Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Wer nach der Veröffentlichung diverser Korruptionsaffären wirklich geglaubt hat, regierungsfreundliche Berichterstattung gibt es nicht mehr, müssen wir an dieser Stelle leider enttäuschen. Jüngst liest sich etwa ein OE24-Artikel über die neue ÖVP-Kampagne so, als würden sie direkt aus der Parteizentrale kommen.

Vorwahlkampf liegt in der Luft. Da ist es nur natürlich, dass alle Medien über diverse Partei-Initiativen berichten. Auch OE24. Während es zu den aktuellen Kampagnen von SPÖ und Grüne kritische Berichte gibt, fehlt beim Artikel über die ÖVP jegliche journalistische Distanz. Vielmehr liest sich der OE24-Beitrag wie ein Aufmacher auf der Partei-Homepage.

Getreu der Kernaussagen der Kampagne wird Karl Nehammer als „arbeitender“ Kanzler abgebildet, dem die „streitende“ Opposition entgegensteht. In der Print-Version liest man immerhin 3 Sätze darüber, dass die ÖVP die Kampagne als „Positionierung“ sehen möchte, viele Politik-Beobachter:Innen jedoch einen Vorwahlkampf darin sehen.

Online fehlt auch diese Einordnung. Hier besteht der gesamte Text aus bloßen Kurzfassungen der Kampagne – ohne Kontext oder Kritik. Bebildert wird der OE24-Artikel von den entsprechenden ÖVP-Sujets – alle im Vollbild -, mit der nicht minder wertenden Bildunterschrift „Stabilität statt Streit in Kanzler-Kampagne“.

OE24-Berichterstattung der ÖVP-Kampagne

Dass das auch anders geht, zeigen diese österreichischen Medien: Kurier, vienna.at, orf.at, Wiener Zeitung sowie der Standard berichten ebenfalls über die ÖVP-Kampagne, allerdings kommen beispielsweise auch Reaktionen der Opposition vor.

Das Problem dieser „Berichterstattungen“ ist nicht, dass politische Inhalte von Parteien verbreitet werden. Vielmehr geht es darum, wie es gemacht wird. OE24 hat weder Kritik der Opposition noch eine eigene ausformulierte kritische Distanz in ihrem Artikel. Das führt einerseits dazu, dass es für die Leser:innen nicht erkennbar ist, ob es sich um einen redaktionellen Beitrag oder eine bezahlte Einschaltung handelt, andererseits können solch offensichtlich regierungsfreundliche Beiträge das allgemeine Vertrauen in den Journalismus schädigen.

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Heute-Chefredakteur Christian Nusser sieht seine Zeitung zu unrecht an den Pranger gestellt. Auch andere Medien haben in den vergangenen Jahren ungewöhnlich viel Inseraten-Geld vom Finanzministerium bekommen. Hat er damit Recht? Die Kurzfassung: Er hat jedenfalls nicht völlig unrecht.

Inserate aus der öffentlichen Hand sind in Österreich so eine Sache. Die Regierung kann über die Ministerien praktisch unbegrenzt viel Steuergeld an Medien überweisen. Es gibt keine Gesetze, die etwa den Rahmen, den Zweck,  oder eine verpflichtende Evaluierung über die Wirksamkeit solcher Werbeausgaben festlegen. Und sagen wir mal so: Nicht nur wir bei Kobuk hatten in den letzten Jahren immer wieder die Vermutung, dass mit diesen Geldern wohlwollende Berichterstattung gekauft wird; oder umgekehrt: Dass PolitikerInnen niedergeschrieben werden, wenn sie zu wenig bezahlen.

Seit vergangener Woche steht die Zeitung „Heute“ und ihre Herausgeberin Eva Dichand im Fokus dieses Verdachts. Der Falter hat die Causa hier und hier sehr lesenswert zusammen gefasst. Wir erinnern uns: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Thomas Schmid und Wolfgang Fellners OE24, weil dort über das „Beinschab-Tool“ mutmaßlich gefälschte Umfragen publiziert wurden. Als „Belohnung“, so der Verdacht, öffnete das Finanzministerium den Geldhahn und ließ Inseratengelder in die Kassen der Fellners fließen. Soweit, so bekannt.

Der Falter schreibt nun über den neuen Vorwurf der Staatsanwälte: „Damit der Deal, den die Türkisen mit Fellners Österreich-Gruppe mutmaßlich geschlossen haben, um Kurz mit frisierten Umfragen zu pushen, nicht auffliegt, wurden auch die Blätter der Dichands fett bedient.“

Diese Grafik aus dem Standard illustriert den Vorwurf sehr gut:

Von 2015 bis 2021 steigen die Inseratenausgaben aus dem Finanzministerium extrem an. Als im Oktober 2021 eine Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt zum Rücktritt von Sebastian Kurz führt, ist die Party schlagartig vorbei.

Nun rückt Heute-Chefredakteur Nusser zum publizistischen Gegenschlag aus. Nicht nur die Boulevard-Medien hätten viel Geld bekommen, sondern alle Medien, so Nusser sinngemäß. Er wirft seinen Kritikern vor, zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Inseratengeld zu unterscheiden. Gut sei es immer dann, wenn man es selbst bekommt. Schlecht, wenn es die Boulevardmedien bekommen. Im gleichen Zeitraum, in dem Heute, Krone und Österreich mit Geld quasi überschwemmt worden sind, hätten auch Profil, Kleine Zeitung und andere erheblich mehr Inserate aus dem Finanzministerium erhalten. Nusser schreibt:

Das alles passierte still und leise. Es war gutes Geld.

Hat er also Recht? Sind alle Medien gleich?

Ich habe mir das genauer angesehen. Vorweg: Das ist gar nicht so einfach, denn die Inseratengelder werden zwar in einer Medientransparenzdatenbank quartalsweise veröffentlicht. Allerdings werden die Daten nach rund zwei Jahren wieder gelöscht. Aktuell sieht man die Daten nur ab 2021, was schon ein dezenter Hinweis darauf ist, wie ernst es die Politik mit Medientransparenz nimmt. Oder eben nicht.

Aber zurück zum Thema. Die FH Johanneum in Graz hat dankenswerter weise ein Portal eingerichtet, auf der alle diese Daten abrufbar sind. Schauen wir uns zum Beispiel den Kurier an:

Der Verlauf ist den Boulevardzeitungen recht ähnlich: 2015 gab es noch 0 Euro aus dem Finanzministerium, 2018 dann knapp 280.000 Euro, und nochmal 2 Jahre später, 2020, waren es dann rund 444.000Euro, ehe die Ausgaben 2022 wieder auf etwa 113.000 Euro sanken.

Nicht unähnlich die Styria Gruppe, zu der unter anderem Presse und Kleine Zeitung zählen:

Von läppischen 8150 Euro 2015 auf  über 1,2 Millionen Euro im Jahr 2020, und zurück auf 280.000 Euro 2022.

Ein bisschen anders sieht das beim Standard aus:

Anders als bei den anderen Medien, gab es 2022 keinen ganz so starken Rückgang. Die 117.000 Euro für Inserate aus dem Jahr 2022 sind nicht viel weniger, als die 129.000 Euro aus dem Jahr davor.

Bei den Wochenmagazinen sieht es ähnlich aus. Hier die Zahlen für die Verlagsgruppe News:

Also hat Nusser Recht? Haben alle Medien gewaltige Summen aus dem Finanzministerium kassiert, und sind jetzt auf einem Auge blind? Nein, nicht alle:

Der Falter hat gerade mal in zwei Jahren Geld aus dem Finanzministerium erhalten: Einmal knapp 6.000 Euro, einmal 5.200 Euro. Das sind Peanuts im Vergleich zu den Summen, um die es bei den anderen geht.

Jetzt könnte man vielleicht glauben: Das liegt daran, dass der Falter eine Wiener Wochenzeitung ist, und das Finanzministerium mit den Einschaltungen ganz Österreich erreichen wollte. Es gab irgendwas besonders Wichtiges zu kommunizieren, daher hat man sich nur an die ganz großen, österreichweit relevanten Medien gewandt.

Doch Moment: Das größte Medienunternehmen des Landes hatten wir ja noch gar nicht, den ORF (Disclaimer: Ich bin ORF-Journalist)

Was immer in den Jahren 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 so wahnsinnig wichtig zu kommunizieren war, dass Millionen Euro Steuergeld an Inseraten in Zeitungen rechtfertigen soll: Es war jedenfalls nicht wichtig genug, um auch im ORF darüber zu informieren. Weder online, noch im Radio, noch im Fernsehen.

Es stimmt also nicht, dass alle Medien gleich behandelt wurden. Außerdem: Wenn alle Medien gleich korrupt sein sollen, oder falls sich Thomas Schmid lediglich den Kronzeugen-Status erschwindeln will, wie Eva Dichand argumentiert, dann hätte er auch alle anderen Medien ebenso beschuldigen können. Komischerweise sind aber nur von Eva Dichand Chats öffentlich geworden, in denen sie sich über mangelnde Inserate beschwert und mit „wir können auch anders“ droht.

Nusser hat aber Recht wenn er sagt, dass jedenfalls sehr viele mehr als nur die Boulevardmedien von der rätselhaften Geldschwemme aus dem Finanzministerium profitierten. Ob damit positive Berichterstattung in einem, manchen oder allen Medien gekauft werden sollte, oder ob die Gelder nur dazu dienten die Ausgaben für das Beinschab-Tool in OE24 zu verschleiern, wird die Justiz ermitteln.

Fest steht jedenfalls: Inserate sind ein Spielzeug der Regierung geworden, das völlig außer Kontrolle geraten ist. Und solange es keine klaren Regeln gibt, wann, wo, in welchem Ausmaß und zu welchem Zweck Ministerien Inserate schalten dürfen, ist nicht davon auszugehen, dass sich daran etwas ändert.

