt, in einer „Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen“- Gesellschaft die Annonce aufzugeben: „Ich will auch morgen noch für Euch schreiben dürfen!“?