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„Die Presse“ fälscht Tourist Guy 2.0 nach Ägypten (Update)

Kurz nach 9/11 zirkulierte im Web das angeblich letzte Foto eines Touristen auf einem der Türme des WTC. Eine Fälschung, wie sich bald herausstellte. Aber der „Tourist Guy“ wurde zum Internet-Phänomen, das in der Folge auch an zahlreichen anderen Katastrophenschauplätzen gesichtet wurde:

(Fotos: https://urbanlegends.about.com)

Typisch Internet eben. Zum Glück ist man bei Ereignissen von historischer Tragweite nicht auf dieses zweifelhafte Medium angewiesen. Da ist es schon ein Segen, dass es noch den professionellen und seriösen Journalismus alter Schule gibt. Wo journalistische Ethik und Wahrhaftigkeit die allein bestimmenden Maximen sind. Und wo natürlich schon gar kein Platz ist, für plumpe Effekthascherei mit manipulierten Bildern auf Schülerzeitungsniveau.

Ups…

Die Fotomontagen stammen (v.l.n.r. und o.n.u) von der Homepage der durchaus angesehenen konservativen Tageszeitung „Die Presse“, sowie diesen Reportagen.

Immerhin — wer die scheinbaren Zeitdokumente extra anklickt, wird (außer beim nahezu perfekt gefälschten Foto auf der Homepage) ins Bild gesetzt, über den ins Bild Gesetzten … naja, zumindest versucht hätte man’s:

Presse-Reporter Wieland Schneider live aus Kairo / Bild: (c) Die Presse Digital Montag [sic!] (Wieland Schneider/Reuters, Amr Abdallah)

Jetzt mal ernsthaft: Welches Blog, das auch nur ein bisschen auf seine Reputation hält, hätte sich wohl getraut, einen Bericht aus dem Krisengebiet so zu illustrieren?

(Danke @hannasilbermayr für den Hinweis via Twitter)

[Update 11:59]
diePresse.com hat alle Fotomontagen durch unmanipulierte Bilder ersetzt. Und auf Twitter erklärt der Chef v. Dienst sehr offen, wie „Tourist Guy 2.0” passieren konnte:

Oe24.at in Kairo: Life is live.
Wie die Krone die Angst vor "Türkenbanden" schürt

10 Kommentar(e)

Dyrnberg - Am 05. February 2011 um 09:55

Effektheischerisch? Unästhetisch? Ja. Aber eine „Fotomontage“ im umgangssprachlichen Sinn, nämlich dass dem Leser ein X für ein U vorgemacht wird, ist das (für mich) nicht. Es wird ja nicht versucht, den Reporter so ins Bild zu setzen, dass man glauben könnte, er wäre mittendrin, vielmehr ist die Montage ja so „mies“ gemacht, dass man sie sofort erkennt.

Hans Kirchmeyr
Hans Kirch​meyr (Autor) - Am 05. February 2011 um 10:03

Da bin ich anderer Ansicht. Vor allem die ungekennzeichnete Montage auf der Homepage ist für Laien nahezu unmöglich als solche zu erkennen. Nur im unmittelbaren Vergleich mit den anderen Bildern wird dann klar, dass es sich um eine Fälschung handeln dürfte. Aber da hat sie ihren Zweck — den Leser tiefer in die Seite zu ziehen — bereits erfüllt.

nömix - Am 05. February 2011 um 10:53

Der Kyselak des Global Reporting?

thobi - Am 05. February 2011 um 11:06

ich habs mit dyrnberg. man mag vom reporter und der tatsache, dass er sich gern bildlich mit dem thema kombiniert halten was man will, aber hier von effekthascherei zu sprechen halte ich für übertrieben.

Andreas Kornprobst - Am 05. February 2011 um 11:08

Nicht, dass ich Fälschungen das Wort reden möchte, gerade bei etepetete „Die Presse“ überrascht mich das schon sehr. Aber es muss schon klar sein, dass das Internet eben ein eigenes Medium mit eigenen, anderen – und das ist überhaupt nicht wertend gemeint – Regeln ist. Wikipedia ist eben nicht „Der Grosse Brockhaus“.

Graue Eminenz - Am 05. February 2011 um 12:32

Liebes Kobuk-Team,
Wir schmunzeln laut über den Vergleich mit dem Tourist Guy und reagieren: Das aktuelle Bild ist keine Montage, sonderen wurde von unserem Reporter Wieland Schneider am Tahrir-Platz aufgenommen.

Hans Kirchmeyr
Hans Kirch​meyr (Autor) - Am 05. February 2011 um 13:30

Respekt. Vor allem auch für die ehrliche und nachvollziehbare Erklärung auf Twitter, wie’s dazu kommen konnte.

Helge Fahrnberger - Am 06. February 2011 um 18:14

Wieviel Wilson wohl für die Logopräsenz gezahlt hat? 😉

Hans Kirchmeyr
Hans Kirch​meyr (Autor) - Am 06. February 2011 um 21:10

Aber Helge, das steht hier doch für „Wieland“ *g*

Volker Schäfer - Am 06. February 2011 um 21:12

Toll, was man mit einer Veröffentlichung im Internet alles erreichen kann.

Das ist doch was, oder?