 

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Ergänzung: Die y-Achsen der Grafiken sind nicht einheitlich und können daher auf den ersten Blick täuschen. In absoluten Zahlen gibt es freilich große Unterschiede zwischen den einzelnen Medienhäusern, die teilweise (wohl aber nicht vollständig) mit der Zahl der Leser:innen erklärt werden können. Es ging bei der Analyse auch weniger um absolute Werte, sondern um die Frage, ob die Dynamik eine vergleichbare wie bei den Boulevardblättern ist. Sprich ob nach 2015 die Zahlen aus dem BMF stark gestiegen sind, und 2022 wieder stark gefallen sind.

Der Exxpress glaubt einmal mehr eine Verschwörung aufgedeckt zu haben. Bei der Berichterstattung über die Amokfahrt am Kölner Flughafen am 24. März haben die meisten Medien nämlich nur erwähnt, dass der Täter mutmaßlich psychisch krank sei, nicht jedoch, in welchem Land er auf die Welt gekommen ist. Der Vorwurf einer gezielten Täuschung fällt allerdings aus verschiedenen Gründen in sich zusammen.

Der Exxpress beklagte, dass Leser:innen der „Mainstream-Medien“ bewusst getäuscht werden:

Diese Vorgangsweise in vielen Medienhäusern ist irritierend: Die Leser sollen nicht mehr erfahren, wenn ein Migrant ein Schwerverbrechen verübt hat, sie sollen nicht mehr die ganze Wahrheit kennen.

Dabei ist die Nicht-Erwähnung der Herkunft keine Täuschung, sondern ein Kriterium journalistischer Sorgfalt. Denn der deutsche Presserat – und die meisten Medien, die über den Vorfall berichteten, sind aus Deutschland – appelliert daran, vorsichtig mit dieser Information umzugehen: „Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.“

Ein solches begründetes öffentliches Interesse gibt es beispielsweise, wenn man erst durch die Biografie des Täters die Hintergründe zur Straftat besser versteht. Neugier ist hingegen kein legitimer Grund.

Ebenso wenig reicht es aus, wenn man einfach nur vermutet, die Tat habe etwas mit der Nationalität zu tun. Im genannten Fall gab es keine Anhaltspunkte, dass die Herkunft relevant sei. Einer Redaktion gegenüber nannte die örtliche Polizei zwar, woher der Mann stammt, zur Erklärung der Tat bezog sie sich aber stets auf die psychische Erkrankung des Mannes. Und hier zeigt sich, wie ernst es Medien mit der redaktionellen Verantwortung nehmen.

Durch die „Erwähnung der Herkunft in der Überschrift oder Wiederholungen“ werde die „Gruppenzugehörigkeit unangemessen herausgestellt“, was Diskriminierung begünstige, so der deutsche Presserat. In Österreich ist der Presserat übrigens weniger konkret. Im Ehrenkodex gibt es keine genauen Richtlinien, unter welchen Umständen die Herkunft zu nennen ist.

Der Großteil der Berichterstattung hat aber in Deutschland stattgefunden, und dort gilt eben der deutsche Pressekodex. Der Exxpress scheint hier also etwas zu vermissen, dass in seriösen Medien schlichtweg nichts verloren hat.

Und dann gibt es da noch zwei Kuriositäten: Als Beleg für die Verschwörung der “Mainstream-Medien” zitiert der Exxpress zum einen einen Artikel, in dem der Täter „sogar als ‚Bielefelder'“ bezeichnet wird. Abgesehen davon, dass der Mann tatsächlich Bielefelder ist, wurde in ebenjenem Artikel die Herkunft sogar genannt. Allerdings ohne diese besonders hervorzuheben.

Und außerdem: Auch der Exxpress hat einen Text über die Amokfahrt veröffentlicht, in dem die Herkunft des Täters unerwähnt bleibt. Wenn nur der Exxpress wüsste, was der Exxpress schreibt…

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Zwentendorf, Hainburger Au, Gentechnik-Volksbegehren: Die Kronen Zeitung hat in der Vergangenheit immer wieder Stellung bezogen und die österreichische Politik nach ihrem Willen beeinflusst. Ihre Kampagnen genießen in der heimischen Medienwelt so etwas wie Legendenstatus. Der Kampf der Krone gegen Atomkraft, gegen Gentechnik, und für eine bestimmte Art von Umweltschutz (nämlich solange es nicht gegen Autofahrer geht) sind bei der Zeitung inzwischen Teil der Blattlinie geworden.

Deshalb haben wir die Berichterstattung zu diesen Themen während des vergangenen Jahres zum Anlass genommen, einmal genauer hinzusehen: Wie schreibt man eigentlich eine Krone-Kampagne? Eine Anleitung in 6 Schritten:

Die Krone feiert sich gerne für ihren Aktivismus.

Schritt 1: Wähle das richtige Thema!
Nicht alle Geschichten eignen sich gleich gut für Meinungsmache. Man sollte generell die Finger von Themen lassen, bei denen es keine eindeutige „Volksmeinung“ gibt.

Schlaue Krone-Redakteure kampagnisieren deshalb nur dort, wo sie eine große Mehrheit hinter sich wissen. Das hat den Vorteil, dass man selbst dann noch beklatscht wird, wenn man seinen Job als Journalist schlecht macht. Immerhin setzt man sich für die “richtige” Sache ein!

Klima-Aktivisten, Atomkraft und Gentechnik eignen sich deshalb besonders gut für Kampagnen. So weiß der gelernte Österreicher seit Zwentendorf bereits, was er von Atomkraft zu halten hat. Gentechnik hatte hierzulande auch schon immer einen schlechten Ruf. Und: Einer Market-Umfrage zufolge lehnen 70% der Österreicher die Protestaktionen der “Letzten Generation” ab – auch hier bewegt man sich also auf sicherem Territorium.

Schritt 2: Inszeniere einen Kampf “Gut gegen Böse”!
Eine gute Geschichte braucht einen Bösewicht, dessen Opfer, und Helden, die den Tag retten. Das Erfinden kreativer Schimpfnamen ist dabei ein guter Weg, um den Lesern klarzumachen, wer der Feind ist. Die Krone bezeichnete die Klima-Aktivisten (viel zu neutral!) zum Beispiel bald nur noch als “Klebe-Chaoten”, “Klima-Rebellen” oder gar „verhaltensauffällige Pseudo-Klimaschützer”.

Merke: Die EU gibt in der Krone immer ein exzellentes Feindbild ab. Sie leistet ja den “ewiggestrigen Atomanhängern” (1) Vorschub, weil sie den Ungarn erlaubt, staatliche subventionierte Atomkraftwerke zu bauen. Fast könnte man sie als Terrororganisation einstufen, verübt sie mit der Zulassung neuer Gen-Technologien doch “Anschläge” auf die heimischen Bauern (2).

Apropos Terrororganisation: Was wäre ein Bösewicht ohne hinterlistige Pläne und arglistige Motive? Beim Lesen der Krone-Kampagnen wird schnell offensichtlich, dass die EU scheinbar ein Handlanger der französischen Atomlobby (3) und millardenschwerer Agrarkonzerne ist. Die „heimlichen Pläne“ der EU (4) sollen die Profite der Agrar-Multis maximieren. Eine Verschwörung, die aufgedeckt werden muss!

Überzeichnete Feindbilder verleihen der eigenen Geschichten einen besonderen Pep, das lehren uns Rechtspopulisten ebenso wie Fantasy-Autoren à la George R. R. Martin. Aber auch Helden braucht es. Polizisten, zum Beispiel, die den Wiener Verkehr “vor dem Kollaps bewahren”, oder die NGO “Global 2000”, die gegen die Genschere Crispr lobbyiert. Idealerweise steht die eigene Zeitung im Kampf gegen das Böse an vorderster Front – wie die Krone, die sich brüstet: “Damals wie heute sagen wir Nein zur Atomkraft” (5).

Dabei muss es dir egal sein, dass du mit dieser Schwarz-Weiß-Berichterstattung sachliche Diskussion verunmöglichst. Immerhin geht es bei einer Kampagne nicht um Respekt vor unterschiedlichen Sichtweisen, sondern um Stimmungsmache. Deshalb jubiliere, wenn der Feind besiegt ist: “Klebe-Chaotin sitzt jetzt endlich im Gefängnis.”

Schritt 3: Emotionalisiere mit einem Bedrohungsszenario!
Bei einer gut gemachten Krone-Kampagne wissen die Leser, was für sie auf dem Spiel steht. Grundsätzlich gilt dabei: Je übertriebener das Bedrohungsszenario, desto besser. Den Menschen muss bei deinen Berichten richtig Angst und Bange werden: “Alles deutet auf eine Frankenstein-Technologie hin“ (4), schreibt die Krone etwa zur diskutierten Gen-Schere.

Manchmal weiß das Publikum auch noch gar nichts von seinem Leid. So erinnert die Krone die Pendler daran, dass sie eigentlich “mit den Nerven am Ende” sind, weil die Klima-Aktivisten keine längeren Haftstrafen ausfassen. Und weil im Stau stehen bekanntlich genau so schlimm ist, wie existenzielle Geldnöte, im selben Satz auch noch daran, dass sie „von Teuerungs- und Zukunftsängsten geplagt“ sind.

Ab und zu dürfen die Warnungen natürlich auch bis zu einem gewissen Punkt gerechtfertigt sein. So wie die vor der Laufzeitverlängerung des slowenischen Kernkraftwerks Krško, das in einem Erdbebengebiet steht. Die Krone schreibt vom „Steinzeit-AKW“. Dass die IAEA den Meiler als sicher bewertet, weil in der Vergangenheit zahlreiche Modernisierungen vorgenommen wurden, verschweigt sie aber – mehr Angst als notwendig schadet ja nicht.

Schritt 4: Erschaffe eine Echokammer!
Unterschiedliche Standpunkte wiederzugeben gehört eigentlich zu den Hauptaufgaben des Journalismus. Nicht so bei Medienkampagnen: Die Leser sollen ihre eigene Meinung ja nicht hinterfragen oder – Gott bewahre – sogar ändern.

Deshalb ist es klug, wenn die Menschen so wenig wie möglich mit verschiedenen Sichtweisen konfrontiert werden. Tu so, als ob jeder wichtige Akteur auf Blattlinie sei. Etwa die “besonnenen Klimaschützer”, die die “ausufernden Proteste” der “Letzen Generation” ablehnen. Umso besser, wenn sogar eine “Hainburger Umweltlegende” die Klebe-Aktionen als “außerhalb des Verfassungsbogens” und schädlich für die gesamte Ökoszene bezeichnet (6).

Noch viel wichtiger beim Kampagnisieren ist aber, worüber nicht geschrieben wird. In den Krone-Kampagnen letztes Jahr mussten etwa unbedingt folgende Argumente verschwiegen werden:

  • Atomkraft: Anders als Solar- und Windkraftwerke sind Atomkraftwerke grundlastfähig. Das heißt, sie können zuverlässig Energie liefern und sichern so die Netzstabilität. Atomstrom ist dabei sauberer (in Hinblick auf den CO2-Ausstoß) als jener aus anderen grundlastfähigen Kraftwerken (Kohle und Gas). Internationale Organisationen, wie das IPCC und die Wirtschaftskommission UNO, sind sich auch einig, dass wir die Klimaziele ohne einen Ausbau von Atomkraft gar nicht erreichen können. Deswegen hat die EU Atomkraft in ihrer Taxonomie auch – vorübergehend! – als grün eingestuft.
    Die Krone schreibt auch immer wieder, dass sich AKWs wirtschaftlich nicht rechnen. Das stimmt nur bedingt: Die Stromerzeugungskosten sind bei neu errichteten Meilern zwar um 20% höher als bei Windenergie und Photovoltaik, bei einer Laufzeitverlängerung bestehender AKWs allerdings um 50% geringer.
  • Gentechnik: Dass der Einsatz von Gentechnik im Lebensmittelbereich gesundheitliche Risiken birgt, konnte bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden. Die Genschere Crispr/Cas, deren Einsatz die EU vereinfachen will, könnte Gentechnik sogar noch sicherer machen. Gene können damit nämlich gezielter manipuliert werden. Nota Bene: In den USA sind gentechnisch manipulierte Lebensmittel seit 1996 zugelassen. Bisher gab es keine Anzeichen, dass es deswegen dort zu einer Häufung von Krankheiten oder gar einem Massensterben gekommen ist.
    Auch aus ökologischer Sicht ist der Einsatz von Crispr sinnvoll, weil durch die Züchtung schädlingsresistenter Pflanzen auf Insektizide verzichtet werden kann. Die Krone heftet sich gerne Umweltschutz auf die Fahne, schreibt aber gegen Crispr an.
  • Klima-Aktivismus: Moderate Klima-Proteste konnten die Regierung bisher nicht dazu bewegen, ausreichende Klimaschutz-Maßnahmen zu beschließen. Österreich wird das Zwei-Grad-Ziel nach derzeitigem Stand meilenweit verfehlen. Die Besetzung der Hainburger Au hat gezeigt, dass radikale Proteste etwas bewegen können. Ziemlich ironisch: Die Krone stellte sich damals auf die Seite der Besetzer. 

Alle diese Argumente mag man gut oder schlecht finden – es wäre aber jedenfalls die Aufgabe von Journalismus, die Leserschaft darüber zu informieren.

Um den Anschein eines journalistischen Texts zu wahren, dürfen die Argumente der Gegner in der Krone nur in homöopathischen Dosen natürlich vorkommen. So lange der Frame stimmt („ausufernde Proteste“, „perfide Gen-Manipulation“, „Frankenstein-Technologie“, etc.), werden die Leser ohnehin wissen, was sie davon halten sollen.

Schritt 5: Bring’ die Schweigespirale in Schwung!
Die Theorie der Schweigespirale besagt, dass Menschen sich nicht trauen, ihre Meinung öffentlich zu äußern, wenn sie denken, dass diese Meinung nicht von der Mehrheit geteilt wird. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die in den Medien veröffentlichten Standpunkte der eigenen Meinung widersprechen. Demokratiepolitisch ist die Schweigespirale natürlich problematisch. Für Kampagnen sind sie allerdings ein hervorragendes Instrument, um das Meinungsklima zu manipulieren.

 

Die Krone macht vor, wie’s geht: Muss eine Meinung bekämpft werden, schickt sie einfach ihre Leser an die Front. Auf ganzen Doppelseiten finden sich dann im Format “Das freie Wort” nur noch Kommentare, die ganz auf Blattlinie sind. Die Leser wettern darin wahlweise gegen die “gehirnbefreiten” und “dummen Aktionen” der “Terroristen”, (gemeint ist die “Letzte Generation”), gegen die Atomlobby und die Zulassung der Gentechnik: “Ein Acker einmal verseucht, ist immer verseucht!”. Wie Leserbriefe manipulativ im Bundespräsidentenwahlkampf verwendet wurden, haben wir übrigens hier dokumentiert.

Natürlich darf auch ab und zu ein Feigenblatt erscheinen, in dem gegenteilige Meinungen vertreten werden. So wie dieser Kommentar von Conny Bischofberger zu den Klimaprotesten. Wichtig ist dabei aber: Solche abwägenden Artikel müssen bei der Flut an emotionalisierender Berichterstattung ein Tropfen auf dem heißen Stein bleiben.

Schritt 6: Hinterfrage dich niemals selbst!
Gut möglich, dass beim Lesen dieser Anleitung Zweifel bei dir aufgekommen sind. Ist eine Krone-Kampagne überhaupt so eine gute Idee? Immerhin ist es nicht die Aufgabe von Journalisten, Meinungen vorzukauen. Vielleicht denkst du auch, dass Medien eigentlich unterschiedliche Standpunkte wiedergeben sollten und guter Journalismus sich gerade dadurch auszeichnet, dass er auch Mehrheitsmeinungen kritisch hinterfragt. Eventuell bist du auch der Meinung, dass „Haltung“ keine Ausrede dafür sein darf, sich nicht kritisch mit einem Thema auseinanderzusetzen.

Vielleicht findest du es auch schizophren, dass sich die Krone Umweltschutz auf die Fahne heftet, aber gegen eine Technologie anschreibt, die im Kampf gegen den Klimawandel hilfreich sein könnte. Oder, dass sich die Zeitung auf die Seite der (aus damaliger Sicht) radikalen Hainburg-Besetzer stellte, aber sobald Autofahrer betroffen sind, gegen Klima-Aktivitsten hetzt. Vielleicht findest du es in diesem Kontext etwas lächerlich, dass die Krone nur bei den Themen „klare Haltung“ zeigt, bei denen sich die Blattlinie mit der Mehrheitsmeinung deckt. Vielleicht denkst du auch, dass Selbstlob stinkt.

Solltest du diese Zweifel haben, beachte Schritt 6: Hinterfrage dich niemals selbst! Würdest du das tun, müsstest du nämlich deinen Job als Journalist kündigen und in Politik, PR oder zu Exxpress wechseln. Mit Journalismus haben solche Kampagnen nämlich nichts mehr zu tun.

 

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Quellen:

(1) Perry & Matzl: EU weist Paks-Klage ab und hilft so Atom-Piraten. Kronen-Zeitung vom 01.12.2022, S. 4.
(2) Perry: Wachsende Gefahren durch neue Gentechnik und Pflanzen-Patente. Kronen-Zeitung vom 14.12.2022, S. 12.
(3) Matzl: Atomlobby will AKW-Renaissance über die Hintertür hochfahren. Kronen-Zeitung vom 28.07.2022, S. 12.
(4) o.A.: Erbgut der Pflanzen wird komplett verändert. Kronen-Zeitung vom 04.03.2022, S. 20.
(5) o.A.: Damals wie heute sagen wir Nein zur Atomkraft. Krone Steiermark vom 02.10.2022, S. 48.
(6) Perry: Krisengipfel gegen „Klima-Chaoten“. Kronen-Zeitung vom 05.03.2023, S. 15.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.

Kobuk.at hat drei Monate lang alle Meinungselemente der Tageszeitungen „Die Presse“, „Der Standard“, „Kronen Zeitung“ und „Kleine Zeitung“ analysiert. 68 Prozent aller Kommentare, Glossen und Kolumnen wurden dabei von Männern geschrieben; sieht man sich nur die Leitartikel an, ist das Missverhältnis noch deutlicher: Frauen haben weniger als ein Fünftel dieser Texte verfasst. 


Kritische Kommentare, satirische Glossen, humorvolle Rezensionen: Persönliche Meinung kommt in österreichischen Tageszeitungen nicht zu kurz. Meinungsartikel beeinflussen, worüber eine Gesellschaft spricht, was überhaupt als Nachricht wahrgenommen wird oder welche Themen auf Twitter besonders polarisieren  – und ziemlich oft stammen sie in Österreich von Männern.

Kobuk.at hat zwischen 1. Oktober und 31. Dezember 2022 alle Print-Ausgaben von „Die Presse“, „Der Standard“, „Kronen Zeitung“ und „Kleine Zeitung“ auf diverse Meinungsartikel hin untersucht. Insgesamt wurden in allen vier Tageszeitungen  2.741 Leitartikel, Kommentare, Glossen oder Kolumnen abgedruckt. 1.869 davon waren von Männern – also etwa 2 von 3 Texten, gerade einmal 872 von Frauen. Männer waren damit Verfasser von 68 Prozent aller Meinungselemente.

Einen starken Männer-Überhang gab es dabei nicht nur in den Boulevard- und Mid-Market-Blättern („Kronen Zeitung“ und „Kleine Zeitung“), sondern auch in den Qualitätsmedien „Die Presse“ und „Der Standard“.

So bat die bürgerlich-konservative Tageszeitung „Die Presse“ im dreimonatigen Beobachtungszeitraum Männer 494 Mal (72 Prozent der Meinungsartikel) um ihre Meinung zu aktuellen Themen, Frauen hingegen nur 190 Mal (28 Prozent). „Der Standard“ verfügt zwar seit über 20 Jahren über ein eigenes Ressort für Frauenpolitik mit eigener Website (dieStandard.at), aber auch dort waren 63 Prozent der Meinungsartikeln von Männern – 37 Prozent von Frauen. Das ist zwar besser als in der „Kronen Zeitung“, aber nicht viel besser – hier waren 72 Prozent der Texte von Männer, 28 Prozent von Frauen.

Wo sind die Frauen?

Bemerkenswert ist aber nicht nur, wie selten Frauen Meinungsartikel schreiben, sondern auch worüber. So zeigt die Kobuk-Analyse, dass Frauen überwiegend über sogenannte klassische Frauenthemen schreiben: Familie, Gesundheit, Liebe oder Kunst und Kultur. Insbesondere am Wochenende – und vorwiegend in den Sonntagsausgaben in Form von Glossen, Kolumnen oder Rezensionen.

Selbst wenn Frauen politische Kommentare schreiben, dann waren es häufig Frauenthemen: Proteste im Iran, Gewalt gegen Frauen, oder Gleichberechtigung der Geschlechter, Kinderbetreuung, Gesundheitspolitik oder Equal Pay Day. Die große Mehrheit der Hard-News-Themen wie politische und wirtschaftliche Kommentare war klar männerdominiert, siehe Grafik. Überspitzt gesagt: An vielen Tagen kommentieren in österreichischen Zeitungen Männer auf den vorderen Seiten über die Regierung, Steuerreform und Korruption, und auf den hinteren Seiten Frauen über Beziehungen und wie schwierig es ist einen Kindergarten-Platz zu bekommen.

Leitartikel, das wohl wichtigste Aushängeschild eines Printmediums (gibt es bei den ausgewählten Medien nur in „Die Presse“ und „Kleine Zeitung“, Anm.), wurden Frauen nur in 33 Fällen überlassen. Männer durften sich für den prominenten ‚Platz gegenseitig 137 Mal das Wort reichen (80 Prozent).

Stichwort traditionell männlich/weiblich konnotierte Themen: In den Sportressorts, wo Frauen nach wie vor eine Branchenminderheit darstellen, war das Ungleichgewicht erwartungsgemäß besonders stark ausgeprägt: Weibliche Stimmen zu Sportereignissen gab es in allen Medien nur 15 Mal. Zum Vergleich: Männer schrieben 97 Mal über Wettbewerb, Sport und Spiel.

Woher kommt die Diskrepanz?

In Österreichs Redaktionen arbeiten laut dem Österreichischen Journalismusreport heute etwa gleich viele Frauen wie Männer. In den Führungsetagen sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert: In allen vier Medien sitzen Männer in den Sesseln der Chefredakteure – und Kommentare werden nun mal häufiger von leitenden Redakteur:innen verfasst.

Aber nicht nur. Neben den Meinungsartikeln der Journalist:innen, gibt es in allen vier Zeitungen auch Kolumnen und Kommentare von Gastautor:innen. Wenn eine Zeitung also wirklich möchte, könnte sie das redaktionsinterne Geschlechterungleichgewicht damit aufheben und auf 50 Prozent Frauenquote kommen. Doch auch hier zeigt die Analyse klar: Weitaus mehr hausfremde Experten als Expertinnen bekommen eine mediale Plattform.

Kommentar der anderen (Männer)

In der „Kronen Zeitung“ etwa wurden externe Autoren 91 Mal (63 Prozent) abgedruckt, externe Autorinnen nur zu 54 Anlässen (37 Prozent). In dieser Kategorie ist der linksliberale Standard sogar deutlich schlechter als die Krone: 137 Gastkommentatoren (81 Prozent) standen dort 33 Gastkommentatorinnen (19 Prozent) gegenüber. Wenn also im Standard auf der Meinungsseite „Kommentar der anderen“ Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen über aktuelle Geschehnisse schreiben, waren das somit in aller Regel Männer.

Tage zu finden, in denen Frauen öfter zu Wort kamen als Männer, wurde zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen. In drei Monaten kam das nur in 50 der insgesamt 346 Ausgaben vor. Demgegenüber gab es 38 Ausgaben aller vier Medien, in denen kein einziger Kommentar von einer Frau abgedruckt. Allein 25 Tage davon sind der „Kronen Zeitung“ zuzurechnen, einmal gleich an drei aufeinanderfolgenden Tagen, an denen jeder einzelne Meinungsartikel von Männern verfasst wurde.

Ein verfrühtes Geschenkt bereitete die „Kleine Zeitung“ in der letzten Adventwoche: Zum ersten (und letzten Mal) in drei Monaten kam am 21. Dezember vor, dass in einer Ausgabe kein einziges Mal ein Meinungsartikel von einem Mann veröffentlicht wurde. Alle Kommentare, Glossen und Kolumnen haben Frauen verfasst, auch den Leitartikel (über den Equal Pay Day). Ein Weihnachtswunder – jedenfalls in Österreich.

 

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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.

Wäre es nicht schön, einen Blick in die Zukunft zu werfen? Laut dem Horoskop soll genau das möglich sein. Freilich, ein leeres Versprechen. Das merkt schnell wenn man bei verschiedenen Medien sein Horoskop liest: Laut Kurier ist heute mein Optimismus im Job ansteckend; laut Kronen Zeitung soll ich heute – ebenfalls im Beruf – „mit Konsequenzen warten, bis sich der Ärger gelegt hat“. Wer bitte erfindet diese Texte?

Montage: Thomas Pichler Originalbild: Xolo Piks auf vecteezy.com

Die Zukunft liegt nicht in den Sternen.

Ich wollte wissen, wie Horoskope tatsächlich entstehen und habe mich auf die Suche nach Menschen gemacht, die in den diversen Medien für die Horoskope verantwortlich waren. Am Ende habe ich mit acht Gesprächspartner:innen gesprochen, die mir erzählt haben, wie das in ihrem Medium läuft.

Kurz gesagt: Manchmal sind Redakteur:innen für Horoskope zuständig, manchmal Praktikant:innen, und manchmal werden sie automatisiert von irgendwelchen Plattformen übernommen. Wie absolut willkürlich Horoskope mitunter erfunden werden, hat mich dann aber doch überrascht. Hier erzählt zum Beispiel Philipp* wie das bei Radio OE24 (mittlerweile Radio Austria) abläuft.

 

Nicht viel besser sieht das bei Puls4, Miss, Infoscreen, eXXpress und den Regionalen Medien aus, aber der Reihe nach:

Puls4 nicht ganz am Puls der Zeit

Martina* war in der Redaktion von Puls4 tätig, unter anderem war sie für die Horoskope im beliebten Morgenmagazin Cafe Puls zuständig. Normalerweise hat man sich von anderen Horoskopen im Internet „inspirieren“ lassen, erzählt sie – also Copy & Paste. Von einem Tageshoroskop konnte keine Rede sein, denn diese wurden Wochen, wenn nicht Monate, im Voraus produziert. Wenn man keine Horoskope auf anderen Seiten zum Abschreiben finden konnte, war man gezwungen, selbst irgendetwas zu erfinden.

 

In der Regel sei ein:e Redakteur:in oder Praktikant:in einen ganzen Tag der Woche nur mit der Vorproduktion von Horoskopen beschäftigt gewesen. Martina erzählt uns, wie diese Arbeit konkret ausgesehen hat:

 

Horoskope auf der eXXpress-Tour

Beim Frühstücksfernsehen auf eXXpress.tv war lange Zeit geplant, den Tag mit einem Horoskop zu beginnen. Peter, ein ehemaliger Redakteur, erzählt uns, wie die Arbeit dort aussieht: Die Horoskope wurden meistens von einer Praktikant:in geschrieben und nie kontrolliert, sagt er. Das sei aber auch völlig egal gewesen, denn das Horoskop wurde oft nicht am selben Tag ausgestrahlt — oft ist es aus Zeitgründen geflogen und an einem anderen Tag ausgestrahlt worden. Als die Sommer-Praktikant:innen weg waren, wurde dasselbe Horoskop einfach wieder gespielt, oft sogar mehrmals hintereinander.

Eine satirische Vorhersage auf dem Infoscreen

Bei den Online-Medien ist die Lage nicht sonderlich besser. Der Infoscreen begleitet die meisten Wiener:innen in den Öffis, sein Mondkalender und sein Jahreshoroskop nimmt intern niemand ernst, erzählt uns Claudia. Claudia hat dort gearbeitet und beschert uns einen Blick hinter den Kulissen: “Wir haben uns immer grob an Online-Horoskope gehalten bzw. inspirieren lassen, aber versucht das ganze lustig und überdreht umzuschreiben, weil wir in der Redaktion nicht an Astrologie glauben. Das ganze war also eher ein Satire-Format, und an den Leserbriefen haben wir auch gemerkt, dass das so ankam. Entweder fanden die Leute es witzig oder sie haben sich beschwert, weil wir das Thema nicht ernst genommen haben.“ Dass die Redaktion die Horoskope als Satire sieht, ist aber jedenfalls ein Insider-Joke. Als Satire gekennzeichnet sind sie freilich nicht.

Im Radio OE24 klingen die Horoskope anders

Auch andere Medien nehmen das Horoskop nicht ernst. Die Redaktion von Radio OE24 (jetzt Radio Austria) zählt hier ebenfalls dazu. Philipp erzählt von einer völlig wirren Arbeitsweise: bei Radio OE24 wurden die Horoskope zu den Kategorien Liebe, Beruf und Gesundheit täglich von einer „Wahrsagerin“ geliefert. Offensichtlich war das nicht spannend genug und Philipp musste jeden Tag nach eigenem ermessen Änderungen vornehmen:

 

Anscheinend wirken Prozentsätze bei Horoskopen spannender.

Regionale Unterschiede im Print

Im Printbereich sieht es nicht viel besser aus. Benedikt hat bei den Regionalen Medien Austria 20 Jahre lang gearbeitet. Der Verlag ist vor allem für „Mein Bezirk“ bekannt. Benedikt hat uns verraten, wie das Horoskop dort entsteht: „Diese wurden einmal von einem deutschen Anbieter eingekauft, sicher nicht mehr als 2-3 Stück für jeden Monat des Jahres. Diese wurden immer wieder verwendet, über Jahrzehnte, weil “merkt ja eh keiner”. Jedes Mal, wenn ein großes Inserat storniert wurde oder aus anderen Gründen plötzlich ein Loch in der Zeitung war, landete eben ein 10 Jahre altes Horoskop in der Zeitung, das wahrscheinlich schon 20+ Mal veröffentlicht wurde. Die Pointe: es hat tatsächlich niemand bemerkt.”

Sabrina hat vor Jahren ein Praktikum beim Kurier gemacht und war dort ebenfalls für Horoskope zuständig. Sie erzählt uns, dass sie ein sogenanntes Mondbuch in der Hand gedrückt bekommen hat. Ein Mondbuch ist eine Sammlung von Horoskopen bzw. diverser astrologischer Sprüche. Solche Sprüche werden dann direkt für das Tageshoroskop übernommen – auch wenn das Buch aus einem früheren Jahrzehnt stammt.

MISStake bei einem Frauenmagazin

Laut eine Statistik aus Deutschland glauben Frauen eher an Horoskope als Männer. Es ist also keine Überraschung, dass Horoskope und Astrologie prominente Plätze in Frauenmagazinen bekommen. Miss Media bietet neben Tages- auch Wochenhoroskope an. Als Praktikantin wurde Maria gefragt, ob sie die Horoskope übernehmen könne: “Als ich gefragt habe, woher ich die Informationen dafür nehmen soll, ist mir schnell aufgefallen, dass dies nicht so eng gesehen wird. Mir wurde gesagt, ich könnte mich zum Beispiel im Internet umschauen, was andere Medien oder Horoskopseiten aktuell so schreiben und mich davon „inspirieren“ lassen. Und das habe ich auch getan…. Woher ich diese Informationen hatte, wurde von niemandem mehr hinterfragt oder kontrolliert.”

Eine Sternlesung aus der Dose

Wenn Medien die Horoskope also nicht selbst frei erfinden, werden sie oft von externen Quellen kopiert. Entweder per Copy&Paste plagiiert, oder von Agenturen gegen Geld. Auf Anfrage erzählte mir die Kleine Zeitung, dass sie ihre Horoskope von der Rätselagentur Kanzlit beziehen – online findet man neuerdings auch die Agentur Viversum als Quelle.  Die Kronen Zeitung gibt bei ihren Horoskopen die Agentur Riccarda Ritter an; Astro.de und Horoskop.at werden auch oft verwendet. Diese Agenturen sind vor allem bei Online-Medien beliebt, denn die Beiträge werden automatisch aktualisiert.

Diese Seiten bieten im Übrigen auch ganze Artikel an, nach der Machart „Diese 5 Sternzeichen sind am besten im Bett“. Beliebter Clickbait, aber sie kosten bis zu 299 Euro pro Text. Das ist wohl mit ein Grund, warum solche Texte vielfach von Praktikant:innen oder Lifestyle-Redakteur:innen geschrieben werden, wie uns eine Brancheninsiderin erzählt.

Wir haben alle erwähnten Medien um eine Stellungnahme gebeten:

Radio Austria: Seit der Übernahme von Alex Nausner als Programmdirektor soll es „keine Horoskope im Programm geben“.

Miss: „In den vergangenen Jahren gab es unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Erstellung der Horoskope. Inhalte von anderen Seiten zu „kopieren“ zählt jedenfalls nicht dazu. Aktuell arbeiten wir seit einigen Jahren online mit Viversum zusammen. Für unsere Printausgaben ziehen wir ebenfalls ExpertInnen für Horoskope heran.“

Kurier: „Das Horoskop erwerben wir käuflich von Frau Hübner, einer Astrologin.“

Von Puls4, eXXpress und Infoscreen haben wir keine Rückmeldung bekommen.

 

*Alle Namen wurden geändert, um die Anonymität zu bewahren. Außerdem haben wir die Stimmen verzerrt.

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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.

„Zum Regieren brauche ich nur Bild, BamS (Bild am Sonntag) und Glotze.“ Mit diesen Worten untermauerte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder einst die Macht der „Bild“ in Deutschland. Die größte Boulevardzeitung des Landes nimmt in puncto politischer Berichterstattung auch heute noch eine gewichtige Rolle ein und folgt dabei – gelinde gesagt – nicht immer journalistischen Leitlinien. Das ist auch bei der Berichterstattung über den deutschen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck der Fall.

In den vergangenen Monaten fuhr „Bild“ eine heftige Kampagne gegen den Grünen-Politiker. Mehrmals pro Woche schrieb die Boulevardzeitung negativ über Habeck – und das nicht nur über seine politische Arbeit, sondern auch über ihn als Person. „Bild“ machte den 53-Jährigen zum Sündenbock für alles Mögliche, was in Deutschland schiefläuft, oder irgendwann in Zukunft einmal schieflaufen könnte.

Im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2022 analysierten wir alle Print-Berichte der „Bild“ und „Bild am Sonntag“ über Habeck. Meinungsbeiträge nicht dazu gezählt (dazu später mehr), fanden wir 147 relevante Artikel. Davon waren 101 negativ und 45 in einem neutralen Ton verfasst. Bei lediglich einem Artikel war eine positive Haltung gegenüber Habeck auszumachen. 

Der erste Frame: Habeck ist unfähig

Am häufigsten schrieb „Bild“ Artikel, die darauf hinauslaufen, dass Habeck unfähig und als Minister heillos überfordert ist. In einem Text vom 25. November wurde er beispielsweise zu den drei größten Flops der Ampel-Koalition gezählt.

Ein weiteres Beispiel: Am 27. August berichtete die Boulevardzeitung über „Habecks Horror-Woche“ und sprach dabei von einer „Blamage“ sowie „kleinlauten Nachbesserrungen“. Worum ging es konkret?

Habeck wollte damals eine Gasumlage einführen, mit deren Hilfe er die Gas-Versorgung Deutschlands stabilisieren wollte. Diese Umlage hätte für Haushalte und Firmen bis Ende April Zusatzkosten in Milliardenhöhe bedeutet. Das Geld hätte an Gas-Importeure gehen soll, damit diese Preisschwankungen beim Gas-Einkauf ausgleichen können. Ende Augst kündigte der Wirtschaftsminister eine Änderung an, durch die verhindert werden sollte, dass von den Zusatzzahlungen auch Unternehmen profitieren, die diese nicht benötigten. Und das war laut „Bild“ also die große Blamage?

Medien wie zeit.de oder orf.at sahen das nicht so und berichteten neutral und ausgewogen. tagesschau.de und handelsblatt.com hoben in ihren Artikeln sogar die zu erwartende Entspannung bei der Vorsorge für den Winter hervor. Zur Umsetzung dieser Gas-Umlage kam es übrigens nie – das Vorhaben wurde Ende September begraben.

Komplettiert wurde die vermeintliche Horror-Woche Habecks laut „Bild“ dadurch, dass „sein Plan für mehr und schnellere Kohletransporte per Bahn holpert“. Was die Zeitung nicht erwähnte: Mehr und schnellere Kohletransporte per Bahn waren zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossen.

Dieses Beispiel zeigt ein beliebtes Muster der „Bild“-Kampagne: Einordnungen und wichtige Zusatzinformationen fanden in der Berichterstattung meist keinen Niederschlag. Dabei setzte die Zeitung auf Maledicta – also Begriffe, die eine abwertende Bedeutung haben -, um Habeck in ein schlechtes Licht zu rücken. So bezeichnete „Bild“ den Vizekanzler am 17. Oktober als „Streithahn“, mehrfach war im Zusammenhang mit ihm das Wort „Murks“ zu lesen und mitunter unterliefen Habeck auch schon mal „Patzer“ und „Pannen“.

Der zweite Frame: Habeck ist müde und an allem schuld

„Bild“ attackierte Habeck auch persönlich. So wurde nicht nur seine Regierungsfähigkeit in Frage gestellt, sondern auch auf das äußere Erscheinungsbild des 53-Jährigen eingegangen. „Die vergangenen Tage haben Habeck sichtlich zugesetzt: Er hat tiefe Ringe unter den Augen, die Stimme ist leise und kraftlos. Haben die Enthüllungen über seine Atom-Lüge dem Vizekanzler schlaflose Nächte bereitet?“, schrieb „Bild“ Anfang November. In einem Meinungsartikel vom 10. November wurde auf Habeck als „Bückling“ referenziert. Schon am 8. September hatte die Zeitung den Vizekanzler in einem TV-Interview als „müde“ und „angespannt“ wahrgenommen. Auch andere Medien wie spiegel.de oder süddeutsche.de stellten Habeck nach dem Interview mit Sandra Maischberger ein schlechtes Zeugnis aus – der Unterschied: Sie bezogen ihre Kritik auf Inhalte.

Auffällig ist zudem, dass Habeck von der „Bild“ oftmals als Alleinschuldiger auserkoren wurde. „Habeck will offene Ladentüren verbieten!“, „Habeck lässt uns doppelt zahlen!“ und „Diese Dreckschleudern bringt Habeck jetzt wieder ans Netz!“ sind nur drei der Beispiele, bei denen der Vizekanzler als Sündenbock herhalten musste. Zur Erinnerung: Auch in Deutschland müssen Gesetze und Verordnungen in einem Parlament von einer Mehrheit beschlossen werden.

Besonders perfide wurde die Kampagne am 28. September: „Herr Habeck, ein Blackout bedeutet für mich den Tod!“, titelte die Zeitung. Im Text wurde eine 64-jährige Frau zitiert, die im Falle eines Blackouts angesichts einer chronischen Lungenerkrankung vor großen Problemen stünde. Die Zeitung suggerierte also, dass Habeck nicht nur Schuld an einem Blackout hätte, sondern irgendwie auch dafür verantwortlich wäre, sollte diese Frau sterben.

Der dritte Frame: Habeck will Bürger:innen bevormunden

Des Weiteren zeichnet sich die Kampagne der „Bild“ durch die vermeintliche Weltuntergangsstimmung in Deutschland aus, für die Habeck in vielen Fällen verantwortlich gemacht wurde. Vor allem im Zuge der Energiekrise wollte er die Bürger:innen laut „Bild“ dabei auffällig oft bevormunden.

So schrieb „Bild“ nach der Präsentation eines neuen Energiesparpakets am 22. Juli von „Habecks eiskaltem Winter-Plan“ und suggerierte, dass die deutsche Bevölkerung im Winter frieren müsse, wenn sie den Anordnungen des Wirtschaftsministers nicht gehorche. Am 20. August stellte die Zeitung dann sogar die Frage, ob die Grünen gemäß dem „Dusch-Vorbild“ Habeck („schnell“, „kalt“) den Menschen das Duschen verbieten wollen. Nur fünf Tage später malte „Bild“ ein weiteres Schreckensszenario an die Wand: „Regierung befiehlt: Licht aus! Maske auf! Heizung runter!“ Die skizzierten Worst-Case-Szenarien traten – wie wir heute wissen – allerdings nicht einmal ansatzweise ein.

Das i-Tüpfelchen: Habeck und die Meinungsbeiträge

Viele dieser Berichte haben wenig mit Journalismus zu tun, so richtig heftig wurde es aber erst in den Kommentaren der „Bild“. 22 der 23 geschriebenen Meinungsbeiträge (Kommentare und Kolumnen) im untersuchten Zeitraum wiesen eine Abneigung gegenüber Habeck auf. Eine Kostprobe:

  • „Habeck spielt mit unserem Land“, meinte etwa Filipp Piatov in einem Kommentar vom 6. September.
  • Nur zwei Tage später erklärte Jan W. Schäfer, dass Deutschland keinen „Minister Ahnungslos“ brauche: „Mitten in der Krise offenbart Robert Habeck seine Ahnungslosigkeit. Der Minister, der Firmenchefs mit Vorschriften zum Energiesparen belehrt, weiß offensichtlich selbst gar nicht, wie die Wirtschaft tickt.“
  • Am 1. Dezember schrieb erneut Piatov, dass Habeck „Deutschlands Werte völlig umsonst“ verkaufe.
  • Dass sich an der Einstellung gegenüber Habeck auch zu Beginn des Jahres 2023 nichts änderte, zeigt ein Kommentar vom 5. Jänner. In diesem bezeichnete Schäfer den Vizekanzler als „Polit-Egoist“, der „Deutschlands Glaubwürdigkeit und Ansehen aufs Spiel“ setze.

Am 23. Jänner dieses Jahres eine weitere irreführende Schlagzeile. „Regierung verschenkt Energie ins Ausland – und wir zahlen drauf! Der große Strom-Skandal“, titelte „Bild“. Daneben abgebildet: Robert Habeck. Doch wie der Bildblog richtig schreibt: Die Regierung kauft keinen Strom, verkauft keinen Strom und verschenkt auch keinen Strom. Und schon gar nicht Robert Habeck.

Die „Bild“-Kampagne gegen den deutschen Vizekanzler, sie scheint so schnell kein Ende zu nehmen.

 

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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert.Klimaministerin Leonore Gewessler kommt in den Fellner-Medien überhaupt nicht gut weg. Wieso es sich um eine Kampagne handelt und was das mit Inseratengeldern zu tun haben könnte.

Dabei fing alles so gut an. Als sich in den Medien Ende Dezember 2019 abzeichnete, dass Leonore Gewessler Umweltministerin werden würde, schwärmte Wolfgang Fellner, sie sei eine „spannende Ansage“. Am 18. Jänner 2020 schrieb er sogar:

„Leonore Gewessler ist eine (…) beeindruckende Frau: Die von allen geschätzte Managerin von Global 2000 zur Umwelt-Ministerin zu machen, war ein Geniestreich von Kogler. Sie hat die Ideen und die ­Power für die Umweltwende.“

Von dieser publizistischen Zuneigung ist nichts mehr übrig. Dass oe24/Österreich bestimmte Politiker:innen ganz besonders im Visier hat, ist nicht erst seit der Kampagne gegen die Wiener Stadtpolitikerin Ulli Sima bekannt. Seit geraumer Zeit schießen die Fellner-Medien nun auch gegen Leonore Gewessler.

Wir haben auf oe24.at 319 Artikel gelesen, in denen Gewessler zwischen 1. Juni 2022 und 17. Jänner 2023 erwähnt wird. Konzentriert man sich auf jene, in denen es auch vorrangig um die Grünen-Politikerin geht und sie nicht bloß am Rande vorkommt, bleiben 199 Artikel übrig. Diese haben wir in neutral, negativ und positiv unterteilt. Das Ergebnis spricht für sich:

Diagramm, das die Berichterstattung über Leonore Gewessler in drei Kategorien unterteilt.

In der Printausgabe von oe24 sind die Negativberichte in Relation sogar noch höher: Seit Mitte September kommt Gewessler in über 60 Prozent der 39 Artikel, in denen sie zumindest erwähnt wird, nicht gut weg.

Verschwenderisch, heuchlerisch, spalterisch

Das alleine ist freilich noch kein Grund, eine Kampagne zu vermuten, sondern könnte auch einfach an schlechter politischer Arbeit sowie dem Faktum liegen, dass sie 2022 als Klimaministerin durch die Energiekrise permanent im öffentlichen Fokus stand.

Sieht man sich die Artikel im Detail an merkt man aber schnell, dass da etwas faul ist. Drei Elemente fallen in der Kampagne besonders auf:

Element eins: Was kostet die Welt?

Collage: Gewessler gibt gerne Geld aus.

Oe24 legt großen Welt darauf, Berichte über Ausgaben des Ministeriums prominent zu platzieren. Hundertausende, ja sogar  Millionen von Euro werden da scheinbar nur so rausgeschleudert – eine Einordnung der Ausgaben (etwa Vergleichszahlen zu anderen Ministerien) fehlen. Bestes Beispiel: Am 1. Juni titelte oe24.at „Klimaanlage für die Klimaministerin um 143.100 Euro“. Tatsächlich wurde die Klimaanalage nicht für die Ministerin angeschafft, sondern für einen anderen Standort mit 300 Mitarbeitern, an dem die alte Klimaanlage kaputt war. Oe24 berichtete sogar am nächsten Tag darüber, allerdings nicht unter dem Titel „Richtigstellung“, sondern „Gewessler: Irrer Streit um teure Klima-Anlage“. Aus der Richtigstellung der eigenen Fehlermeldung einen „irren Streit“ zu konstruieren, ist zumindest kreativ.

Element zwei: Die Ministerin ist `ne alte Umweltsau

Collage: Gewessler ist mit dem Flugzeug unterwegs.

Großen Wert legt Oe24 auf die Reiserouten der Ministerin, die berufsbedingt öfter außerhalb Österreichs weilt. Fliegt sie, wird das stets hämisch in einem Nebensatz erwähnt. Ihrer Flugbilanz wurden mehrere Artikel gewidmet. Die Devise: Die Ministerin, welche zum Energiesparen und zu Umweltbewusstsein aufruft, ist selbst eigentlich eine Umweltsau. So kritisiert die Boulevardzeitung auch, dass Gewessler den Weg nach New York mit dem Flugzeug ja mal so gar nicht umweltbewusst zurücklegt. Die Alternativen für den Weg Wien-New York sind aber auch etwas beschränkt.

Ähnlich verhält es sich mit Gewesslers Reise zum Weltklimagipfel ins ägyptische Sharm El-Sheikh. „Auch zum Weltklimagipfel reiste die Klimaschutzministerin so umweltschädlich wie möglich an“ war diesbezüglich in Oe24 zu lesen. Na klar: Sie hätte laut Google Maps ja auch 42 Stunden mit dem Elektroauto bzw. 664 Stunden zu Fuß anreisen können.

Element drei: Immer Ärger mit Leonore

Collage: Gegenwind für Gewessler.

Egal was Gewessler macht – gut ist es nie, die Kritik kommt von allen Seiten. Zumindest kann man bei der Berichterstattung von Oe24 keinen anderen Eindruck gewinnen. Die Tonalität geht dabei weit über journalistische Kritik hinaus. Oe24 framed Gewessler als Verhindererin und Problememacherin. Geschrieben wird von Eklats, Planlosigkeit, Attacken, Vorwürfen, Empörung und Krach. Besonders der verhinderte Bau des Lobautunnels scheint der Redaktion sauer aufzustoßen. Dieser wird als „Lobau-Foul“ bezeichnet. Über Vorschläge und Forderungen von Gewessler wird selten neutral berichtet. Aus ihren Vorschlägen werden so etwa „geplante Provokationen der VP-Landesorganisationen“.

Kritik durch Dritte an Gewessler nimmt ohnehin viel Platz in der Berichterstattung der Fellner-Medien ein. Man könnte daraus fast schon eine PR-Strategie ableiten. Wer eine Headline in den Fellner-Medien will, hat eine hohe Chance, diese durch Kritik an der Ministerin zu bekommen. Ganz nach dem Motto „Wer hat noch nicht, wer will noch mal?“ bekommen etwa SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll, Julia Herr, die ÖVP-Wien sowie die Industriellenvereinigung, die ÖVP, die FPÖ durch Christian Hafenecker oder Generalsekretär Michael Schnedlitz prominent Präsenz, Österreichs Bürgermeister üben angeblich gar einen Aufstand gegen die Ministerin.

Herzschmerz statt Lobeshymnen

Von den Vorschusslorbeeren ist zweieinhalb Jahre später nur mehr wenig zu sehen. Das gilt umso mehr für die Kommentare von Wolfgang Fellner und Oe24-Chefredakteur Niki Fellner. An dieser Stelle folgt eine Auswahl von Kommentaren seit Juli.

  • Der Notfallplan der zuständigen Ministerin Gewessler ist ein Witz“, statt Ansagen zu machen gebe sie wie zum Hohn Energiespartipps, die jeder Volksschüler kenne, schreibt Niki Fellner am 10. Juli.
  • In der türkis-grünen Regierung sei „nicht viel zu gewinnen, weil mit Gewessler, Rauch & Co ein sicheres Desaster droht“, schreibt Wolfgang Fellner am 27. August.
  • Am 10. September erwähnt Wolfgang Fellner „viele absurde Gesetze der grünen Umweltministerin Eleonore (sic!) Gewessler“.
  • Am 8. Oktober bezeichnet Wolfgang Fellner Klimaministerin Gewessler und Gesundheitsminister Rauch als grüne „Hofnarren“, denen ein immer mehr an Kaiser Franz Joseph erinnernder Bundeskanzler applaudiere.
  • Der Bahnstreik richte sich laut Wolfgang Fellner „direkt gegen Ministerin Gewessler als (Be-)Herrscherin der staatlichen ÖBB“ (28. November).
  • Am 5. Dezember versucht sich Niki Fellner am Spagat, gleichzeitig härtere Strafen gegen Raser gut zu finden, die Abnahme ihrer Autos allerdings als ideologiegetriebene Maßnahme der „grünen Anti-Autofahrer-Politik“, die von Gewessler versinnbildlicht werde, zu bezeichen. Mit dieser werde der Koalitionspartner ÖVP von den Grünen zusätzlich vorgeführt.

Wieso der Sinneswandel?

Wieso kippte die Stimmung gegenüber Gewessler? Aufschluss darüber könnte ein Studiogespräch zwischen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Wolfgang Fellner am 10. Dezember 2020 geben.

Sie kennen ja das G’schäft. Fürs Inserat gibt’s a Gegengeschäft, oder?“, fragte Sobotka im mittlerweile berühmt gewordenen Interview. „Ja, natürlich“, antwortete der Medienmacher.

Schauen wir uns also die Inseratenausgaben an:

In den ersten drei Quartalen 2022 gab Gewesslers Klimaschutzministerium mehr als 5 Millionen Euro für Inserate aus und war damit knapp hinter dem Bundeskanzleramt auf Platz zwei in der Bundesregierung. Gewesslers Ministerium gibt also sehr viel Geld für Inserate aus. Knapp 200.000 Euro davon gingen an die vier Fellner-Medien oe24 TV, Österreich – oe24, Radio Austria und www.oe24.at. Nur drei Ministerien (zählt man das Bundeskanzleramt dazu) zahlten in diesem Zeitraum mehr Geld an Fellner. Aus Sicht des Medienmachers hört sich das soweit nach guten Einnahmen an.

Grafik mit einer Auflistung der höchsten Inseratenausgaben österreichischer Ministerien.

Allerdings: Es geben nicht alle Ministerien gleich viel Geld für Inserate aus. Deshalb macht es Sinn, sich den Anteil der Fellner-Inserate an den Gesamtausgaben anzuschauen. Und hier zeigt sich: Das Innenministerium wendet satte 26,74% des Inseratenbudgets für die Fellner-Medien auf, beim Verteidigungsministerium sind es fast 20%, im Wirtschaftsministerium 13%. Und Gewesslers Klimaministerium? Hier waren es gerade einmal knapp 4%. Unter allen Ministerien, die zumindest ein Inserat in den Fellner-Medien oe24 TV, Österreich – oe24, Österreich am Sonntag, Radio Austria und www.oe24.at geschaltet haben, hat ihr Ressort in Relation am wenigsten Geld an die Fellner-Medien überwiesen.

Grafik mit dem Anteil an Inseratengeldern, welches österreichische Ministerien für Medien der Mediengruppe Österreich ausgeben.

Das heißt also: Das Klimaministerium hat zwar ein ziemlich üppiges Budget für Inserate, gibt aber relativ gesehen nur einen Bruchteil davon in Fellner-Medien aus. Mit der Berichterstattung könnte das natürlich auch gar nichts zutun haben. Wenn man daran glauben möchte.

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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.

Im OE24 “AutoExtra” verschwimmen die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung.

Wolfgang Fellner behauptet gerne, sein Medienimperium sei besonders unabhängig. Spätestens seit der Inseraten-Affäre rund um mutmaßlich manipulierte Politik-Umfragen darf man vermuten, dass es mit dieser Unabhängigkeit nicht weit her ist. Insbesondere dann nicht, wenn sich Geld verdienen lässt.

Auch der Motor“journalismus“ in Fellners Österreichs erzeugt dahingehend eine schiefe Optik. Die Trennung von Werbung und redaktionellem Content funktioniert im Format „AutoExtra“ bzw. „Auto am Sonntag“ nämlich nur leidlich. Das zeigt unsere Analyse aller „AutoExtra“-Ausgaben von Jänner bis Ende Oktober 2022.

Werbung? Journalismus?
So ist vor allem die Berichterstattung (?) in der Printausgabe problematisch. Viele Seiten sind ähnlich aufgebaut: Oben ein Text, in dem ein neues Auto vorgestellt wird, und unten eine Anzeige – oft zum selben Modell.

Das „AutoExtra“ erscheint einmal wöchentlich. Wir haben von Jänner bis Oktober 25 Seiten gefunden, in denen oben das Auto scheinbar redaktionell vorgestellt, und unten beworben wird. Auf 10 dieser Seiten wird dabei zur selben Automarke eine Anzeige geschalten, auf den übrigen 15 sogar zum selben Modell. In 7 weiteren Ausgaben findet sich ein entsprechendes Werbesujet auf der nächsten Seite.

Ob die Autovorstellungen bezahlte Einschaltungen oder redaktionelle Inhalte sind, ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Kritische Berichterstattung kann man OE24 jedenfalls nicht vorwerfen. Meist werden in den Texten penibelst alle Features aufgelistet, die der Newcomer zu bieten hat. Teilweise werden auch Preise genannt. Vor allem in Kombination mit den Sujets unten wirken die Berichte dann sehr werblich.

Good News!
Handelt es sich bei den Texten also doch um bezahlte Einschaltungen? Schwer zu sagen, denn gekennzeichnet sind die Artikel nicht. Nun könnte man annehmen, dass die “Extra”-Bezeichnung des Formats für sich allein genommen schon einen Werbeblock ankündigt. Allerdings publiziert Österreich auch andere “Extras”, die einen redaktionellen Schwerpunkt haben – das „SportExtra“ oder das „OlympiaExtra“ zum Beispiel.

Weil wir uns unsicher waren, haben wir eine Anfrage an die OE24-Redaktion geschickt und um Aufklärung gebeten. Antwort haben wir keine erhalten. Ein Indiz auf die Frage „Journalismus oder Werbung“ findet sich allerdings in der Österreich-Ausgabe vom 30. Jänner: Da verpasst die Redaktion einem „Bericht“ über den neuen Renault Twingo rechts oben auf der Seite einen „Good-News“-Sticker (linkes Bild). Es geht aber nicht nur um Auto-Werbung: Österreich informiert sein Publikum im Frühling auch über den bevorstehenden Sommerreifen-Wechsel. Entsprechende Angebote diverser Werkstätten dürfen dabei natürlich nicht fehlen (rechtes Bild).

Gute Nachrichten erhält auch KIA. Ende Mai gewinnt das Modell Sportage die Österreich-Wahl zum „Auto des Jahres“. Ob für diesen Sieg tatsächlich 13.000 Leser:innen-Votings verantwortlich sind, wie die Zeitung angibt, können wir nicht beurteilen. Dass das Modell in den Fellner-Medien quasi einen Dauerauftritt hat, dürfte ihm aber nicht geschadet haben. Der KIA wird in beinahe allen AutoExtra-Ausgaben des Jahres 2022 über ein Autohaus beworben.

Rechtliche Grauzone
Alles in allem – Autovorstellungen, dubiose Wahlen, sowie nicht gekennzeichnete Advertorials von Autohäusern – kommen wir von Jänner bis Oktober in 43 „AutoExtra“-Ausgaben auf 34 solcher fragwürdigen Artikel. Damit publiziert Fellner im Durschnitt in knapp 80% der „AutoExtra“-Ausgaben einen medienethischen Problembären.

Rechtlich gesehen bewegt sich OE24 hier wohl auf dünnem Eis, denn das Mediengesetz sieht vor, dass Anzeigen explizit und gut erkennbar gekennzeichnet werden müssen. Eine Ausnahme gibt es nur dann, wenn der Durchschnittskonsument Werbung als solche erkennt.

Einen Freibreif für Medienunternehmen stellt diese Ausnahme aber nicht dar, wie dieser OGH-Entscheid zeigt. Ein Gratisblatt hatte eine Werbekampagne mit eigener Berichterstattung begleitet. Das Gericht entschied damals, dass die redaktionellen Artikel als Werbung gekennzeichnet hätten werden müssen, da ein “innerer Zusammenhang” zwischen Anzeigenschaltung und Berichterstattung bestand.

„Kopplungsgeschäfte“: Die Heirat von Journalismus und Werbung
Im oben genannten Fall spricht man von einem Kopplungsgeschäft. Der Deal: Werbetreibende schalten Anzeigen nur unter der Voraussetzung, dass die Medien passende „redaktionelle“ Inhalte beisteuern. Das hat zur Folge, dass Leser:innen getäuscht und vom werblichen Charakter der Anzeigen abgelenkt werden. Von „unabhängiger Berichterstattung“ kann in solchen Fällen natürlich nicht mehr die Rede sein.

OE24 ist bei solchen (mutmaßlichen) Kopplungsgeschäften Wiederholungstäter, wie dieser Entscheid des Presserats zeigt. Der Senat des Medienvereins hat sich auch das „AutoExtra“ schon einmal vorgeknöpft. Es habe „einen gewissen Beigeschmack, dass im Nahbereich der Beiträge Annoncen der betroffenen Autohersteller geschaltet wurden“, schrieb er in einem offenen Brief an Fellner.

Der Presserat entschied sich damals dagegen, ein Verfahren gegen OE24 einzuleiten. Eine Entscheidung, die wir kritisch sehen: Immerhin schafft es die Zeitung in anderen Formaten, Werbung als solche zu markieren.

Österreich weist in seiner Preisliste auch darauf hin, dass Advertorials explizit gekennzeichnet werden. Ein Versprechen, bei dem es sehr fraglich ist, ob es im „AutoExtra“ gehalten wird – genauso wie jenes der „unabhängigen Berichterstattung“.

 

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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.

Wer sich für das Thema Finanzen interessiert, stolpert im Internet regelmäßig über reißerische Artikel, die großen Reichtum versprechen. Zum Beispiel: “Diese vier Aktien haben die Lizenz zum Gelddrucken”, oder sogar: „Mit russischen Aktien ist noch viel Geld zu holen“: Folgt man den Links, stellt sich in der Regel heraus, dass es sich um einen Schwindel handelt. Im besten Fall sitzt man Clickbait auf – im schlimmsten Fall einer Betrugsmasche.

Doch diese Artikel sind nicht auf einer dubiosen Seite veröffentlicht worden, sondern in der Presse  – immerhin eines der österreichischen Qualitätsmedien. Im Wochentakt schlägt dort Redakteur Eduard Steiner den Leser:innen im Format „Let’s make money“ Aktien vor, mit denen sich “jetzt noch Geld verdienen lässt”, wie er vollmundig verspricht. Ein Versprechen, das oft nicht hält.

So ziemlich alles in dieser Rubrik ist daneben. Die angepriesenen Versprechen sind bestenfalls als unseriös zu bezeichnen, der Stil einer Qualitätszeitung unwürdig, und vor allem: Die handverlesenen Aktientipps taugen nichts. Aber der Reihe nach:

Let’s burn money
Wir haben ein fiktives “Presse-Portfolio” aufgebaut und sind Steiners Empfehlungen ein halbes Jahr lang gefolgt. Von Anfang Jänner bis Ende Juni haben wir jede Woche um den selben Betrag jene Aktien “gekauft”, die “Let’s make money” bewirbt. Passend zum Grusel an Halloween wollten wir Ende Oktober wissen, ob wir – Steiner sei Dank – endlich in Frühpension gehen können.

Aber daraus wird nichts: Die Performance des “Presse-Portfolios” war erschreckend. Nur 22 der Presse-Aktien (31%) warfen Gewinn ab, die restlichen 49 (69%) verloren an Wert. Durchschnittlich haben wir mit den 71 Aktien 10,78% unseres Einsatzes versenkt. Wobei wir in unserer Simulation keine Handelsgebühren bezahlt haben – in der Realität wäre das Minus also noch dicker gewesen. Hier eine Liste mit allen Empfehlungen und wie sie sich seither entwickelt haben:

Als besonders tiefer Griff ins Klo erweist sich Gazprom. Steiner legt uns die Aktie des kremlnahen Unternehmens am 9. Jänner nahe. Am 18. titelt er: „Mit russischen Aktien ist noch viel Geld zu holen“. Zu diesem Zeitpunkt kündigt sich der Krieg in der Ukraine bereits an: An der ukrainischen Grenze stehen 100.000 russische Soldaten Gewehr bei Fuß.

Das scheint Steiner aber nicht zu stören. Er erwartet “Traumdividenden” und “im nächsten Jahr möglicherweise 20 Prozent”. Naja: Nach Beginn des Kriegs verliert der in den USA notierte Titel 95% seines Werts. Inzwischen ist die Aktie im Westen nicht mehr handelbar, also ein Totalverlust.

Auch andere von der Presse beworbenen Aktien waren ein Desaster. So schrieb Steiner Ende Februar über Barrick Gold: “Kursgewinne von 50 Prozent sind durchaus möglich”. Zum 31.10. hat das Papier aber ein Drittel seines Werts verloren. „Einige Analysten sehen Verdopplungspotenzial“ meinte Steiner über Thyssen Krupp Mitte Mai. Auch diese Aktie stürzt um knapp 35% ab. Puma und Shop Apotheke haben sich seit der Empfehlung sogar mit minus 50% halbiert. Bei insgesamt 16 der beworbenen Aktien beträgt der Wertverlust zumindest 30 Prozent – das ist mehr als jede fünfte Empfehlung!

Das Orakel von Styria
Natürlich gelingt Steiner auch der ein oder andere Glücksgriff. Wer zum Beispiel dem Tipp gefolgt ist, in Schoeller-Bleckmann zu investieren, hat tatsächlich gutes Geld verdient.

Wenn allerdings mehr als zwei Drittel der Spekulationen in die Hose gehen, bietet „Let’s make money“ keinen echten Mehrwert für Anleger:innen. Sie könnten ihr Geld genauso gut auf Münzwürfe verwetten. Oder im Casino Black Jack spielen: Die durchschnittliche Chance, eine Runde zu gewinnen, liegt hier bei 40%.

In der Finanzwelt firmiert Steiners Strategie übrigens unter den Namen “Stock Picking” und “Market Timing”. Bei diesem Ansatz wählen Anleger:innen einzelne Aktien zum vermeintlich richtigen Zeitpunkt aus und versuchen so eine bessere Rendite einzufahren, als der gesamte Aktienmarkt im Durchschnitt erwirtschaftet. Die große Mehrheit der Privatanleger:innen verliert mit dieser Strategie Geld – das zeigen Studien. Das selbe gilt sogar für professionelle Fondsmanager, wie Business Insider berichtet.

Börsen-Orakel sind also schlichtweg unseriös. Das ist wohl auch der Grund, warum die meisten Qualitätsmedien im In- und Ausland auf Aktientipps verzichten. Es ist recht simpel: Wer als Medium eine Verantwortung dem Publikum gegenüber verspürt, der weiß auch, dass Aktientipps und die Kursziele der Analysten schlicht besseres Casino sind. Und genau dieses Verantwortungsbewusstsein bleibt bei „Let’s make money“ auf der Strecke.

Nur Information und keine Tipps?
Wir haben Eduard Steiner mit den Ergebnissen unseres Experiments konfrontiert und ihn um eine Stellungnahme gebeten. Der Presse-Redakteur verteidigt „Let’s make money“ ausführlich in einer E-Mail:

Bei der Kolumne handle es sich „nicht um Tipps – wie klar angegeben“, sondern „um Informationen für Zeitgenossen, die aufs Geld schauen“. Hauptintention des Formats sei es, die Leser:innen darüber zu informieren, wie Analysten börsenotierte Unternehmen einstufen.

„Stock Picking ist tatsächlich heikel“, meint Steiner weiter. Man würde die Strategie deswegen auch nicht bewerben. Nur ein langfristiger Investitionsansatz sei sinvoll – auch darauf weise man hin. „Einzelne Aktien werden höchsten als Idee für eine dosierte Beimischung zu einem breitgestreuten Portfolio besprochen“, so der Presse-Redakteur. Von diesem „breitgestreuten Portfolio“ und wie dieses aussehen sollte, liest man in seiner Kolumne aber nichts.

Er verteidigt auch die Gazprom-Empfehlung: Die Aktie sei „zu vielen Zeitpunkten ein gutes Investment“ gewesen. Dass sie – und viele andere der vorgeschlagenen Titel – schlecht performt haben, erkläre sich mit einer Force Majeur. Gemeint ist damit der Krieg in der Ukraine, der ja nicht vorhersehbar gewesen sei. Steiner: „Sich für eine Force Majeur zu entschuldigen, käme einer Vermessenheit meinerseits gleich. Bezeichnenderweise hat auch niemand der Leserinnen und Leser mir in dieser Sache geschrieben – geschweige denn eine Entschuldigung erwartet.“

Bären(markt) aufgebunden
In einigen Punkten muss man Steiner fairerweise recht geben: Das Jahr 2022 war für Aktien tatsächlich kein gutes. Inflation, der Krieg in der Ukraine und die Leitzinserhöhung durch die Zentralbanken hat in vielen Ländern die Kurse in den Keller geschickt. Gerade in so einer Situation würde man aber von einer Qualitätszeitung erwarten, dass sie über die Risiken aufklärt und ganz deutlich sagt, dass wer jetzt gerade Aktien kauft, kurzfristig mit einigen Verlusten rechnen muss. Nur lassen sich mit solchen Warnhinweisen keine wöchentliche Kolumnen füllen.

Steiner führt für sich ins Treffen, dass am Ende der Artikel der rechtlich verpflichtende Hinweis erfolgt, dass es sich nicht um Kaufempfehlungen handelt. Das Risiko, dass naive oder unerfahrene Anleger:innen den Tipps folgen und Geld verlieren, bleibt aber. Und ja, aus unserer Sicht handelt es sich um Tipps. Die Leser:innen werden Titel wie „Zwei heiße Spekulationsaktien mit 200 Prozent Gewinnchance“ wohl kaum als Aufforderung verstehen, die Finger von diesen Aktien zu lassen.

Steiner behauptet in seiner Stellungnahme am Schluss noch, er mache keine Versprechen: „Die Titel sind so gut wie immer mit Modalverben („könnten“, „dürften“) gebildet“. Auch dieser Argumentation können wir nicht folgen. Was soll „Mit russischen Aktien ist noch viel Geld zu holen“ sein, wenn kein Versprechen?

Noch dazu eines, das Steiner nicht einhalten konnte. Wie so viele andere: In Wahrheit sind die einzigen, die mit solchen Artikeln Geld verdienen, nämlich die Presse selbst. Über billigen Clickbait Werbeeinahmen zu lukrieren ist im Internet ein weit verbreitetes Unding. Ist das einer Qualitätszeitung würdig? Wohl kaum.

 

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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.